Geburtsort: Königsberg. Ursula Klein
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Nun wurde es für mich und meinen Mann interessant. Das waren Informationen, die für uns völliges Neuland waren.
Dann kam die alles entscheidende Situation: Die Grenze zwischen der BRD und der DDR fiel über Nacht am 9. November 1989. Nun konnten wir in alle Länder reisen und unsere Verwandten in Westdeutschland besuchen. Meine Tante übergab mir während eines Besuches zwei Bücher mit Bildmaterial über Königsberg mit vielsagendem Blick und der Bemerkung: „Hier hast du die Bücher, damit du weißt, wo du herkommst, ich kenne das ja alles.“ Zunächst betrachtete ich diese Bücher als reine Information über eine Stadt, die ich nicht kannte. Aber je mehr ich mich mit der Geschichte der Stadt vertraut machte, um so verbundener fühlte ich mich mit ihr. Mutti hatte uns in unserer Kindheit auch anhand von familiären Erlebnissen viel aus der Zeit Königsbergs erzählt, als der zweite Weltkrieg diese Residenzstadt noch nicht zerstört hatte. Diese Erzählungen kamen spontan wieder hoch und anhand der Bücher wurden einige Begriffe vorstellbar.
Das Maschennetz der Neugierde über Königsberg zog sich immer enger. So berichtete mir auch mein Cousin, dass er mit einem Reiseunternehmen schon eine Bustour nach Königsberg gemacht hatte. Mein Mann war Feuer und Flamme: „Nächstes Jahr, wenn du Rentner bist, fahren wir mit unserem Auto nach Königsberg! Das sehen wir uns einmal richtig an. Vielleicht steht auch noch der Rest von dem Haus deines Großvaters, von dem du mir erzählt hast. Würdest du dich darüber freuen?“
Doch meine Reaktion war sehr verhalten darüber, denn ich konnte mich ja an das Königsberg aus der Literatur fast gar nicht erinnern. Ich hatte schlicht Angst, in eine Stadt zu fahren, die ich kennen sollte, aber nicht kannte. So wurde ich in meinen Gedanken hin- und hergerissen.
Zunächst besorgte ich mir weitere Literatur und versuchte, die historischen Seiten kennenzulernen. In einem Bildband fand ich in einer Straßenkarte auch den Platz, an dem das Haus meines Großvaters gestanden hatte. Ich war furchtbar aufgeregt, in Gedanken ging ich immer und immer wieder in das Haus hinein, in der Wohnung herum, versuchte den Weg zur Wohnung meiner Eltern mit der Straßenbahn nachzuvollziehen und konnte mehrere Nächte nacheinander nicht schlafen. Alle Erinnerungen aus dem eigenen Erleben - vermischt mit den Erzählungen meiner Mutti - kamen in mir hoch und ich fragte mich: Wie war wohl ihr Leben im Schoß der Familie zu Kaisers Zeiten, nach dem Ersten Weltkrieg, während der Inflation und der Hitlerzeit gewesen? Woher hatte sie die Kraft genommen, uns 4 Kinder in den Kriegsjahren vor allen Gefahren einer Fehlentwicklung zu beschützen? Fragen über Fragen, die mich – nun auch Mutter und Oma – bewegten.
Und so unterlag ich meiner Neugierde und dem Zwang des Alters, an die Wurzeln meiner Vergangenheit zurückzukehren.
*
Zuhause in „56“
(1918-1925)
In der Ponarther Straße 56 war zu Ostern 1918 hellste Aufregung: Hanna, die zweitälteste von den fünf Kindern von Otto und Anna Krohn sollte in die Schule kommen. Ostern war für die Kinder ein besonderer Feiertag, denn zu diesem Fest bekamen sie fast alle ein neues Kleidchen und durften, falls das Wetter es erlaubte, das erste Mal Kniestrümpfe anziehen. Für jedes der Kinder lagen die Kleidungsstücke fein sortiert, gewaschen und gebügelt als Kleiderhäufchen auf dem roten Plüschsofa. Das war das Prachtstück in der Wohnstube, auf dem sie nur selten herumtollen durften. Das Exemplar war aber auch besonders hübsch: in dem Plüsch waren Ornamente eingedrückt und an der geschwungenen Rückenlehne in Kopfhöhe kleine gehäkelte Deckchen, damit der Stoff nicht schmutzig werden konnte.
