Ich trinke den Wind. Gesine Auffenberg
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In dieser Zeit verlor ich mein Reisebesteck und war froh darüber. Das einzige Messer, das ich noch hatte, war ein scharfes Taschenmesser, das ich wie die Männer versteckt unter der Galabia am Oberarm trug.
Nach dem Essen werden die Finger in einer kleinen Wasserschale gespült und die Frauen beginnen, sich gegenseitig die Haare in kleine Zöpfe zu flechten. Es ist eine Zeremonie. Sie dauert Stunden. Ich sehe dabei zu, trinke Tee und rauche Zigaretten aus dem Zehnerpack No 1, die wie Sandpapier schmecken. Ayn, an den Stützbalken des Vordachs gebunden, schnaubt in das Gelächter der Frauen und beriecht ihre Kleider.
Zehn Frauen umstehen eine andere Frau, die auf einem Schemel sitzt, und lösen ihr lachend das Haar. Es ist zu unzähligen kleinen Rastazöpfen geflochten. Dann wird das Haar glatt gezogen und eingeölt. Es sei wichtig, das Haar zu ölen, erklären die Frauen, denn es würde sonst in der Hitze brechen. Sie würden mein Haar am nächsten Tag ölen und flechten. Währenddessen massieren sie Gesicht und Kopfhaut der Frau in ihrer Mitte, die nun zu schlafen scheint und sich nicht mehr am Gespräch beteiligt. Die Bewegungen der Frauen sind geübt und sicher, es gehört zu ihrem Alltag, sich gegenseitig zu pflegen, dabei lachen sie und tauschen Neuigkeiten aus.
»Wie geht es Amira, hast du sie gesehen?«, eine Frage, die immer wieder gestellt wird, auf die ein Schweigen folgt, bis eine der Frauen kurz ihre Hände hebt.
»Allah Karim, Gott ist gnädig.«
Es gibt kein Zeichen dafür, wann ein Arbeitsgang beendet ist. Wie auf ein unsichtbares Signal hin hören die emsigen Finger auf, sich in gewärmtes, duftendes Öl zu tauchen und mit kreisenden Bewegungen über die Haut zu streichen. Nun greifen sie zu, nehmen sich kleine Haarsträhnen, ziehen und reißen sie und beginnen die kleinen Rasterzöpfe stramm zu flechten. Die Zöpfe werden äußerst fest geflochten, damit sie steif werden wie ein Lineal, sie sollen lange halten, und das Haar scheint luftdicht versiegelt. Immer wieder wird es stramm gezogen, aber das scheint seine Besitzerin nicht weiter zu stören, sie scheint zu schlafen, mit einem leichten Lächeln, während ihr Kopf wie ein Pendel dem Ziehen an ihrem Haar nachgibt. Ihr Haar scheint unerschöpflich, schwer und glänzend flutet es über ihren Rücken, wie eine Macht, die gezähmt werden muss, verborgen vor den Blicken der Männer, nur dem der Frauen erlaubt.
So sagen die Frauen auch: »Wir gehen hinter den Männern, wir lassen sie vorgehen wie unsere Kinder, damit wir sehen, was sie treiben.«
Das Haarflechten zieht sich hin bis zum Abend, Hühner scharren im Sand, Ayn schnaubt, wir lachen und Kinder spielen im Schatten.
Am nächsten Morgen erwache ich früh mit einem Kopfschmerz, den ich so nicht kannte, stechend, als schramme bei jeder Bewegung das Hirn gegen die Schädelknochen. Jeder Schritt schmerzt, als ich mit Ayn zum See gehe. Während er trinkt, halte ich den schmerzenden Kopf in beiden Händen. Die ersten Sonnenstrahlen sind kalt. Ich friere. Man hat mich gewarnt vor den Krankheiten, aber ich habe mich mit der üblichen Malariavorsorge sicher gefühlt. Ins Dorf, denke ich, zu den Frauen, zu ihrem Lachen und ihren Händen, denke ich, sie können die Schmerzen vertreiben. Jeder Schritt dröhnt in meinem Schädel. Ich halte Ayn am Halfter, aber er ist es, der mich führt. Der Weg zum Dorf ist lang.
Die Frauen geben mir Tee. Er ist warm und süß und schmeckt nach Kardamom. Sie scheinen besorgt. Ich sage, es sei nur der Kopfschmerz und bitte sie, mir das Haar zu flechten. Ich friere. Sie lachen. Und dann sitze ich auf dem Schemel, auf dem Tags zuvor eine der älteren Frauen gesessen hat. Sie steht nun hinter mir und mein Kopf lehnt an ihrem Bauch. Sie bestreicht mein Haar mit warmen Öl. Andere Frauen kommen dazu, umstellen mich dicht, ich spüre ihre Hände über die Stirn, die Schläfen, die Wangen streichen, mein Kopf pendelt zwischen ihren Bäuchen, die fest sind und in denen Lachen blubbert und spitze Rufe des Erstaunens über mein blondes Haar. Ich schließe die Augen und werde erst wieder wach, als das Haarflechten beginnt.
