Ich trinke den Wind. Gesine Auffenberg
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Die Erde ist fruchtbar, unverbraucht von dem Obst und der Hirse, die hier angebaut werden. Es gibt Wasser. Es gibt keinen Hunger. Die Dörfer liegen näher beisammen.
Ich reite zum Djebbel Marra. Ich reite durch Steppe. Die Tage sind heiß. Die Luft flimmert. Die Steppenbäume zittern. Keine Wolke schützt sie vor dem harten Licht und sie geben auch keinen Schatten zum Mittag, wenn alles siedet, kochend still wird, gelähmt. Nur ihre Schwärze gibt Kühle, ihre Dunkelheit, ihre zerfurchte Rinde, an die ich mich lehne, mittags, müde vom Reiten, die sich nicht aufladen lässt von der Hitze. Da ist die Ungewissheit am Abend Wasser zu finden. Da ist die Anspannung vom Reiten. Ayn scheut. Er steigt und geht durch. Es braucht lange, bis er wieder am Zügel geht.
Am Nachmittag reite ich weiter. Das Satteln dauert lang. Es ist eine Zeremonie. Immer. Ich lege den Sattel zu Ayn. Ich gehe langsam, damit er nicht scheut. Ich lerne es, mich langsam zu bewegen. Ich sehe ihm zu, wie er an dem Sattel riecht. Ich sitze still. Ich trinke Tee. Ich rufe ihn. Er nähert sich. Er bleibt stehen. Ich rufe ihn wieder. Er kommt. Er riecht an meinen Händen. Ich flüstere seinen Namen.
Nachmittag. Das Knirschen der Hufe im Sand. Der langsame Schritt. Der müde Gang. Das weiße Licht. Es ist hart. Es hetzt die Farben. Der Sand schwimmt in flimmerndem Rot. Die dunklen Bäume erstarren in ihrem Schwarz. Wie Trauergäste stehen sie da, die verknöcherten Arme empor geworfen im stahlblauen Himmel. Zum Nachmittag gehören die Schatten. Samtfarben und kühl wachsen sie dem Abend zu. Schatten. In der Äquatornähe sind sie willkommen. Ayn scheut nicht mehr. Er ist zu müde. Ich lasse mich in seinen Schritt fallen. Der Knieschluss nimmt seinen Atem auf. In dem gleichmäßigen Schritt zerrinnen die Stunden, fließen dahin wie ein breiter Strom, der sich bedächtig weiter schiebt, unaufhaltsam, gleichgültig. Es ist diese Langsamkeit, die von nun an meine Tage bestimmen wird, deren Rhythmus zu diesem Land gehört, wie zu dem sichernden Gang der wilden Tiere, dem wogenden Trott der Rinderherden und dem weiten Schritt der Kamele.
Manchmal noch blitzt die Erinnerung auf an die Hast der Großstadt in der ich lebte, um gleich darauf in der Steppe zu versinken. Hier zählt nur Gott die immer gleichen Jahre.
Dass ich beginne dieses Land zu lieben, seine Weite und seine unbelassene Zeit, habe ich in mein Tagebuch geschrieben. Es wird der letzte Satz sein, den ich in dieses Buch schreibe. Ich werde es nach Deutschland zurück nehmen, mit all seinen unbeschriebenen Seiten.
Ich schreibe nicht, um mich zu erinnern. Es gibt keine Geschichte. Es gab Augenblicke, die mich berührten. Bewahre ich sie, verändern sie sich.
Die Schatten sind lang. Der Nachmittag geht zu Ende. Ich strecke mich im Sattel.
Dort, wo fünf Bäume in einer Reihe stehen, hatte mir der alte Hirte am Morgen gesagt, werde ich am Abend eine Wasserstelle finden.
Wenn ich auf den Berg zu reite, der untergehenden Sonne entgegen. Ich nehme die Zügel auf und treibe Ayn zum Trab. Der Abend wird schnell kommen und mit ihm die Nacht.
Nirgendwo sind fünf Bäume zu sehen. Ihren Platz nimmt die Angst ein. Immer schon war sie da, den ganzen Tag. Ich hielt sie versteckt in zu kleinen Worten. Ein paar Schlucke Wasser in der Flasche. Sie werden nicht reichen für den morgigen Tag. Und wenn ich kein Wasser finde? Ich treibe Ayn zu scharfem Trab. Er lehnt sich gegen die Zügel. Er bleibt stehen. Er scharrt in der Erde. Sein ganzes Gewicht lehnt er gegen die Trense. Sobald ich nachgebe, fällt er in einen scharfen Trab und ändert die Richtung. Seine Ohren sind aufgerichtet. Sein Gang ist versammelt. Ich lasse ihn gehen. Die Sonne glüht. Endlos scheint mir der Weg zum Wasser. Ich frage nicht mehr. Ayn geht in scharfem Trab. Ich vergesse die Zeit.
Und dann: fünf Bäume stehen in einer Reihe.
