Budschakenblut. Martina von Schaewen

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Budschakenblut - Martina von Schaewen

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merkte, wie ihr der Schweiß ausbrach.

      Die Frau des Küsterlehrers kam ihr zu Hilfe und schlug mit der Hand auf der Tisch: »Ruhe! So geht das nicht. Jetzt seid alle still!« Aufmunternd nickte sie Olga zu, die dankbar zurück lächelte.

      Olga räusperte sich. »Lasst mich zuerst ein paar Worte sagen, bevor ich euch zeige, was ich dabei habe.«

      »Mach doch zuerst ...« kam der Einwand aus der hinteren Reihe. Ein strenger Blick der Lehrersfrau reichte jedoch aus, um die Sprecherin verstummen zu lassen.

      Olga dachte einen kurzen Moment an die Schweißflecke, die sich bereits unter ihren Achselhöhlen auf dem Kleid gebildet haben mussten. »Wir alle sind froh ...« Eine Menge Spucke sammelte sich in ihrem Mund an. Olga schluckte und begann erneut: »Wir alle sind froh, dass der Krieg endlich zu Ende ist.«

      Sogleich setzte ein gelangweiltes Stöhnen unter den Frauen ein. Sie blickten Olga verständnislos, manche aber auch fragend und neugierig, an.

      Diese bemühte sich um eine feste und laute Stimme und fuhr fort: »Eine neue Zeit ist angebrochen. Eine Zeit, die wir nutzen sollten. Ich meine, wir Frauen.« Olga machte eine kurze Pause und schaute in zustimmende Gesichter. »Die meisten von euch sind Bäuerinnen. Ihr arbeitet nicht nur im Haus, sondern auch auf dem Hof, im Stall und im Sommer vor allem auf dem Feld.« Olga sah viele nickende Köpfe. »Wenn ihr einmal daran denkt, was ihr bei eurer Arbeit am Körper tragt, dann müsst ihr zugeben, es sind dunkle Schürzen über den Kleidern und meist schwarze Kopftücher.« Um die Wirkung ihrer Worte zu unterstreichen, legte Olga eine kurze Pause ein.

      »Sollen wir jetzt keine Schürzen mehr anziehen und unsere Kleider beschmutzen?«, kam ein Zwischenruf.

      »Meinst du, es macht einen Unterschied, ob wir rote oder schwarze Tücher auf dem Kopf tragen?«, fragte eine der Umstehenden.

      »Bei den Ochsen im Stall vielleicht schon«, kam aus den hinteren Reihen die Antwort.

      »Wen interessiert schon, was für eine Farbe unsere Tücher haben?«, fragte die Frau, die rechts neben Olga stand.

      »Mein Albert daheim merkt doch nicht mal, ob ich was auf dem Kopf habe. Er merkt nur, wenn sein Essen abends nicht pünktlich auf dem Tisch steht.« Verständnislos schüttelte diese Sprecherin den Kopf.

      »Was willst du eigentlich von uns?«, ertönte eine schrille Stimme aus einer Ecke.

      »Sie will uns die Schürzen und Kopftücher wegnehmen«, lachte jemand hinter Olga.

      »Jedenfalls möchte ich...« Olgas Stimme versagte unter dem allgemeinen Gelächter und Geschnatter der Frauen. Abermals kam ihr die Frau des Lehrers zu Hilfe: »Frauen, so geht es nicht. Ruhe bitte, lasst Olga reden.«

      Olga begann erneut: »Ich will euch nichts wegnehmen. Ich will es ersetzen. Eure langweiligen Kopftücher durch etwas ersetzen, das zum einen eure Haare besser gegen Sonne und Staub schützt und euch zum anderen endlich voneinander unterscheidet. Auch die dunklen Schürzen werden ersetzt. Keine Angst, ich habe nur einen neuen Schnitt erfunden. Ein raffinierter Schnitt zusammen mit unterschiedlichen Stoffen und Mustern würde euch einmalig machen. Ich finde, keine Bäuerin sollte ein schwarzes Kopftuch tragen. Weder bei der Feldarbeit, noch bei sonst einer Arbeit. Alle reden von einem Neuanfang. Wir Bessaraberinnen machen den Anfang, in dem wir mutig Neues in der Mode ausprobieren. Keiner kann mehr behaupten, dass wir, wenn wir schon am Ende Europas leben, so doch, was die Mode angeht, fortschrittlich nicht nur mithalten, sondern vorauseilen.« Olga schaute in die Runde und sah in überraschte Gesichter.

      »Jetzt will ich euch nicht länger hinhalten.« Sie öffnete langsam den Deckel des Koffers. Die umstehenden Frauen blickten neugierig und verwundert auf den Inhalt.

      Ein Staunen ging durch den Raum.

