Geburtsort: Königsberg. Ursula Klein

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Geburtsort: Königsberg - Ursula  Klein

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kam. Mutter stimmte darum das Kinderlied zum Zeitvertreib an und alle sangen mit:

      Ling, ling, ling, die `Lektrische kommt,

      Schaffner muss sich plagen.

      Wer noch fünfzehn Pfennig hat,

      der steige in den Wagen.

      Die Lotte, die Lotte, die Lotte ist schon groß,

      die kauft sich einen gelben Schein

      und fährt alleine los.

      Das Lied wurde nacheinander mit allen Namen der Kinder gesungen, bis die Elektrische endlich kam. Vater half Mutter, den Kinderwagen hinein zu heben, dann durften Lisbeth, Hanna und Herta einsteigen, Vater half den beiden Kleinen bei den hohen Stufen. Im Waggon war noch viel Platz, denn von Ponarth aus ging es in Richtung Zentrum. Die Schaffnerin zog an der ledernen Leine und für den Zugführer erscholl die helle Klingel als Zeichen dafür, dass alle Leute eingestiegen waren und er abfahren konnte. Vater holte das Portemonnaie hervor und sagte: „2 Erwachsene, 3 Kinder. Muss ich für die Kleinen und den Kinderwagen auch bezahlen?“ „Für den Kinderwagen den halben Preis“, war die Antwort der Schaffnerin. Sie öffnete ein Buch mit vielen Fahrscheinen, riss zwei gelbe und vier rote heraus und sagte: „Sieben Dittche, bitte.“ Hanna hatte das gehört und dachte erschrocken: siebzig Pfennig – das ist aber viel Geld! Nun wusste sie, warum sie so selten mit der Straßenbahn fuhren.

      Es war ein wunderschöner Sonntag: Die Sonne strahlte vom Himmel, es war warm. Alle Spaziergänger und Fahrgäste hatten sich sonntäglich herausgeputzt. Die Mutter hatte ihr Sonntagskleid an, das sie sich, als Vater aus dem Krieg nach Hause gekommen war, nach der neuesten Mode geschneidert hatte. Denn die Mode hatte sich grundlegend verändert: Noch zur Jahrhundertwende hatten die Röcke der meist einteiligen Kleider noch kleine Schleppen. Die Betonung der Silhouette lag in der Schulterpartie. Sie wurde durch breite Kragen, Schultervolants und Keulenärmel erreicht. Der Prinzessschnitt war Mode und die sehr langen Ärmel wurden enger. Man schnürte Leib und Hüfte mit dem Korsett zu einer geraden Front und betonte die Büste, so dass der Körper von der Seite aus einer "S-Form" glich. Nach 1900 wurden die Röcke kürzer und die gesamte Kleidung legerer. Bedingt durch die Gleichstellung der Frau im beruflichen, privaten und politischen Bereich wollte man in der Kleidung keine Einengung mehr durch ein Korsett, verzichtete auf die Betonung der weiblichen Formen und verlangte nach Beinfreiheit. Die Folge waren vereinfachte Schnitte und kurze Röcke. Vor allem die Tageskleidung war nun praktisch und bequem.

      Darum hatte sich Mutter auch an ein neues Kleid gewagt, obwohl sie in der Mode etwas ängstlich und konservativ war. Denn von ihrem Korselett wollte sie sich auf keinen Fall trennen, das gab ihr im Rücken den notwendigen Halt für einen geraden Gang. Aber sie musste ganz einfach auf die Rückkehr des Vaters mit einem neuen, modernen Kleid reagieren, um ihrer Freude besonderen Ausdruck zu geben.

      Darum zog sie dieses Kleid nun immer an, wenn die Familie in die Kirche ging. Und heute war Mutter besonders schön: Die schwarzen, etwas gewellten vollen Haare waren wie immer zu einem Knoten gesteckt. Aber heute – weil man ja in die Stadt fuhr – hatte sie noch einen kleinen braunen Hut auf dem Kopf, der mit freundlich wirkenden Blumen geschmückt war. Wichtig war auch, dass der Hut mit einer Hutnadel am Knoten befestigt war. Das war nicht nur hübsch, sondern auch praktisch zugleich, hielt doch die Nadel bei Wind den Hut fest. Und Wind gab es oft. Die Zierde des Hutes war aber ein cremefarbener Schleier, der sparsam um den Hut gelegt war und hinten in einer Schleife endete. Als Mutter sich diesen Hut gekauft und ihn Zuhause gezeigt hatte, wertete Otto diese Errungenschaft: „Das sieht ja wie ein Topf aus. Und das soll modern sein?“ Mutter war damals etwas niedergeschlagen, aber sie hatte sich die Modezeitschriften genau angesehen. Das war gerade modern. Und darum setzte sie das gute Stück auch voller Stolz auf. Ein Paar passende Spangenschuhe in braun vervollständigten das Bild in Farbe und Harmonie der Kleidung.

