Liselotte Welskopf-Henrich und die Indianer. Erik Lorenz
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Jungen Menschen wie Rößler, die ihr Studium abgeschlossen hatten und keine Anstellung fanden, half Welskopf-Henrich, indem sie sie als Assistenten anstellte und sie von ihrem privaten Geld bezahlte. Ebenfalls unterstützte sie junge Künstler und Autoren, deren Werke politisch negativ bewertet oder aus politischen Gründen nicht veröffentlicht wurden. Ein Mädchen, das auf die schiefe Bahn geraten war und wegen Betrugs im Gefängnis gesessen hatte, wurde von Welskopf-Henrich als Patenkind aufgenommen und durfte zeitweise bei ihr wohnen, was diese, wie sie in einem Brief31 schrieb, sehr viel Kraft kostete.
31 ABBAW 190.
Die Wahrheit in der Dichtung
Eines Tages erschien bei uns eine unbekannte Dame und erwirkte von der vom SD gestellten Bewachung, dass sie uns Lebensmittel zustecken durfte. Einmal wagte sie sich sogar in die Wachbaracke des Lagers Lichterfelde und gab ein Paket für mich persönlich ab.
Und das alles, obwohl ich ihr eindringlich sagte, dass das verboten sei und sie selber in größter Gefahr stehe.
Amtliche Aussage des ehemaligen KZ-Häftlings H. B.32
32 ABBAW 1.
Als Liselotte Welskopf-Henrich das Gebäude betritt, begrüßt der Pförtner, ein älterer Mann, sie mit einem mitleidigen Blick. Sie nimmt auf einer Bank ohne Lehne Platz. Neben ihr sitzt ein altes jüdisches Ehepaar. Von dem Korridor gehen mehrere Zimmer ab, die hinter verschlossenen Türen verborgen sind. Man lässt die Frau warten, will sie zermürben. Die Angst vor dem Ungewissen soll ihre Konzentration schwächen. Welskopf-Henrich ist sich dessen bewusst und spricht energisch einen vorübergehenden Mann an, dessen Uniform silberne Sterne und Balken auf den Schulterstücken zieren. Sie fordert, endlich vorgelassen zu werden. Sie verweist auf ihre amtliche Tätigkeit und erklärt, dass sie nicht unbegrenzt Zeit habe. Ihre Taktik ist wohlüberlegt.
Es ist der 11. August des Jahres 1944, und Welskopf-Henrich ist in die Französische Straße in Berlin zum Verhör durch die Gestapo bestellt worden. Sie weiß: Es geht heute um nicht weniger als ihr Leben. Sie ist sich darüber im Klaren, dass es in jedem Fall verwirkt wäre, wenn der Geheimdienst hinreichende Beweise für auch nur eine ihrer zahlreichen illegalen Aktionen besäße. So setzt sie auf die Flucht nach vorn. Und tatsächlich: drei Minuten später wird sie in ein Hinterzimmer gerufen, wo ein kleiner Beamter hinter einem Schreibtisch auf sie wartet. Kaum dass sie sich, ohne dazu aufgefordert worden zu sein, auf den »Besuchsstuhl« neben dem Schreibtisch setzt, fährt der Beamte wütend hoch und beschuldigt sie, ein Verhältnis mit einem Juden zu haben. Er schreit und beschimpft sie und ereifert sich über seine eigenen Vorwürfe, aber Welskopf-Henrich ist erleichtert: Ihre »kommunistischen Verbindungen« sind der Gestapo offensichtlich entgangen. Das Verhältnis mit einem Juden streitet sie ab, überhaupt habe sie keine Verhältnisse. Sie gibt sich den Anschein großen Selbstbewusstseins, so, als habe sie nichts zu befürchten, nutzt ihre rhetorische Überlegenheit, um den Verhörenden zu narren. Sie lässt ihn in dem Glauben, sie überlisten zu können und ihr, ohne dass sie es bemerken würde, ein Geständnis entlocken zu können, während sie in Wirklichkeit ihm entlockt, was genau er über sie weiß und was nicht. Zwei Stunden später hat sie die Gewissheit, dass die Informationen ihres Gegenübers nur sehr vage sind, und sie durchschaut sämtliche seiner Manöver. Aus dem Nebenzimmer hört sie das Gebrüll eines Verhörs, das einen ganz anderen Verlauf als ihr eigenes nimmt.