Sie sind sehr niedrig. Ihr Geäst geht ineinander über, als hielten sie sich bei den Händen. Verknöcherte Arme, die am Ende ihrer Zeit zusammengewachsen sind, als wollten sie etwas zeigen, als wäre etwas noch ungesagt. Auch ihre Schatten sind verwachsen. Ein Reiter umkreist sie. Er reitet auf einem weißen Pferd. Auch sein Turban ist weiß und seine Galabia. Er hält die Zügel in einer Hand und in der anderen einen Speer. Der Speer ragt über seine Schulter. Der Reiter verlässt die Schatten der Bäume, verschwindet in einer Wolke aus Staub. Sehr groß berührt die Sonne die Erde.
Eine große Pfütze ist in dem Wadi, hat sich gehalten, hat überlebt, schlammig und braun. Es gibt ein wenig Gras. Sein Grün ist leicht. Ich lockere den Sattelgurt und Ayn trinkt.
Ich nehme Geäst der Bäume und mache Feuer. Ich koche Tee. Der Himmel ist rot. Die Nacht wird kalt.
Auf einmal steht er hinter dem Feuer. Still. Ich habe ihn nicht kommen hören.
»Achlen, willkommen«, sagt er und führt die Hand zum Herzen. Das ist Brauch, das ist der islamische Gruß. Ob er Tee wolle? Er setzt sich und nimmt von dem bitteren Tee. Feuerschatten fliehen über sein Gesicht, graben sich ein, dunkel, knisternd. Er beginnt das Gespräch. Er habe den Gang meines Pferdes gesehen, es sei ein guter Hengst. So beginnen die Gespräche hier, über die Tiere um die sich das Leben dreht, die Reichtum bedeuten oder Armut, in die ein einziges Jahr der Dürre Dörfer, Landstriche und Regionen wirft. Und so stehen sie auch auf den sudanesischen Briefmarken, die Rinder. Auf den billigen Briefmarken sind es wenige, auf den teuren mehr. Immer stehen und liegen sie auf hellblauem Grund, dem Himmel, der sie auch verdursten lässt.
Wir reden von Wasserstellen und Weideplätzen, und er erzählt von dem großen künstlichen See bei Djebala. Er kennt sich hier aus, er ist Hirte. Er kommt zurück aus Nyala und ist auf dem Weg zu seinem Dorf. In Nyala hat er Pferde verkauft. Manchmal verstehe ich seine Worte nicht, mein Arabisch ist schlecht. Und dann verstehe ich all seine Worte nicht, mit denen er mir ein Wort erklären will, das ich nicht verstehe.
Ich lege Holz nach. Der Sichelmond leuchtet den Lagerplatz aus.
Er hat angefangen zu singen. Sehr leise hat sein Lied begonnen. Ich sehe ihn an. Sein Gesang ist lauter geworden. Sein Körper beugt sich mit dem Rhythmus. Er schlägt mit den Händen den langsamen Takt, der pocht wie ein Schmerz. Er singt die Lieder seiner islamischen Bruderschaft. Ich versuche, die Worte zu verstehen. Dann überlasse ich mich dem Laut ihrer Klage. Sacht trägt sie mich fort in jene Fernen, aus denen sie stammt.
In der Nähe von Djebala, einem kleinem Dorf, das noch zum Djebbel gehört, hatte man nach Öl gebohrt und in der Tiefe Wasser gefunden. Es seien Franzosen gewesen, sagten die Dorfbewohner. Und dann fiel das Wort Texaco. Trotz Öl- und Goldvorkommen ist der Sudan ein armes Land. Der künstliche See war ein Segen für das Dorf. Die Hirsefelder wurden vergrößert, Rinder und Schafe vermehrten sich. Es gibt auch Hühner in diesem Dorf, was nicht oft vorkommt.
Ich beschließe, ein wenig länger an diesem Rastplatz am künstlichen See zu bleiben.
Dass sich an einem See die Mücken sammeln, habe ich nicht bedacht.
Im Dorf kann man frisches Fladenbrot, das man mit Sauermilch isst, Hirse und frische Eier kaufen. Ich gehe jeden Tag in das Dorf und sehe seinem Treiben und Handeln zu. Die niedrigen Häuser stehen zu beiden Seiten eines Sandweges und haben die Farbe der Steppe angenommen. Sie sind fensterlos. Nur zum Sandweg hin unter einem offenen Vordach sitzen die Frauen und backen Brot, scharren Hühner im Staub und spielen Kinder im Schatten. Am Tag gehört das Dorf den Frauen, die Männer sind auf den Feldern oder bei ihren Tieren. Das Leben spielt sich hier ab, unter dem offenen Vordach der Häuser, wo es immer Tee gibt und warmes Fladenbrot, das man aufrollt und in die Sauermilch tunkt und mit den Händen isst. Dann gibt es wieder süßen Tee, der nach Kardamom schmeckt.
Für Ayn kaufe ich Sesam, der sein Fell zum Glänzen