Im Labyrinth des Kolosseums. Christian Zitzl
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Trotz der großen Anzahl kritischer Studien wurden die bis heute fest verankerten Vorstellungen über die Baugeschichte des Kolosseums nie in Frage gestellt. Dieser Tatbestand mutet umso merkwürdiger an, da die Bau- und Dekorformen Anhaltspunkte liefern, die auf eine entschieden ältere Entstehungszeit des Gebäudes verweisen. Was für alle Repräsentationsbauten gilt, trifft nämlich auch für Theater und Amphitheater zu: Die Fassade eines flavischen Monuments kann kaum genauso aussehen wie die eines wesentlich älteren Bauwerks, zumal es keine feststehende funktionale Fassadengestaltung gibt. Aus diesem Grund ist zu überprüfen, inwieweit die Datierung des Kolosseums in flavische Zeit ihre Berechtigung hat.
Zudem ist schwer vorstellbar, dass ein Monumentalbau wie das Kolosseum ausgerechnet an die Stelle eines Sees gesetzt worden sein soll. Kein Architekt würde jemals versuchen, ein solches Areal als Baugrund zu wählen, wenn andere Bauplätze zur Verfügung stehen. Ein See hinterlässt, auch wenn er trockengelegt ist, einen weit schlechteren Baugrund als ein von vornherein trockenes Gelände. Man hätte die Fundamente aus opus caementicium auf einen Pfahlrost setzen und immer mit hohem Grundwasser rechnen müssen. Aus diesem Grund ist davon auszugehen, dass die Angaben antiker Autoren, die sich auf den künstlichen See, das stagnum, beziehen, einer anderen Erklärung bedürfen.
Angesichts dieser Ungereimtheiten setzten sich die beiden Autoren in der vorliegenden Arbeit das Ziel, das herkömmliche Bild über die Bau- und Nutzungsgeschichte des Kolosseums kritisch zu überprüfen. Dabei wurden die Befunde der Grabungen im Bereich des Kolosseums und der Meta Sudans, die Bau- und Dekorformen unter Berücksichtigung technischer Kriterien, aufschlussreiche Bildwerke des Kolosseums sowie die Bauinschriften und die schriftlichen Zeugnisse antiker Autoren zu diesem Bauwerk eingehend analysiert. Eine ausführliche Konfrontation mit anderen Amphitheatern dient dazu, die Chronologie des stadtrömischen Monumentalbaus zu präzisieren. Da im Rahmen dieser Studie nur eine begrenzte Auswahl von Vergleichsbeispielen herangezogen werden kann, wurden signifikante, für die Zielvorgaben der Arbeit aussagekräftige Bauwerke ausgewählt. Aus der Vernetzung und Gesamtschau aller Fakten ergaben sich inhaltliche Aspekte, die das herkömmliche Wissen über die Baugeschichte des Kolosseums in ein neues Licht stellen. Wenn auch die Resultate von hypothetischem Charakter sind, so zeigen sie doch das größte Amphitheater der Antike in einem erweiterten historischen Kontext, der Anregungen zu zukünftigen Untersuchungen mit neuen Aufgabenstellungen geben soll.
Abb. 2: Rom, Kolosseum, Zuschauerraum mit Arena.
Beispiele dafür liefern die Studien von Hönle – Henze 1981, 13–84 und Connolly 2003, 66–151.
Coarelli – Franzoni 1972, passim.
Ein besonders prekärer Fall ist die domitianische Datierung der Amphitheater in Arelate und Nemausus: Lugli 1964/1965, 145–199.
Fincker 1994, 185–207; Fincker 1999, 265–275.
Golvin 1988, passim.
Tosi 2003, passim.
Hufschmid 2009, passim.
Welch 2007, passim.
Ebd., 108–127.
Das Kolosseum in Rom:
Bau- und Nutzungsgeschichte
Der Aufbau des Außenbaus
Das von Kaiser Vespasian in Auftrag gegebene Amphitheater ist ein freistehender Hochbau, der auf einem Plateau aus Pflastersteinen, der platea, aufragt (vgl. Abb. 1, 2, 3). Die viergeschossige Fassade von 49 m Höhe besteht weitgehend aus großen Quaderblöcken aus Travertin, einem Kalkstein, der bis heute im Anienetal bei Tivoli gewonnen wird. Jedes der drei unteren Geschosse verfügt über 80 Arkaden, die durch Pfeiler mit vorgelegten Halbsäulen eingerahmt sind. Diese drei Geschosse gliedern sich von unten nach oben in eine dorisch-tuskanische, eine ionische und eine korinthische Ordnung (Abb. 4 – 7). Dieselbe Abfolge der drei Ordnungen ist an der Außenfassade des Marcellus-Theaters in Rom feststellbar, das aber im Aufbau der Gebälke vom Kolosseum abweicht (vgl. Abb. 12). Schlichte und ausgewogene Proportionen zeichnen die äußere Fassade des zuletzt genannten Bauwerks aus. Die aus drei Faszien und einem Krönungsglied bestehenden Archivolten liegen auf profilierten Kämpfergesimsen auf. Besitzen die Halbsäulen der dorisierenden Ordnung Basen und schmale Plinthen (vgl. Abb. 7), so ragen die Halbsäulen der zweiten und dritten Ordnung auf hohen Piedestalen empor (vgl. Abb. 3, 6). Alle drei Ordnungen haben ein schlichtes Epistyl ionischer Prägung: Ein Architrav mit drei Faszien und einem Krönungsglied, ein zurückspringender Fries mit glatter und nicht verzierter Oberfläche sowie ein profiliertes Gesims bilden den Aufbau. Ein Zahnschnitt über dem Gesims der dritten Ordnung leitet zum vierten Geschoss über, das sich im Aufbau der Fassade von den drei unteren Geschossen gänzlich unterscheidet (vgl. Abb. 3). Schmale Pilaster gliedern die Wand in 80 Felder, die im Wechsel mit einem Fenster durchbrochen und einem Bronzeschild versehen waren. Im obersten Drittel der aufgehenden Wand verlaufen in jedem Feld drei mit Löchern ausgestattete Konsolen, die in der Anzahl und Position der Löcher mit den Konsolen des Kranzgesimses korrespondieren. In diesen Öffnungen steckten hölzerne Masten, die mali, an denen die Sonnensegel, die vela befestigt waren.10 Bei diesen handelt es sich um ein monumentales, in mehrere Segmente unterteiltes Tuch, das dem Publikum als