Budschakenblut. Martina von Schaewen
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»Unsere Männer schlagen uns so was ohne viel Worte vom Kopf, dann hat sich das mit dem Haubenhut erledigt.« Wohl ein ernstzunehmender Einwand, der von hinten kam.
»Olga, was glaubst du, was mein Alfred sagt, wenn ich mit Tschainik, Arbuse oder Himmel und Hölle auf dem Kopf nach Hause komme?«, fragte eine Siedlerfrau, die gegenüber von Olga am Tisch stand.
»Das Modell heißt Himmel und Erde«, verbesserte eine Andere.
Aus einer Ecke schrie eine Bäuerin durch den Raum: »Olga, da fehlen noch die Pfauenfedern oben drauf.«
Neben Olga ergriff jemand das Wort: »Haubenhut! So ein Blödsinn. Wer traut sich schon mit so einem Aufbau rumzulaufen und dann noch bei der Arbeit! Wenn wir so rumlaufen und die Fremdstämmigen sehen das, was meint ihr wohl, was die denken? Die halten doch alle Bessaraber für meschugge!«
Hinter Olga zischte ihr eine Frau böse ins Ohr: »Olga, vielleicht solltest du auch mal auf dem Feld arbeiten. Täte dir sicher gut. Dann hättest du nicht so unglaubliche Einfälle. Du solltest deine Zeit mit richtiger Arbeit ausfüllen. Näh Kleider, strick Pullover. Aber so was, ... Die bessarabische Bauersfrau mit Haubenhut!«
»Stellt euch vor, wir stehen auf dem Feld und haben diese Drahthauben auf dem Kopf. Und jetzt denkt an die schrecklichen Gewitter im Sommer. Da ist doch so ein Hut wie eine Todesfalle. Hast du das auch schon überlegt, Olga?«
Olga hörte nicht mehr hin. Sie hatte den Koffer bereits geschlossen und griff nach ihrem Tuch, das danebenlag. Eine kräftige Frau lehnte sich zu Olga über den Tisch und zischte böse: »Was kann man schon von einer Illg, die einen Idler zum Großvater hatte, erwarten. Die Mutter war immer so stolz.«
»Amalie hör auf«, wurde sie von der Küsterlehrersfrau aufgefordert.
Aber Amalie Müller kümmerte das wenig. »Das weiß doch jeder, dass sich die Katharina Illg immer für was Besseres gehalten hat.« Amalie kam mit ihrem Gesicht ganz nahe an Olga. Ihre Augen funkelten böse: »Ha, wie die immer durch Sarata stolziert ist.«
Olga konnte den schlechten Atem der Frau nicht ertragen und wich zurück.
Wieder war es die Frau des Lehrers, die sich einmischte: »Olga, wir wissen doch, ...«
Olga hörte ihre Worte nicht mehr. Sie rannte mit ihrem Koffer und ihrem Wolltuch in der Hand auf die Straße hinaus.
Ohne anzuhalten lief sie schnell nach Hause.
In der Bachstraße angekommen, stürzte sie keuchend in die Küche. Ihre Schwester Berta saß am Küchentisch und war gerade dabei, die restlichen Pfannkuchen vom Mittag zu essen. Als sie Olga so außer Atem mit verheultem Gesicht sah, schluckte sie, ein Stück Pfannkuchen im Mund, ohne zu kauen hinunter. »Mein Gott Olga, was ist denn passiert?«
Olga warf ihren Koffer in die Ecke und ließ sich auf einen Stuhl fallen. »Ich hätte auf dich hören sollen. Es war so, so schrecklich. Warum hab ich nicht auf dich gehört?« Olga rannen die Tränen über die Wangen. Vor lauter Wut weinte und schluchzte sie hemmungslos.
»Diese Amalie Müller, diese Maschka! Eine Baraska ist das, ein Durak!«
Berta verstand diese Schimpfworte gut. So bedeutete Maschka eine dicke Frau, Baraska eine in ihren Arbeiten langsame Frau und Durak einfach Dummkopf.
