Liselotte Welskopf-Henrich und die Indianer. Erik Lorenz
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Welskopf-Henrichs Einschätzung nach lag die subjektive Problematik einer guten Textkomposition darin, dass der Dichter den ganzen Stoff beherrschen musste, um eine Komposition tatsächlich meistern zu können und »den passenden Maßstab für das Maß des Einzelnen zu finden21. Aber ein Thema zu beherrschen, gelingt in vielen Fällen erst, wenn die Erzählung geschrieben ist. Es kann sein, dass umgestellt, umgeschrieben, neu komponiert werden muss, sobald das Manuskript in der Rohfassung abgeschlossen vorliegt.«22
21 Das bedeutet, die Gewichtung innerhalb der Erzählung musste stimmen. Welskopf-Henrich legte sehr viel Wert auf die Ausgewogenheit verschiedener erzählerischer Mittel wie der direkten und indirekten Rede, der Beschreibung von Menschen, Landschaften und Ereignissen etc.
22 Einige Probleme der Komposition. In: Beiträge zur Kinder- und Jugendliteratur 2, Berlin: Kinderbuchverlag Berlin, Datum unbekannt, ABBAW 148.
Sie war keine Autorin, die sich einer Thematik nur mit der Aussicht annahm, damit auf dem Buchmarkt erfolgreich zu sein und einen vorhandenen Bedarf an eben dieser Art von Literatur befriedigen zu können. Sie sagte dazu: »Natürlich kann ich [...] nur das schreiben, was ich in seinem Wesen selbst erlebt habe.«23
23 Diskussion um die Bärenbande, ABBAW 163.
Alle ihre belletristischen Veröffentlichungen haben Gegenstände zum Inhalt, die sie entweder aus eigenem Erleben kannte oder die sie außerordentlich bewegten. Das bemerkt auch Rezensent B. Heimberger, der in Hinblick auf Welskopf-Henrichs Indianerbücher feststellt: »Das Exotisch-pittoreske, das durch die Hinwendung zur Welt der Indianer eingebracht wird, ist kein Vorwand, der von bloßem Geschäftssinn zeugt« und den Büchern aufgrund der »aufrichtigen Teilnahme an den Problemen der Indianer« eine »progressive Nützlichkeit« attestiert.24
24 In einer Zeitschrift aus dem Jahre 1971, aus dem Privatbestand von Marc Zschäckel, ohne genauere Angaben.
Obwohl sie Mitglied des Schriftstellerverbandes war, wohnte sie den regelmäßigen Treffen aus Zeitgründen nur selten bei. Ihr Beruf als Wissenschaftlerin hatte bei ihr oberste Priorität und nahm sie zu sehr in Anspruch. Allerdings ließ sie sich die neuesten Ereignisse in stundenlangen Telefonaten ausführlich von einer befreundeten Übersetzerin berichten.
Auch darüber hinaus kann man ihr kaum mangelndes Interesse an der schriftstellerischen Praxis vorwerfen: Zahlreiche Aufsätze und theoretische Überlegungen beweisen eine intensive Auseinandersetzung mit der Aufgabe des Schriftstellers und seiner Rolle in der Gesellschaft.
In »Der Mensch und sein Werk als Problem unseres dichterischen Schaffens« gelangt Welskopf-Henrich zu folgender allgemeiner Erkenntnis:
Bleiben wir Schriftsteller da und dort bei der Wahrheit, färben wir weder rosa noch schwarz, erleben und gestalten wir leidenschaftlich alle Konflikte, hoffen, kämpfen, lieben, leiden und freuen wir uns mit unseren Helden, so werden unsere Leser uns folgen.25
25 ABBAW 15.
In »Der moderne Mensch und die Abenteuerliteratur« begründet Welskopf-Henrich die Notwendigkeit, eine neuartige Indianerliteratur zu schaffen:
Allein der Indianer als Freund des Weißen [...] ist der gute Indianer – der Indianer als Feind des Weißen, das ist der schlechte Indianer – dieses verbreitete, primitive Siegerschema, das auch den Karl-May-Erzählungen aufgedrückt ist, gilt für den modernen Europäer und Amerikaner als überholt. [...] Es bleibt die Aufgabe der freundschaftlichen Auseinandersetzung mit einem Volk, das seinen Platz in der Geschichte hat und ihn darum auch in der Dichtung beanspruchen kann, im historischen Roman und im Roman der Gegenwart. Es erscheint mir als ein Irrtum, dass man Indianer- und Westernromantik nur durch die Wissenschaft der Ethnologie und der Historie überwinden könne, man muss sie auch in der Dichtung meistern.26
26 ABBAW 148.
Nicht zuletzt auf der Erfüllung dieses Anspruchs, der Bekämpfung tatsachenverfälschender Indianerromantik, beruht der Erfolg Welskopf-Henrichs als Autorin.
* * *
Als Welskopf-Henrich Mutter wurde, befand sie sich bereits in ihrem siebenundvierzigsten Lebensjahr. Nicht nur als Arbeitgeberin, sondern auch in ihrer Rolle als Mutter war sie großzügig und tolerant. Ihr Sohn Rudolf wäre dabei nicht auf die Idee gekommen, seine Freiheiten übermäßig auszunutzen – dazu beeindruckte ihn die von seiner Mutter ausgehende natürliche Autorität zu sehr. Außerdem begriff er schnell, dass seine Mutter eine angesehene Person war, ob nun in der Familie, im Freundeskreis oder bei Kollegen, dass ihr also eine hohe Achtung entgegengebracht wurde, und das machte ihn stolz. So hatte er nichts weniger im Sinn, als irgendwelchen Unfug anzustellen und dadurch die Aufmerksamkeit der Mutter auf sich zu ziehen.
1953, Liselotte Welskopf-Henrich,
ihr Sohn Rudolf und ihr Mann Rudolf Welskopf
Welskopf-Henrich pflegte, intensiv auf seine Einfälle und seine Phantasie einzugehen und ihn in dieser Richtung zu fördern. Stellte sich der kleine Rudolf vor, wie es sei, ein Löwe oder ein Fuchs zu sein, dann spann Welskopf-Henrich diese Geschichten mit ihrem Sohn zusammen fort.
Auf der anderen Seite hatte sie oft sehr wenig Zeit für ihn. Wenn beispielsweise an der Universität die Semester liefen, sie eine Lehrveranstaltung neu vorbereiten musste, an einer der vielen Konferenzen in ganz Europa teilnahm27, Vorträge halten musste und eventuell gleichzeitig noch an einem Buch schrieb, dann war sie damit selbstredend voll ausgelastet, womit sich auch ihr Sohn konfrontiert sah.
27 Welskopf-Henrich hielt an verschiedensten Universitäten und Colleges in Europa Lesungen über die griechische Geschichte. Einladungen an amerikanische Universitäten ermöglichten es ihr später, Visa für ihre Nordamerikareisen zu erhalten. Die Honorare brachten ihr zusätzlich finanzielle Mittel für die Reisen ein.
Eine Anekdote, die Liselotte Welskopf-Henrich gern erzählte, war, dass der kleine Rudolf eines Tages wütend aufstampfte und sagte: »Wenn ich groß bin, dann werde ich auch Professor und fahre zur Uni und dann sitzt du allein zu Hause!«
Eine couragierte Frau
Meinungen zu haben, für die man nicht auch eintritt,
erschien mir immer eine Schande.