Die 8te Pforte. Akron Frey
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„Ich bin auf deinen Ruf gekommen, um dir zu zeigen, wohin du gehen willst!“, sagte er und ein amorphes Objekt leuchtete an seiner Stelle.
Niemand schien einen empfindlichen Nerv in mir getroffen zu haben, denn ich fühlte, wie mir Tränen in die Augen traten. „Dann sag mir, wohin ich gehen will?“, schluchzte ich.
„Zu mir!“, antwortete er. „Ich sagte schon, dass Niemand für das Ende deines Egos steht, und das ist es, was dich antreibt: Du willst zu mir!“
„Zu dir?“ Ich war konsterniert. „Ist das mein Ziel?“
„Ja und nein. Jeder Mensch setzt seine persönliche Welt nach den eigenen Vorstellungen und Wünschen zusammen.“ Wieder bemerkte ich einen Lichtereffekt an der Stelle, wo ich sein Gesicht vermutete. Allmählich wurden die Gesichtszüge wieder deutlicher. „Aber du bist anders, hast ein anderes Ziel“, fuhr er fort. „Du möchtest die Gesamtheit deines Selbst erfahren, deshalb hast du mich gerufen.“
„Ist meine persönliche Welt denn eine andere?“, erlaubte ich mir sachkundig dagegenzuhalten.
„Gewiss“, bestätigte er, „du bist ein nörgelnder Skeptiker und magst die Menschen nicht, die sich traditionell verhalten.“ Die beiden Ebenen begannen sich ineinander zu verdrehen.
„Und wieso kann ich das alles hier mehrfach sehen?“, versuchte ich herauszufinden, denn gleichzeitig lag ich im Bett und konnte nicht nur Niemand, sondern auch noch ein paar weitere verschiedene Frequenzbereiche um mich herum deutlich wahrnehmen, die sich wie die Speichen eines Rades um eine imaginäre Nabe in meinem Kopf drehten.
„Du bist eben anders“, tat er mir kund. „Du weisst, dass die Beschreibung der Welt nur in deinem Kopf existiert und zwar durch die Brille, die dir dein Ego diktiert. Diese Sichtweise verändert sich im Leben je nach Verschiebung des Fokus, durch dessen Linse du die Welt betrachtest. Jede Veränderung der Perspektive verwandelt auch den Hintergrund, auf den sich die Erfahrung der ursprünglichen Sichtweise bezieht, und von verschiedenen Standpunkten aus kannst du verschiedene Assoziationsebenen aufrufen, die unbekannte Bereiche deiner Persönlichkeit freilegen. Es sind deine sechs inneren Geister oder Wesensteile, denen du hier begegnest!“
„Wo seid ihr – ihr Geister?“, brüllte ich. An der Wand auf meiner linken Seite öffnete sich plötzlich ein mannsgrosser, kegelförmiger Lichtspalt. Ich starrte in die Glut: „Kommt wieder aus mir raus!“, befahl ich meinen inneren Wesensteilen. „Niemand hat euch erlaubt, dass ihr in mir drinbleiben könnt.“ Es war, als sähe ich durch meine geschlossenen Augenlider in ein beissendes Geflimmer. Mein Sehen war viel mehr als nur ein äusseres Bild: es war ein inneres Erkennen. Und als ich meine Aufmerksamkeit bewusster auf die äussere Erscheinung neben meinem Bett richtete, deren Gestalt aus dem Schatten plötzlich ins Licht trat, schienen mir auf irgendeine Weise auch ihre Augen zu antworten, denn einen Moment hatte ich das seltsame Gefühl, als hätten sie mich erkannt.
Ich stellte fest, dass diese Vision mehr als nur ein Erlebnis oder eine Erinnerung war: Sie bebilderte eine multiple Situation, in der das Geschehen mehrdimensional übereinandergeschichtet war. „Könnt ihr mehr über euch erzählen?“, erwiderte ich interessiert.
„Sei nicht so neugierig, wir werden dir bald alle begegnen“, hörte ich sie sagen. „Wir sind deine sechs auf unterschiedlichen Stufen operierenden inneren Personen, von denen du alles erfragen kannst, was dich interessiert und was du zu erfahren suchst.“
„Das ist schon ein komisches Gefühl, wenn ich daran denke, dass ihr alle in mir existiert. Wie kann ich mich schützen?“ Ich hatte ein mulmiges Gefühl beim Gedanken, dass da irgendeine fremde Energie in mein Inneres eingedrungen war.