Berta versuchte ihre Schwester ein wenig zu trösten. »Olga, schon unsere Mutter hat sich in diesen Dingen bei den Frauen hier aufgerieben.«
»Die hätte mich verstanden.«
»Die Müller war schon immer ein Weibsbild mit einer lockeren Zunge. Aber im Grunde redet sie nur gerne und viel.«
»Die stinkt so aus dem Maul.«
»Olga, jetzt hör aber auf!«
»Tschort wosmi!« Olga wiederholte die zwei Worte noch einmal in Deutsch: »Hol’s der Teufel!«
Berta reichte ihrer Schwester ein Taschentuch. Olga wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. »Diese Weiber hier sind doch alle gleich. Ich hab’ das alles so satt, ich geh’ hier fort.«
»Ich versteh, dass du enttäuscht bist. Aber wo willst du denn hin? Du gehörst hierher. Du wirst sehen, wenn hier alles wieder in geregelten Bahnen läuft, kommen auch deine Ideen an. Die Menschen sind noch verwirrt vom Krieg. Bestimmt wollen sie bald ...«
»Trinken wir einen von Großvaters Weinen oder den Nussschnaps?«; unterbrach Olga.
Berta stand auf und füllte einen Krug mit Wein. Olga ging zum Küchenschrank und holte zwei Gläser. Berta zeigte auf die drei Pfannkuchen, die noch auf dem Teller lagen. Ihre Schwester schüttelte den Kopf. Sie konnte doch nach so einer Enttäuschung keine Pfannkuchen essen. Ihr war der Appetit vergangen. Berta hingegen stopfte die Mehlspeise genüsslich in sich hinein.
Seit dem Tod der Mutter nahm Bertas Körper von Woche zu Woche rundlichere Formen an. Während Olga stetig schmäler wurde und manchmal vergaß, dass sie noch nichts gegessen hatte, schaufelte sich Berta aus Kummer alles Essbare, das sie erwischen konnte, in den Mund.
Nach zwei Gläschen Wein ging Berta zu Bett. Olga blieb noch solange in der Küche sitzen, bis kein Tropfen von dem Wein mehr im Krug war. Dann stand sie auf und ging in die Kammer ihrer verstorbenen Mutter.
Jedes Mal, wenn sie diesen Raum betrat, war es, als bliebe ihr Herz einen kurzen Moment stehen. Sie sah dann vor sich auf dem Bett die tote Katharina liegen.
Weder Olga noch ihre Schwester hatten es bisher geschafft, in Katharinas Kammer etwas zu verändern.
Olga stellte die Petroleumlampe auf der Kommode ab. Sie griff zu einem gerahmten Foto das die Mutter und den Vater auf deren Hochzeitsreise zeigte. Olga nahm das Foto und blickte in den kleinen Spiegel, der über der Kommode hing. Sie begann, ihr Äußeres mit dem Katharinas zu vergleichen. Sie war das Ebenbild ihrer Mutter.
Die gleichen braunen schulterlangen Locken, die gleiche zarte Gestalt, den schmalen Körperbau, der fast zerbrechlich wirkte. Der einzige Unterschied zwischen Mutter und Tochter waren die Augen. Katharinas Augen waren strahlend blau gewesen, während Olga unterschiedliche Augenfarben hatte. Eines war leuchtend blau und das andere strahlend grün. Olga seufzte, da hatte sich wohl der Herrgott nicht entscheiden können.
Jeder, der Olga und Katharina kannte, hatte stets betont wie ähnlich sich die beiden auch in ihrem Wesen waren. Die gleichen Interessen, der gleiche Starrsinn, um ein Ziel zu erreichen, die gleiche Verletzlichkeit. Beinahe so, als wären sie eine Person.
Olga öffnete die oberste Schublade der Kommode und holte eine große Schere heraus.
Sie grinste sich im Spiegel an. »Was brauchen wir Weiber einen Haubenhut! Wir schneiden uns einfach die Haare ab!« Sie hob einen dicken Haarschopf in die Höhe und schnitt ihn mit einem Ruck ab. Je schneller sie schnitt, desto besser wurde ihre Laune. Als keine Locke mehr bis zur Schulter reichte, legte sie die Schere zurück, lief in die Küche und kam mit einem Glas Nussschnaps zurück. Lachend prostete sie ihrem Spiegelbild zu und kippte den Schnaps in einem Zug hinunter.
Dann griff sie zur Lampe und beleuchtete die abgeschnittenen Locken, die auf dem Holzboden lagen.
»Tschort wosmi«, lachte sie und schloss die Tür der Kammer hinter sich.
Berta