Geburtsort: Königsberg. Ursula Klein

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Geburtsort: Königsberg - Ursula  Klein

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Kinder hatte und sie sich fast auf Selbstversorgung eingerichtet hatten, war der Gemüsemarkt oberhalb der Schmiedebrücke überflüssig geworden. Ihr Interesse galt dann mehr dem Textilhaus Siebert und dem Altstädtischen Markt sowie der Langgasse. Hier konnte sie die vielen Kleinigkeiten finden, die sie für den Haushalt brauchte, ganz besonders Wolle, Häkel- und Nähgarne, Druckknöpfe, Knöpfe, Schleifen, Bänder und Stoffreste, um für die Mädchen daraus etwas zu nähen. Vorrangig bekam Lisbeth, die Älteste, etwas Neues anzuziehen, weil die jüngeren Geschwister die Kleidung nachtrugen. Aber auch Fritz als einziger Junge brauchte Hosen und Hemden, denn er sollte ja auch wie ein Junge aussehen. Aber Mutter versuchte, möglichst allen Kindern zu den Feiertagen eine Freude zu machen und sie hübsch anzuziehen. In die anderen Geschäfte, die Glas, Porzellan, Bücher, Pullover, Kleider, Blusen, Hüte und vieles mehr anboten, ging sie gar nicht erst hinein, sondern schaute sich nur flüchtig die Auslagen an. Wie gerne hätte sie aber auch einmal ein neues Kleid gehabt, aber den Gedanken konnte sie gleich vergessen. Aber wenn sie verglich, was jetzt gerade in Mode war, erschrak sie. Die jungen Frauen waren heutzutage ganz anders gekleidet. Auch die Haare waren meistens kurz und in Wellen gelegt. Farblich – oft beige, orange, weiß, hellblau – waren Kleid, Hut und Handtasche aufeinander abgestimmt, lange Ketten reichten bis über die Brust, Pelzcapes wurden auch im Sommer präsentiert, die Schuhe hatten eine ganz andere Form, die Strümpfe waren fein gewirkt und fast durchsichtig, die Kleider und Röcke kürzer. Kurzum: Wenn sie ihre Kleidung mit der der modernen Frauen verglich, sah sie zwar sauber und ordentlich, aber total altmodisch aus. Und darum fasste sie einen Entschluss: Ich werde wöchentlich Geld sparen, mir Stoff und einen Schnittmusterbogen kaufen und mir für nächstes Jahr zu Ostern, wenn Fritz in die Schule kommt, ein neues, modernes Kleid nähen. Damit überrasche ich Otto. Schon alleine dieser Gedanke erfüllte sie mit Freude und darum fiel es ihr auch gar nicht schwer, bei der Konditorei mit dem Königsberger Marzipan vorbeizugehen und nur die Auslagen genüsslich anzuschauen. Und was sich Anna einmal vorgenommen hatte, setzte sie auch meistens in die Tat um.

      Diese Gedanken bewegten sie nur ein paar Sekunden und doch hatte die Unaufmerksamkeit gereicht, dass Fritz den Kinderwagen losgelassen hatte und einem kleinen, niedlichen Hund hinterherlief, der gerade über die Straße rannte. Mutters Herz blieb vor Schreck fast stehen. „Fritz! Bleib stehen!“ Er hatte wohl selbst die Gefahr erkannt und blieb sofort stehen. Mutter lief eilig hin und ratsch – hatte er eine Ohrfeige. Fritz heulte. Mutter war selbst über sich erschrocken. Das passierte selten genug, dass es eine Ohrfeige setzte, aber da hatte wahrscheinlich die Angst den Hebel angesetzt. Ja, mit den drei kleinen Kindern war ein Einkauf wahrlich keine besondere Freude. Wie ein Dompteur musste sie auf die Kinder aufpassen und außerdem ihre Neugierde befriedigen, wenn Fritz und Lotte je rechts und links am Kinderwagen anfassen mussten, während Lena im Kinderwagen saß. Autos, Straßenbahnen, Fahrräder, Händler, Passanten – es war ein quirliges Treiben in der Stadt. Und darum war sie dann immer heilfroh, wenn sie alle Kinder wieder wohlbehalten in der Straßenbahn hatte und die Fahrt wieder nach Hause ging. So ein Ausflug war und blieb ein besonderes Ereignis. In Ponarth war alles viel ruhiger und gemütlicher und außerdem kostete ein Einkauf im Kolonialwarengeschäft kein Geld für die Straßenbahn. Aber in Ponarth gab es nicht immer das, was Anna brauchte.

      Aber so ein Stadtbesuch forderte auch viel Zeit und die hatte Anna nicht. Denn morgens, wenn die Großen in die Schule gegangen waren, mussten ja noch die Kleinen versorgt und das Mittagessen vorbereitet werden. Meist blieb nur eine kurze Zeit, bis die Kinder wieder nach Hause kamen und Hunger hatten.

      Wenn es ihr gelungen war, alle Aufgaben zu erledigen, zeigte sie dann den Großen ihre Einkaufsschätze voller Stolz. Besonders Lisbeth war daran interessiert, was wohl die Mutter alles nähen und stricken wollte.