Ich taste nach ihrem Flechtwerk auf meinem Kopf und sie stoßen meine Hände beiseite, sacht und bestimmt, als gehörten sie einem ungehorsamen Kind. Aber ich habe schon schnürsenkeldicke Zöpfe ertastet, die abstehen wie Fühler auf meinem Kopf, der sich geschoren anfühlt. Das Dröhnen im Schädel hat nachgelassen.
Als das Flechten beendet ist, essen wir Fladenbrot mit Fool, einer dicken Bohnensuppe, die in Öl und Knoblauch gekocht ist. Sie macht sehr satt und man schöpft sie mit Fladenbrot aus einem großen Topf, der die Nacht über auf dem Holzkohleofen gestanden hat. Sie ist ein köstliches Gericht und wird jeden Tag mit anderen Gewürzen zubereitet. Unsere Mahlzeit wird von einem neuen Gast unterbrochen, der den Vorraum betritt. Er ist untersetzt und kräftig und scheint zum Dorf zu gehören, denn die Frauen begrüßen ihn als Bekannten.
»Achlen, Mamoud, käf.«
»Hallo Machmoud, wie geht’s?«
Ohne den üblichen Tee zu trinken, wendet er sich gleich an mich. Er spricht schnell und seine Stimme ist leise.
»Ich bitte Dich, nach meiner Tochter Amira zu sehen, sie ist krank, schon seit Monaten. Vor einigen Wochen sind wir ins Krankenhaus gereist, es ist überfüllt, selbst die Flure sind überfüllt und es gab auch keine Medizin. Meine Frau schickt mich.«
Während er spricht, sehen mich die anderen Frauen schweigend an, und ich verstehe ihre Aufforderung, dem Mann zu folgen. Ich würde sie erst Wochen später wiedersehen, auf dem Markt vor dem Dorf, wo sie ihre Saris tragen, wie alle Frauen es tun, wenn sie auf der Straße gehen.
Ich folge Machmoud mit Ayn. Ich friere. Jeder Schritt schmerzt. Er bleibt vor einem Haus am Ende des Dorfes stehen. Das Haus ist niedrig, ohne Fenster und aus Lehm. Es hat ein offenes Vordach zum Sandweg. Unter dem Vordach ist es leer. Machmoud stößt die Tür des Hauses auf. Ich pralle gegen stehende Hitze und blinzele ins Halbdunkel. Ich sehe nur eine Blechdose auf dem Lehmboden. Silbern schimmert sie in dem Licht, das durch die Tür fällt, mit schattigen Beulen. Vielleicht hat das Kind mit der Dose gespielt. Mein Blick tastet sich voran. Schnitt sich in der Leere verdunkelter Wände. Tastet sich wieder in den Raum. Bleibt in der Ecke gegenüber der Tür bei einer dunklen Gestalt. Sie ist unförmig. Die Dunkelheit hat ihr jeden Umriss genommen. Nur ihr Augenweiß glänzt.
»Ma salama«, sage ich.
Ein Streichholz flammt auf und entzündet eine Kerosinlampe. Die aufzuckende Flamme lässt Schatten springen. Dann wird sie ruhig und die Schatten legen sich. Sie legen sich wie ängstliche Hunde, die sich Nachts zusammenrotten. In dieser Dunkelheit wacht die Mutter bei ihrem Kind mit monotonem Gebet. Sie hockt am Boden und hält das Kind im Schoß. Umständlich steht sie auf und hält mir das Kind entgegen.
»Amira«, sagt sie, auf das Kind blickend. Ich lege das Kind auf eine Matte. Es ist sehr leicht. Ich frage nicht nach seinem Alter, sie hätte gesagt, es sei zehn Jahre alt, doch ich trage das Gewicht einer Zweijährigen. Auszehrung. Rasselnde Atemgeräusche. Erhöhter Puls. Bläuliche Lippen. Kein Fieber. »Tuberkulose«, denke ich und sage: »Ich habe dafür keine Medikamente. Zu spät.«
Die Kerosinlampe brennt unbewegt.
Ich kehre zu meinem Lagerplatz am See zurück. Die große Sonnenscheibe fällt bereits hinter den Horizont. Mein Fieber steigt. Erst die Kälte, dann das Fieber. Malaria.
Die Sonne schwankt. Ihre letzten Strahlen schießen wie rote Hexen über die Steppe. »Allah Karim«, hat die Frau gesagt, als sie mir ihr Kind entgegen hielt, »Allah Karim.« Gott ist gnädig
Malaria. Der Baum, unter dem ich liege, dreht sich ächzend in meinem Fieber. Er schwankt und sucht mit kantigem Geäst im Himmel nach Halt. Aber der Himmel weicht zurück. Da wandelt er sich zu einer großen