      Doch das alleine war es nicht, was die Mutter heute so festlich erscheinen ließ. Sie hatte zwar ihr wadenlanges, dunkelbraunes Sonntagskleid an, das die Taille mit einem Gürtel betonte, aber es hatte heute einen ganz fein gehäkelten großen cremefarbenen Kragen, der bis an die Schultern reichte. Hanna erinnerte sich, dass die Mutter viele Abende daran gearbeitet hatte. Aber wenn es dann zu dunkel geworden war, legte sie die Arbeit in einen Handarbeitskorb, um die Augen nicht zu sehr zu belasten und strickte an den Strümpfen und Pullovern weiter - und die Nadeln flogen wie automatisch. Aber gerade dieser Kragen war heute für Hanna wichtig, da er ihre Mutter in der Kleidung den reichen Bürgern gleichstellte. Da dieses Kunstwerk geschont werden musste, hatte der Kragen eine feste Kante am Hals und konnte mit Druckknöpfen befestigt werden, so dass er eben nur zu besonderen Festlichkeiten genutzt wurde. Und heute war so ein Tag. An den Ärmelbündchen schaute eine ebenfalls selbst gehäkelte gekräuselte Spitze hervor, die dem Sonntagskleid etwas Vollkommenes und Vornehmes gab. Auch diese Spitze hatte die Mutter heute extra hervorgeholt und kunstgerecht so befestigt, dass sie auch schnell wieder abgenommen werden konnte. Die Krönung war aber eine silberne Brosche, die den Spitzenkragen am Kleid befestigte und außerdem noch wunderschön aussah. Alles in allem war Mutter heute die Schönste und Hanna musste sie immer wieder anschauen und bestaunen.

      Dass die Kinder mit der Straßenbahn fahren durften und sie außerdem auch noch gemeinsam einen Ausflug zum Schloss und zum Schlossteich machten, war für sie ein besonderes Ereignis. Alle waren aufgeregt, aber trotzdem verhielten sie sich in der Bahn äußerst vorbildlich. Kam noch ein Fahrgast – meist Frauen mit ihren Kindern - in die Bahn, schnellten sie von ihren Sitzen hoch, machten einen Knicks und sagten „Guten Tag – darf ich Ihnen meinen Platz anbieten?“

      Die Fahrt durch die Hintere und Vordere Vorstadt ging schnell vorbei, denn es gab viel zu sehen. Vater sagte an der Grünen Brücke, die über den Pregel führte, dass dort rechts in dem großen Gebäude die Börse sei. Dort werde der Preis für unsere Waren ausgehandelt, die wir ausführen und von anderen Ländern einführen. Dann kam auch schon die Kneiphofsche Langgasse und Vater fragte Hanna: „Na, weißt du noch, zu welchem Stadtteil diese Straße gehört und welcher berühmter Bau hier ist?“ Hanna überlegte blitzschnell: Pregel – Brücke – Kneiphofsche Langgasse – das konnte nur der Stadtteil Kneiphof mit dem Dom sein. „Richtig“, sagte der Vater, „du hast gut aufgepasst“. Nach der Krämerbrücke kam dann auch schon die Kantstraße und gleich danach der Kaiser-Wilhelm-Platz. Das waren hier alles so schöne Gebäude, viel schöner und größer als in Ponarth. Der Vater sagte: „Die nächste Station – Gäsekusplatz – steigen wir aus. Wir wollen uns erst das Schloss von außen ansehen und dann zum Schlossteich gehen, wo wir unser Picknick machen.“

      Gesagt – getan. Für Lisbeth und Hanna war es ein erhebendes Gefühl zu wissen, dass in dem Schloss der König wohnte und dort auch wichtige Verwaltungseinrichtungen waren (Herta, Fritz und Lotte waren noch etwas zu klein für solche Empfindungen).

      Anmerkung; Gäsekusplatz

      Vom Walter-Gäsekus-Platz aus blickte man auf die imposante Westfassade des Schlosses. Das Bild wird von der Schlossansicht beherrscht.

      Der Vater nahm Lisbeth und Hanna an die Hand. „Ihr habt doch beide von eurem Lehrer über die Chronik Königsbergs schon viel gehört. Wisst ihr noch, wann die Burg gebaut wurde?“ Hanna war sofort bei der Sache. „1255 haben die Ordensritter auf dem Burgberg die erste kleine Burg gebaut.“ „Richtig“, lobte der Vater. „Als Albrecht als Herzog hier im Königsberger Schloss einzog, ließ er dann den Ostflügel durch Nürnberger Bauleute bauen, später kam dann der Südflügel dazu. Denn als Herzog brauchte er ja auch viele Räumlichkeiten für seinen Hofstaat. Wir sind zwar nicht dort vorbeigekommen, aber dort ist auch ein Relief Herzog Albrechts in Stein gehauen. Der Südflügel hatte den Vorteil, dass Herzog Albrecht nur über den Kirchplatz zu gehen brauchte, um in die Altstädtische Kirche zu gelangen. Herzog Albrecht hat viel für

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