Liselotte Welskopf-Henrich und die Indianer. Erik Lorenz
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8 Stark, Isolde: Konferenzband, S. 292.
9 Welskopf-Henrichs Sohn Rudolf Welskopf erinnerte sich gleichfalls auf der Konferenz: »Bei aller Phantasie, über die sie verfügte – sie stand mit beiden Beinen fest in der Wirklichkeit. Das heißt auch, dass sie auf der Klaviatur der Bürokratie spielen konnte. Was sie in und an der DDR für zumindest mittelfristig unabänderlich hielt, dem unterwarf sie sich nicht einfach, sondern versuchte, es auszunutzen für ihre wissenschaftlichen Projekte.« In: Stark, Isolde: Konferenzband S. 308.
Mit ihrer Vermutung hinsichtlich der Korrespondenzen lag Schulz vollkommen richtig. Welskopf-Henrich schrieb an die Kaderleitung der Akademie, sie schrieb an die Universität, sie schrieb an das Finanzamt usw. In ihren Briefen wies sie wirkungsvoll auf die internationale Zusammensetzung des Projektes der »Sozialen Typenbegriffe« und dessen Bedeutung für das Politbüro der SED hin. In der Tat verstand es Welskopf-Henrich, sich Gehör zu verschaffen. Hierzu Isolde Stark: »Man war bei Frau Welskopf gewöhnt: Es geht alles schnell, zügig und immer mit gutem Ausgang.«10
10 Stark, Isolde: Konferenzband, S. 294.
Für ihre Schreiben verwendete Welskopf-Henrich einen Kopfbogen, auf dem sämtliche ihrer Titel, Ämter, Würden und Orden verzeichnet waren. Darauf hinzuweisen, war ihr sehr wichtig. Schon Tage vor ihrer Berufung zur Professorin ließ sie Briefumschläge drucken, auf denen »Prof. Dr. Welskopf« stand. In dieser Hinsicht war sie sehr ehrgeizig und auch etwas eitel. (Immerhin musste sie sich ihre Titel hart erkämpfen.)
Und sie ließ sich von niemandem beirren. Zum Beispiel beschäftigte sie bei ihren Projekten Mitarbeiter der Akademie der Wissenschaften (AdW), die in Projekte der AdW eingebunden waren und dafür ihr Gehalt bekamen. Der Ur- und Frühhistoriker Joachim Herrmann (1932-2010), Direktor des Zentralinstituts für Alte Geschichte und Archäologie (ZIAGA), versuchte den Mitarbeitern seines Instituts sogar die Beteiligung am Großprojekt »Soziale Typenbegriffe im Alten Griechenland und ihr Fortleben in den Sprachen der Welt« zu verbieten. Schon das Vorgängerprojekt »Hellenische Poleis«, das er als Konkurrenzprojekt zu den Forschungen seines eigenen Instituts betrachtete, hatte er mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln sabotiert: Während Welskopf-Henrich nach Vollendung des Manuskripts im Urlaub in Österreich war, ließ er kurzerhand den Druck im Akademie-Verlag stoppen. Um die Druckgenehmigung hinauszuzögern, forderte er ein überflüssiges Gutachten an, für das der Gutachter erst einmal die 3200 Seiten Text durcharbeiten musste. Er schreckte nicht davor zurück, Intrigen zu spinnen, zu denunzieren und zu lügen, »um das innerhalb von nur drei Jahren von 60 in- und ausländischen Wissenschaftlern geschaffene Gemeinschaftswerk – eine wissenschaftliche und wissenschaftsorganisatorische Leistung, von der er selbst nicht mal träumen konnte – zu Fall zu bringen«.11
11 Stark, Isolde: Konferenzband, S. 245.
Welskopf-Henrich wehrte sich: Sie schrieb an den Leiter des Forschungsbereiches Gesellschaftswissenschaften und an den ersten Sekretär der SED-Kreisleitung, der dem Präsidium der AdW angehörte und die höchste Partei-Instanz an der Akademie verkörperte, und sie machte deutlich, dass Verzögerungen nicht hinnehmbar seien. Sie habe nicht Tag und Nacht gearbeitet, um die internationale Gemeinschaftsarbeit zu koordinieren und innerhalb von drei Jahren zur Fertigstellung zu bringen, damit das Manuskript nun auf unabsehbare Zeit in einer Schublade verschwinde. Sie kontaktierte den Direktor des Akademie-Verlags, forderte selbst Gutachten an, setzte Briefe auf, telefonierte, bestand auf persönliche Gespräche, drängte und trieb an. »Die Angelegenheit duldet keinen Aufschub mehr«.12