      Doch Mutter hatte auch Sorgen mit den Kindern: Hanna, die Zweitälteste, war eigentlich für die Schule nicht kräftig genug und hatte einen schwachen Rücken. Oft musste sie ermahnt werden, dass sie gerade gehen solle, doch war sie aus dem Blickwinkel verschwunden, rutschte sie wieder in sich zusammen. Tante Malche riet: „Reibe doch den Rücken von Hanna täglich mit Franzbranntwein ein, das durchblutet den Körper und festigt die Muskulatur.“ Besorgt schaute Mutter ihre Tochter an und stellte außerdem fest, dass sie viel zu mager war. Sie tollte aber auch viel zu viel herum und die wenige Nahrung reichte nicht zum Speckansetzen.

      Das nächste Sorgenkind war Herta. Sie kam in der Schule nicht richtig mit und oft saßen Lisbeth und Hanna mit ihr am Nachmittag, damit sie ihre Schularbeiten ordentlich machte. Eigentlich hatte sie eine sehr schöne Schrift und rechnen konnte sie auch, wenn sie die Aufgaben Zuhause nacharbeitete, das Lesen ging – wie eben in der 1. Klasse – und doch war mit Herta, seitdem sie in der Schule war, eine Wandlung vorgegangen. Sie war sehr zurückhaltend, sehr still und in sich gekehrt. Manchmal träumte sie und hörte gar nicht, wenn Mutter oder die Kinder sie riefen. Am liebsten spielte sie alleine. Mutter konnte sich auch nicht erklären, warum Herta ihre Aufgaben Zuhause sehr ordentlich und auch richtig machte, während sie in der Schule viele Fehler hatte, Aufgaben angefangen und nicht beendet waren, ein allgemeines Durcheinander herrschte.

      Mutter nahm sich ein Herz und ging zum Lehrer. Das war bei Krohns gar nicht üblich. Doch sehr freundlich wurde sie begrüßt: „Guten Tag, Frau Krohn. Na, was haben Sie denn für Sorgen?“ „Ach, Herr Gland, meine Herta macht mir Sorgen. Zuhause machte sie ihre Schularbeiten ganz vorbildlich und die Aufgaben in der Schule sind ein einziges Durcheinander. Ich kann mir das nicht erklären.“

      „Liebe Frau Krohn. Ich habe beobachtet, dass Ihre Herta, wenn ich vor ihr stehe und sie direkt anspreche, auch bei mir in der Schule alles richtig macht. Vor ein paar Tagen bin ich auf die Idee gekommen, bei ihr eine Gehörprobe zu machen und stellte fest, dass sie sehr schlecht hört. Daraufhin habe ich sie in die ersten Reihe gesetzt und seit gestern haben sich die Leistungen bereits verbessert. Wenn sie also die Aufgaben nicht richtig gemacht hat, war es bei ihr nicht eine Frage der Konzentration oder des Nichtwissens, sondern sie hat einfach die Aufgabenstellung nicht verstanden. Vielleicht sollten Sie ihr auch eine andere Frisur machen, die Zopfschnecken über den Ohren verschlechtern vielleicht auch noch ein wenig die Hörfähigkeit.“

      Mutter war einigermaßen überrascht über diese Situation, wenn sie auch schon so etwas vermutet hatte. „War Ihre Tochter denn als Kleinkind schwer krank, so dass sich das auf die Gehörorgane gelegt haben könnte? Ich würde Ihnen empfehlen, mit ihr zum Hals-Nasen-Ohren-Arzt zu gehen. Vielleicht kann der Schaden noch behoben werden.“

      Bedrückt ging Mutter nach Hause. Das war also die Ursache, die sie bisher nicht wahrhaben wollte. Nun konnte sie sich nachträglich viele Situationen erklären. Aber nie war sie auf die Idee gekommen, dass Herta tatsächlich schwerhörig sein könnte.

      Der Facharzt konnte aber keine Besserung in Aussicht stellen. „Sie müssen sich damit abfinden, dass Ihr Kind auf diesem Ohr fast nichts hört und eine Besserung kaum möglich ist. Sprechen Sie Ihr Kind immer direkt an – nicht von hinten – und vor allem deutlich. Sie werden merken, dass sich die Kleine dann wie die anderen Kinder weiter entwickeln wird.

      Das war zunächst keine gute Nachricht. Aber Herta und alle um sie herum mussten sich in diese Situation fügen. Manchmal wurde sie zwar von anderen Kindern gehänselt, aber solidarisch nahmen alle Geschwister in solchen Situationen Partei für Herta ein. Und das tat ihr gut. Auch Herta lernte mit dieser Einschränkung umzugehen.

      Und so war es für Mutter eine große Freude, als Tante Hedwig aus Maraunenhof in einem Brief schrieb, dass sie gerne zwei Kinder in den Sommerferien zu sich nehmen würde. Sie schrieb „ … damit ich euch ein wenig helfen kann und sich wenigstens zwei Kinder wieder richtig satt essen können.“ Und das war im Sommer 1922 bereits fast zum Luxus geworden.

      Hinter vorgehaltener Hand sprach man „im Reich“ bereits von der „galoppierenden Inflation“. Eine Straßenbahnfahrt kostete in Berlin bereits 4,- Mark, ein Brief bereits 6,- Mark, ganz zu schweigen von den Preisen für Lebensmittel. Spargeld hatte niemand mehr. Die Banken vergaben für die kleinen Leute keine Kredite mehr, da durch den Rückgang des Giroverkehrs der

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