„Normalerweise braucht man sich vor uns nicht zu schützen“, raunten sie mir zu, „denn wir lösen in den Menschen nur die ‚zukünftigen Erinnerungen‘ aus, an die sie sich erst sehr viel später erinnern können, da sie im Moment ihres Empfindens noch gar nicht stattgefunden haben.“
„Dann seid ihr die unerlebten Erfahrungsmuster und Frequenzebenen unbekannter Wesen meiner Art?“, hörte ich mich selbst denken. „Wo kommt ihr her? Was ist eure Welt? Kann ich irgendetwas für euch tun?“, versuchte ich meine innere Unruhe zu überspielen.
„Was möchtest du denn tun?“ Sie schienen ziemlich belustigt über das, was ich sagte.
„Ich möchte mich von meinem persönlichen Ego lösen und euch in die Geisterwelt folgen …“, versuchte ich sie zu überzeugen und löste damit ein Beben in meinem Solarplexus aus. Die Vibrationen wurden schneller und fingen an, sich in mir zu drehen, bis mir schwindlig wurde.
„ … uns folgen“, wiederholten sie verdächtig sanft. Kaum hatten mich ihre Worte berührt, fühle ich die wundersame Wiederkehr einer tief aufsteigenden Erinnerung in mir. Das Licht im Raum wirbelte nach innen, wobei es herrliche Reflexe hervorrief und seltsame, züngelnde Schatten warf: „Du könntest dich höchstens darauf konzentrieren, unsere Botschaft zwischen deinen Ohren gut zu verarbeiten.“
Die Geister expandierten im Bewusstsein rasend schnell und füllten bald mein ganzes Gesichtsfeld aus. Im nächsten Augenblick zogen sie sich zu einem Lichtpunkt vor mir zusammen, von dem ich annahm, dass es Niemands leuchtendes Auge war. Im Grunde war es mein eigener Blick, der sich mir durch Niemands Auge gegenübersah, eine durchscheinende, schimmernde Glut, deren Tiefe die Unbegrenztheit des Kosmos atmete.
„Sieh nur“, sagte dieser ganz ruhig, „sie kommen aus dem Unbewussten herauf zu dir, um dir etwas mitzuteilen.“ Einen Moment war ich ganz davon in Anspruch genommen, die Lichtfünkchen, die ihn umströmten, zu beobachten.
Und gleichzeitig blickten Niemand und ich uns gegenseitig an, da wurde ich mir plötzlich meiner multiplen Situation bewusst. Irgendwie schien er die Kontrolle über mein Verhalten übernehmen zu wollen und ich fragte mich, ob das Ganze möglicherweise nur ein Versuch von mir war, mit dem Tod und dem bevorstehenden Übergang besser umgehen zu können.
„Kommst du mit mir?“, enthüllte er sein charmantestes Lächeln. „Ich habe dich oft in deinen Träumen besucht, auch wenn du dich nicht mehr daran erinnern kannst …“
„Und nun bringst du mir die Erinnerung zurück, die ich schon längst vergessen habe“, fiel ich ihm ins Wort. Ich spürte die alten Bilder in mir: „Ja, ich komme mit“, meine Gedanken begannen zu rasen. Sie drehten sich immer schneller, bis ich sie nicht mehr einzeln wahrnehmen konnte. Meine Hirnganglien fingen an, sich zu bewegen, und das Ganze stieg wie ein nebelhafter Schleier zu mir auf, eine endlose Kette von Assoziationen, die an meiner Wahrnehmung vorbeischwebten. Schnitt.
Mein mehrdimensionales Wesen flackerte einen Moment, dann begann sich meine Bewusstseinsbühne langsam zu verschieben, als ob sie sich zu einer tieferen Dimension von Erkenntnis auseinanderfalten wollte. Und eine Botschaft vereinigte sich aus sechs verschiedenen Perspektiven in meinem Mund: „Wir sind ‚Niemands‘ verschiedene innere Selbst und möchten dir zeigen, was dich auf der anderen Seite erwartet. Bist du bereit?“ Er lächelte maliziös.
„Ja, ich möchte mit dir kommen, dich durch alle Sehnsüchte meines Herzens begleiten“, jubelte es in mir, „und mich in jeder Hinsicht von dir leiten lassen.“