12 Welskopf-Henrich an Kalweit, Brief vom 31.7.1972. Siehe auch Stark, Isolde: Konferenzband, S. 246.
Da kam ihr die Bitte der Zeitung »Neues Deutschland«, einen kleinen Text für die Rubrik »Woran arbeiten Sie?« zu verfassen, gerade recht: Mit enthusiastischen Worten kündigte sie die Veröffentlichung der vier Poleis-Bände innerhalb der nächsten Monate an und setzte so den Akademie-Verlag unter Druck. Trotzdem blieben Widerstände bestehen. Stellungnahmen wurden ausgetauscht, Besprechungen fanden statt; es war ein zermürbendes Hin und Her. Monate verstrichen, und Hermann praktizierte weiter seine Hinhaltetaktik. Das Gutachten, das er angefordert hatte, ließ weiter auf sich warten. Als Welskopf-Henrich nachhakte, behauptete Hermann wider besseren Wissens, der Gutachter sei viel beschäftigt gewesen und nun erst seit einem Monat mit der Angelegenheit befasst, doch Welskopf-Henrich kannte die Wahrheit und korrigierte den Institutsdirektor sofort. Später lag das Gutachten Hermann zufolge endlich handschriftlich vor, doch es ließe sich angeblich beim besten Willen keine Sekretärin abstellen, um es abzutippen. Als das Gutachten auch noch verhalten-kritisch ausfiel, drohte das Projekt endgültig auf Eis gelegt zu werden. Dann nahte der 7. Oktober, und im Rahmen der Feierlichkeiten zum 33. Geburtstag der DDR erhielt Welskopf-Henrich den Nationalpreis. Den Empfang beim Staatsrat nutzte sie, um einflussreiche Unterstützer zu gewinnen. Endlich wurde das Werk gedruckt.
Nach dieser Niederlage versuchte Hermann nun also, seinen Mitarbeitern zumindest die Arbeit an Welskopf-Henrichs nächstem Projekt, »Soziale Typenbegriffe«, zu verbieten. »Die betroffenen Kollegen beriefen sich daraufhin auf die Freiheit, in ihrer Freizeit machen zu können, was sie wollten, und erklärten somit ihre Arbeit an den ,Typenbegriffen‘ zum Hobby.«13
13 Stark, Isolde: Konferenzband, S. 250.
Welskopf-Henrich suchte sich immer genau die Leute aus, die sie für ihre eigenen Arbeiten brauchte oder haben wollte. So auch Gert Audring, der im Zentralinstitut für Alte Geschichte und Archäologie arbeitete. Ob sich Welskopf-Henrich damit den Unwillen des Institutsdirektors Hermanns zuzog, kümmerte sie nicht weiter. Hermanns Macht war ohnehin eingeschränkter als bisher: Die »Sozialen Typenbegriffe« unterlagen nicht mehr der Planung des ZIAGA. Welskopf-Henrich kam für das Projekt in noch bedeutenderem Maße als zuvor selbst auf und sicherte sich so eine größere Unabhängigkeit. Diese Unabhängigkeit, die es ihr auch erlaubte, private Mitarbeiter einzustellen, wurde Welskopf-Henrich vor allem durch ihre solide finanzielle Situation ermöglicht, die auf ihren belletristischen Erfolgen beruhte. Das Geld, das sie durch ihre Bücher und den Film »Die Söhne der Großen Bärin« verdiente, gab sie nahezu komplett für ihre wissenschaftlichen Projekte aus. Da die Projekte somit nicht von den Genehmigungsprozeduren der bürokratischen staatlichen Wissenschaftsorganisation abhingen, brauchte Welskopf-Henrich keine Reglementierungen zu fürchten.
Die Wissenschaftler, die für sie arbeiteten, schätzten sie sehr, so dass sie sich stets mit Freuden an ihren Projekten beteiligten. Sie wussten, dass da jemand die Fäden in der Hand hielt, der selbst fleißig arbeitete und den Überblick besaß. Und Liselotte Welskopf-Henrich hat in der Tat unglaublich viel gearbeitet; in Phasen extremer Belastung aß sie Kaffeepulver, um sich wachzuhalten.
Auch Detlef Rößler war einer ihrer Mitarbeiter und über lange Zeit Welskopf-Henrichs Assistent. In regelmäßigen wissenschaftlichen Beratungen und intensivem, auch politischem, Gedankenaustausch lernte er sie gut kennen. In einem Gespräch mit dem Autor beschrieb er Welskopf-Henrich als kleinere, etwas korpulente, freundlich-zurückhaltende, ein wenig mütterlich und einfach wirkende Frau mit einem gütigen Gesicht, die sich gern an der Natur erfreute. Doch in den zahlreichen Diskussionen mit ihr sei ihm die wahre Größe dieser Frau wieder und wieder bewusst geworden.
Liselotte