Wenig Work, viel Travel. Desirée Tischner
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Sicherlich stellt sich nun manch Einem die Frage, weshalb unsere Wahl hinsichtlich des Reiseziels auf Kanada gefallen ist, wo doch Weltreisen eigentlich geradezu prädestiniert sind für Aussteiger auf Zeit, wie wir es werden wollten. Nun, zum einen haben wir beide jeweils eine schon länger bestehende Verbindung zu diesem riesigen Land, geprägt durch Familienurlaube in Desis Kindheit und familiärer Bande bei Daniel, und haben darüber hinaus auch schon bei zwei gemeinsamen Urlaubsreisen festgestellt, dass man eigentlich viel mehr Zeit benötigt, um all die verschiedenen Facetten des Landes kennen zu lernen, oder zumindest ein paar mehr, als es eine zweiwöchige Reise zulässt. Zum anderen ist Kanada das einzige Land, in dem man auch als Über-Dreißigjähriger noch ein „Work&Travel“-Visum beantragen kann (bis 35 Jahre, um genau zu sein) und wir wollten die Möglichkeit haben, Geld zu verdienen, sollten uns die Ersparnisse ausgehen oder uns gar langweilig werden. Vor allem darf man mit dem Visum aber auch ein ganzes Jahr lang im Land bleiben, als Tourist dagegen nur sechs Monate. Für uns stand daher von Anfang an fest, dass es sich, wenn wir denn so eine Auszeit ernsthaft in Betracht ziehen, nur um ein „Kanadajahr“ handeln kann. Die unglaubliche Größe und Weite des Landes, der unvergleichlich gelassene „Canadian Way of Life“ und die atemberaubenden Naturschönheiten, all das war es, was wir am eigenen Leib erfahren wollten.
Als wir dann relativ schnell unsere Familien und Freunde über diese Pläne informierten, hätten die Reaktionen unterschiedlicher nicht ausfallen können. Von fast ekstatischer Begeisterung (insbesondere von Leuten, die so eine Erfahrung schon selbst einmal gemacht haben) bis hin zu sorgenvoll eingetrübten Mienen an der Grenze zum Unverständnis war jede Gefühlsregung vertreten. Wie oft mussten wir in den Monaten vor der Abreise erläutern, was wir vorhaben, und, was scheinbar noch viel wichtiger für die meisten war, was wir mit unseren Jobs, unserer Mietwohnung und unseren Autos machen und wie das denn dann alles nach unserer Rückkehr werden soll. Wobei, diesbezüglich war da ja noch die große Angst, dass wir gar nicht mehr wiederkommen, dass wir für immer auswandern. Auch hier mussten wir viel Überzeugungs- und Erklärungsarbeit leisten. Wir wurden damit konfrontiert, wie ungewöhnlich es für Außenstehende sein kann, dass man, obwohl mit beiden Beinen fest im (Berufs-)Leben stehend und mit wundervollen Familien und Freunden gesegnet, einfach mal ausbrechen will, um dem Leben und der Welt mehr, oder zumindest andere Seiten, zu entlocken. Akzeptiert werden Auslandsaufenthalte dieser Art bei Abiturienten, Studenten oder Schülern, bei Ü-Dreißigern hingegen mutet es ungewöhnlich an und ist von daher für Viele auf Anhieb nicht nachvollziehbar. Doch all die Bedenken, die uns gegenüber geäußert wurden, haben unseren Entschluss nur noch weiter gefestigt – wir wollen nach Kanada!
Außer der mentalen Betreuung unserer Lieben hatten wir in den knapp acht Monaten, die zwischen Entscheidung und Abreise lagen, aber auch noch viele andere Themen auf unserer Agenda: Wo wollen wir starten, was wollen wir alles sehen, wie viel wollen wir vorab schon planen? Als erste Maßnahme wurde ziemlich fix der Flug nach Halifax in Nova Scotia gebucht. Preislich das günstigste Angebot und zudem nur gute sechs Stunden Flugzeit entfernt, perfekt! Und schon war damit auch die Idee geboren, einmal vom Osten Kanadas bis ganz in den wilden Westen zu reisen. Nahezu im gleichen Atemzug zogen wir unsere beruflichen Vorgesetzten, zu denen wir glücklicherweise ein sehr vertrauensvolles Verhältnis pflegten, ins Vertrauen, es musste einfach gleich von der Seele und die weitere Vorgehensweise besprochen werden. Daniel beschloss, sich von seinem Unternehmen, bei dem er seine komplette bisherige Laufbahn verbracht hatte, zu trennen und sich nach der Reise beruflich neu zu orientieren. Desi bekam glücklicherweise das Angebot, ein Jahr unbezahlten Urlaub zu nehmen und hatte so die Möglichkeit, nach unserer Reise an ihren alten Arbeitsplatz zurück zu kehren. Zumindest hinsichtlich unserer finanziellen Absicherung nach dem etwas längeren Urlaub konnten wir unsere Lieben somit schon mal einigermaßen besänftigen.