Lisbeth, die Älteste mit ihren acht einhalb Jahren, ging der Mutter schon tüchtig zur Hand. Zum einen konnte sie sich - und auch Hanna - bereits alleine anziehen und zum anderen halfen beide, wenn auch noch linkisch, den Geschwistern. Herta mit ihren fünf Jahren brauchte Hilfe bei den Zöpfen, Fritz mit drei einhalb Jahren brachte die Mädchen völlig mit seinem eigenwilligen Köpfchen durcheinander und riss immer aus, sobald z. B. ein Strumpf angezogen war. Er war eben ein richtiger Lorbass Der Vater saß im Ohrensessel, der neben dem großen, grünen Kachelofen stand. Gedankenverloren zwirbelte er an seinem Kaiserschnauzer herum und schaute dem Treiben einfach zu. Hin und wieder rief er zur Ordnung und mit Windeseile reagierten die Kinder auf den Tadel. Sie liebten ihren Vater sehr, fürchteten aber auch seine strenge Hand. Nur Lotte wurde von der Mutter betreut. Sie hatte den Vorteil, noch von ihr gefüttert und angezogen zu werden, denn sie war ja erst 14 Monate alt.
Vor dem Frühstück sprach Vater gemeinsam mit allen das Gebet: „Komm, Herr Jesu, sei unser Gast und segne, was DU uns bescheret hast. Amen.“ Dabei falteten alle am Tisch die Hände, schlossen die Augen und senkten die Köpfe, damit sie nicht von dieser Zwiesprache abgelenkt werden konnten.
Nachdem der Tisch abgeräumt war – alle mussten helfen – wurde die Morgenandacht gehalten. Vater nahm die Bibel und las: „Und siehe, es geschah ein großes Erdbeben. Denn der Engel des Herrn kam vom Himmel herab, trat hinzu und wälzte den Stein von der Tür … Die Hüter aber erschraken vor Furcht und wurden, als wären sie tot. Aber der Engel antwortete und sprach zu den Weibern: Fürchtet euch nicht! Ich weiß, dass ihr Jesum, den Gekreuzigten, suchet. Er ist nicht hier, er ist auferstanden, wie er gesagt hat. Kommt her und sehet die Stätte, da der Herr gelegen hat. Und gehet eilend hin und sagt es seinen Jüngern, dass er auferstanden sei von den Toten … “. Nach alter Gewohnheit knieten alle nieder, falteten die Hände, legten sie auf den Stuhl, auf dem sie gesessen hatten, und nahmen die gleiche feierliche Haltung ein wie beim Tischgebet. Vater dankte Gott für die Gnade, die sie alle durch die Auferstehung Jesu erhalten durften, dankte für die erholsame Nacht und bat um den Segen für den jetzigen Tag. Nach dem „Amen“ standen alle wieder auf und machten sich für den Kirchgang fertig.
Trotz aller Aufregungen wegen Ostern und der Schuleinführung waren dann doch endlich alle Familienmitglieder zum Kirchgang angezogen. Vater konnte nun das große Haus verschließen, in dem 12 Familien wohnten.
Stolz gingen die vier Kinder vor den Eltern her, die Mutter schob den Kinderwagen und der Vater kontrollierte mit strenger Miene die Familienprozession. Neu war dies für keinen in der Familie, denn zum Sonntag gingen sie immer alle in die Kirche in die Speichersdorfer Straße und immer waren alle besonders hübsch angezogen.
Das war gar nicht so einfach, denn der Krieg, der schon 1914 begonnen hatte, brachte für alle Menschen auch in Königsberg Hunger und Not. Aber die Mutter hatte alle Kinder ohne ernsthaftere Erkrankungen durchgebracht, denn die kleine Selbstversorgung mit einem Gemüsegarten, den Kaninchen und dem Schwein hatte alle vor dem großen Hunger bewahrt, als der Vater Soldat war. Aber schwer war das Leben schon in den Jahren von 1914 bis 1918, als der Mann und Vater nicht bei der Familie sein konnte. Doch in solchen schweren Stunden half der Mutter der Glaube an Gott und seine Hilfe in der Not. Und im Stillen sagte sie zu sich, was in der Bibel stand: „Sorget nicht für den morgigen Tag. Es ist genug, dass ein jeglicher Tag seine eigene Plage habe.“ Das Wort machte sie still und die Kinder sahen nicht, dass Mutter Sorgen hatte, summte sie doch dann ein Lied vor sich hin und war getröstet.
Und