Endlich überzeugt sie den Beamten von ihrer Harmlosigkeit, aber sein Vorgesetzter vertraut seinem Urteil nicht und will Welskopf-Henrich nun seinerseits auf den Zahn fühlen. Es ist jener uniformierte Mann, dem sie zuvor auf dem Flur begegnet ist. Er ist groß, übergewichtig und feindselig, und er will seinem Untergebenen vorführen, wie ein echtes Verhör auszusehen habe. Doch auch er hat keine besseren Informationen als jener, und Welskopf-Henrich kann sich behaupten. In ihrem ersten Verhörenden, der nun von seinem Vorgesetzten bloßgestellt werden soll, findet sie sogar einen unerwarteten Verbündeten. Er steht schräg hinter seinem Chef, vor dem er mit seinem Urteil bestehen will, und gibt ihr mit den Augen Signale, ob sie etwas zugeben oder bestreiten solle. Später gibt sich der kleine Beamte regelrecht zuvorkommend. Welskopf-Henrich muss noch einmal warten und schickt sich an, wieder auf der lehnenlosen Bank im Korridor Platz zu nehmen, doch der Beamte verhindert es: Sie müsse doch jetzt nicht mehr neben Juden sitzen…
Als sie, das Gebäude verlassend, am Pförtner vorübergeht, ist dieser überrascht: »Sie gehen wieder?! Da haben Sie aber Glück gehabt. Sie sind die erste, die wieder gehen darf.«
***
Dieses Ereignis, von dem Welskopf-Henrich im autobiographischen Roman »Jan und Jutta« (vgl. S. 553–559) berichtet, steht beispielhaft für viele andere Situationen im Zweiten Weltkrieg, in denen sie in unmittelbarer Gefahr beherzt gehandelt und so Schlimmeres für sich und ihre Mitmenschen abgewendet hat. Das Werk, das sie in enger Zusammenarbeit mit ihrem Mann verfasste, erzählt die Geschichte von Rudolf Welskopfs (im Buch Jan genannt) Kindheit und Jugend bis hin zum Zweiten Weltkrieg. Parallel dazu wird Welskopf-Henrichs (Juttas) eigenes Leben als Mitglied einer bürgerlichen Berliner Familie dargestellt.
Als eingeschworener Gegner der NSDAP nach jahrelangem Gefängnis- und Zuchthausaufenthalt 1940 ins KZ Sachsenhausen eingeliefert, wo er alle Grausamkeiten des KZ-Alltags durchleben musste, wird Rudolf Welskopf 1943 als Handwerker ins KZ-Außenlager Lichterfelde verlegt. Eine seiner Aufgaben ist die Herrichtung der ehemaligen Wohnung einer jüdischen Familie, die nun ein hochrangiger Nationalsozialist bewohnen soll. Gegenüber dieser Wohnung lebt Liselotte Welskopf-Henrich (damals nur Henrich), die jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit die halbverhungerten Häftlinge und deren Aufseher bei ihrem Tun beobachten kann. Lange sinnt sie, die schon seit 1938 verfolgte Juden unterstützt, über eine Möglichkeit nach, den geschundenen Gefangenen ein Zeichen der Solidarität zu geben. Indem sie sich mit Hilfe einer Schachtel Zigaretten mit dem Wachhabenden gutstellt, gelingt es ihr, den Häftlingen Nahrungsmittel zuzustecken. Um die Häftlinge weiterhin mit Vorräten versorgen zu können, organisiert sie sich von Freunden und Bekannten Lebensmittelmarken.
Mit dem ihr bis dahin unbekannten Rudolf Welskopf beginnt sie einen geheimen Briefwechsel, dessen Inhalt zunehmend politische Diskussionen über den Kommunismus sind. Rudolf verfasst diese Briefe gemeinsam mit einigen Mitgefangenen; einer von ihnen ist der spätere bekannte DDR-Maler Hans Grundig (1901-1958), der seinerseits seine Erlebnisse im KZ Sachsenhausen in der Autobiographie »Zwischen Karneval und Aschermittwoch« verarbeitete. Über Rudolf Welskopf schreibt er:
Rudolf war Genosse und einer von jenen klarsichtigen, zuverlässigen Menschen, um die man uns beneidete. Mittelgroß, kräftig, mit einem Gesicht, das mich in seiner Besonnenheit und Ruhe immer an einen Indianerhäuptling erinnerte. Mit seinen schmalen, dunklen Augen, mit den gerade darüber gespannten, fast zusammenstoßenden Augenbrauen glich er einem Inka, dessen Wort viel im Stamme gilt. Es galt auch viel bei uns, obwohl er sparsam mit Worten umging. Zehn Jahre Zuchthaus hatten diesen Revolutionär nicht brechen können; dabei hatte er Furchtbares von den Wölfen erdulden müssen. In dem Lager Lichterfelde war er einer der führenden Genossen. Er verstand es immer, gegen den Willen der Nazis Hilfsaktionen für die vollkommen ausgemergelten Ukrainer und Franzosen zu organisieren.33