      »Was soll das denn sein?«, schrie eine alte Bäuerin dazwischen.

      Diesmal ließ sich Olga nicht irritieren.

      Behutsam stellte sie ein Drahtgestell auf den Tisch.

      Die runden Drahtreihen, die in gleichem Durchmesser in die Höhe gearbeitet waren, verbanden blaue Streifen aus Stoff. Sie waren so um den Draht geflochten, dass er für den Betrachter kaum noch sichtbar war. »Was ihr hier seht, ist ein Haubenhut. Das«, Olga zeigte auf das Drahtgestell, »sind geflochtene Bänder aus Seide. An diesem Modell für den Sommer wird nur Seide verwendet, weil ihr dann bei der Hitze einen kühlen Kopf behaltet. Dieses Tuch, das von dem eigentlichen Hut, der Haube, herabhängt, schützt eure Ohren und den Nacken vor der Sonne. Hier oben an der Haube ist ein Loch, ihr werdet gleich sehen, wofür das gebraucht wird.« Olga blickte kurz zu den Frauen auf und schaute in ungläubige Gesichter. »An diesem Loch wird der Draht mit dem Stoffsäckchen hier befestigt. Ich zeig euch das gleich mal. Ach ja, auch bei den Farben des Stoffes habe ich mir etwas gedacht. Die eigentliche Haube, also das Gerüst ist blau, wie der bessarabische Himmel. Der Ohren- und Nackenschutz und das Säckchen oben sind goldfarben, wie die Ähren auf den Feldern. Ich habe es das Modell ‚Himmel und Erde’ genannt. Himmel und Erde wird aus Seide gefertigt. Im Winter habt ihr die Wahl zwischen Tschainik ...«

      »Welche Frau will schon eine Tschainik auf dem Kopf tragen?«, kam es aus den hinteren Reihen. Alle im Raum wussten, dass das Wort Tschainik aus dem Russischen kam und Teekanne hieß.

      Noch ließ sich Olga durch diesen Zwischenruf nicht stören. »Und es gibt noch das Modell ‚Arbuse‘.«

      Gelächter machte sich im Raum bemerkbar, denn alle wussten, dass mit Arbuse die Wassermelone gemeint war.

      Unsicher sprach Olga weiter: »Die beiden Modelle sind für den Winter gedacht. Tschainik soll aus schwerem Brokatgewebe sein und Arbuse aus dunkelrot eingefärbter Schafwolle. Die elegantere Variante auch in dunkelrotem Samt.« Das Gelächter war in der Zwischenzeit verebbt und Olga schaute in fragende Gesichter. »Ich meine, das mit dem Samt und dem Brokat ... Na ja, wenn es eben wieder welchen zu kaufen gibt.« Olgas Unsicherheit war wie weggeblasen und in ihrer augenblicklich aufflammenden Euphorie nahm sie die bedrückende Stille im Raum gar nicht wahr. Sie deutete die Ruhe als Zeichen der Bewunderung. Die boshaften Blicke, die sich die Frauen untereinander zuwarfen, bemerkte Olga genauso wenig wie das überhebliche Grinsen, das mancher Siedlersfrau im Gesicht stand.

      Fest überzeugt von ihrem genialen Einfall des Haubenhutes machte sich Olga daran, das Modell vorzuführen.

      Olga beugte ihren Oberkörper nach vorne und ließ ihre dicke Lockenmähne vorfallen. Sie umfasste ihre Haare mit einer Hand, während die andere nach einem Stoffband im Koffer griff. Kopfüber band sie die Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen.

      Dann warf sie ihren Kopf wieder zurück und griff nach ihrem Haubenhut. Sie setzte sich das Drahtgestell auf den Kopf.

      Mit der einen Hand hob sie den Hut fest, mit der anderen suchte sie nach dem Pferdeschwanz und zog ihn durch das Loch oben aus der Haube heraus. Dann griff sie nach dem Stoffsäckchen, in das Draht eingenäht war. Sie steckte ihr Haarbüschel hinein und befestigte das Ende des Drahtes an dem Haubengestell.

      »Euer ganzer Kopf ist so geschützt vor Dreck, Staub und Sonne. Die langen Haare in dem Stoffsäckchen könnt ihr durch den Draht in die Form biegen, die ihr haben wollt. Ihr könnt ein Nestchen auf dem Kopf machen, alles als geraden Pferdeschwanz zu einer Seite oder nach hinten biegen. Ach, ihr habt so viele Möglichkeiten. Also ihr könnt jetzt den bessarabischen Haubenhut bei mir bestellen und ich mach mich sofort zu Hause an die Arbeit. Allerdings noch nicht die Modelle Tschainik und Arbuse. Aber Himmel und Erde auf jeden Fall.« Zufrieden nahm Olga das Drahtgestell wieder vom Kopf,

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