Als nächster und erster richtig greifbarer Meilenstein nach der Flugbuchung stand uns der Visaprozess bevor. Wir hatten für Kanada, das Land, in dem wir uns überwiegend aufhalten wollten, das Working Holiday Visum beantragt, gemeinhin unter „Work&Travel“ bekannt. Der Prozess ist eigentlich nicht sehr schwierig, alles läuft online ab, es muss jedoch ein ganzer Wust an Formularen ausgefüllt und verschiedene Dokumente besorgt werden und es müssen mehrere Schritte durchlaufen werden, bis man letztendlich, und wenn alles glatt läuft, das Einladungsschreiben der kanadischen Regierung in den Händen hält. Dieses Work&Travel-Visum ist sehr begehrt, die Plätze begrenzt und es gilt, wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Desi, als ausgebildete Planungs- und Reiseexpertin, nahm sich des gesamten Prozesses exzessiv an und so fühlten wir uns wie kleine Lottogewinner, als wir nach langem Bangen Anfang Februar 2014 endlich unseren Invitation Letter ausdrucken konnten, der es uns erlaubte, nach Ankunft in Kanada die Arbeitsgenehmigung zu beantragen. Jetzt wurde auf einmal alles furchtbar ernst und konkret. Eine Reiseversicherung musste her, neues Reisegepäck auch und Schritt für Schritt haben wir unser deutsches Leben zurückgefahren. Die letzten Wochen und Monate bestanden aus weiterer mentaler Betreuung unserer Familien, Vorfreude, Respekt, Probe packen und vor allem daraus, Versicherungen, Telefone, Internet, Fernsehen, Kleiderschränke, Autos, usw. in Deutschland wahlweise zu kündigen, abzumelden, auszumisten oder stillzulegen. Zur Unterstützung unseres strikten finanziellen Sparprogramms wurde außerdem über verschiedene Internetbörsen und regionale Flohmärkte alles nicht Niet- und Nagelfeste aus dem Hausstand verhökert. Unsere Wohnung selbst haben wir nach Abwiegen aller Pros und Kontras jedoch nicht gekündigt oder untervermietet, hauptsächlich, damit wir jederzeit wieder in unserem Nest hätten Zuflucht suchen können, sollte etwas unsere Pläne durchkreuzen. Eine kleine Abschiedsparty wollte natürlich auch noch organisiert werden und ehe wir uns versahen, stand dann auf einmal, nach einigen Tränchen und viel mehr Umarmungen, tatsächlich der 18. Mai 2014 vor der Tür, gemeinsam mit dem Taxi, das uns zum Flughafen bringen sollte …
Jetzt gehts los!
Erste Schritte in Nova Scotia (Desirée)
An der Küste des Kejimkujik National Park
Erste Schritte in Nova Scotia
„Welcome to Canada!“ Die kanadische Grenzbeamtin schiebt uns unsere Pässe über den Schalter und wir können unser Glück gar nicht richtig fassen. Wir haben das Working-Holiday-Visum und dürfen uns jetzt ein komplettes Jahr in Kanada aufhalten und dabei sogar ganz legal arbeiten, sofern wir das möchten bzw. müssen. Wie genial ist das, bitte schön? Wir fühlen uns so frei wie selten in unserem Leben, erleichtert und rundum glücklich. Jetzt kann es losgehen!
Welcome to Canada
Gemeinsam mit meinen Eltern, die schon öfter in Nova Scotia waren und wieder Urlaub gebrauchen können, sind wir vor wenigen Stunden in Frankfurt abgeflogen, nachdem wir mit Daniels Familie zum Abschied gemütlich zusammen gefrühstückt hatten. Der Flug war unspektakulär kurz, wir aber natürlich voller Aufregung und Vorfreude, auch wenn diese ganze Geschichte derzeit noch eher wie ein zweiwöchiger Familienurlaub anmutet. Ist es im Prinzip auch, mit dem Unterschied, dass meine Eltern in vierzehn Tagen nach Hause fliegen, wir aber weiterreisen werden. Nach Ankunft am Flughafen in Halifax mussten wir also zunächst bei der Einwanderungsbehörde vorstellig werden. Wir haben uns zwar bekanntlich schon vor einigen Monaten per Onlineverfahren das Einladungsschreiben der Regierung gesichert, das endgültige Visum wird jedoch erst vor Ort erteilt. Die Entscheidung, ob und wie lange wir im Land bleiben dürfen, obliegt also letztendlich der Einwanderungsbehörde. Wir legten ganz brav der Grenzbeamtin unsere Pässe und das Einladungsschreiben vor und beantworteten ihre strengen Fragen nach bestem Wissen und Gewissen. Insbesondere interessierte Sergeant