Mamsellenmord in der Friedrichstadt. Horst Bosetzky
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Читать онлайн книгу Mamsellenmord in der Friedrichstadt - Horst Bosetzky страница 3
»Woran arbeiten Sie denn gerade?«, fragte Gontard, nachdem man sich kollegial-freundschaftlich begrüßt hatte. »Oder ist das noch ein streng gehütetes Geheimnis?«
»Nein, nein.« Siemens zögerte nicht, darüber zu reden.
»Im Augenblick versuche ich, den Zeigertelegraphen zu verbessern.«
»Was bitte?« Gontard musste da eine Bildungslücke eingestehen.
Werner Siemens holte zu einer längeren Antwort aus.
»Der Zeigertelegraph dient zur Übermittlung von Nachrichten Buchstabe für Buchstabe. Er ist ganz einfach zu bedienen. Im Geber wie im Empfänger kreist gleichlaufend ein Zeiger, der manuell eingestellt wird. Wenn der Zeiger bei dem sendenden Apparat verstellt wird, führt dies zu einer entsprechenden Verstellung des Zeigers bei dem Gerät, das die Nachrichten empfängt. So können die einzelnen Buchstaben eines Textes mühelos übermittelt werden.«
»Ah ja.« Gontard hatte verstanden. »Das ist ja viel einfacher als beim Morsetelegraphen. Man muss nicht erst das Morsealphabet lernen … zum Beispiel die Bedeutung von: dit, dit, dit - dit, dit - dit - da, da - dit - da, dit - dit, dit, dit.«
Siemens lachte und klatschte in die Hände. »Bravo – aber was wollten Sie mir damit sagen?«
»Es war Ihr Name, den ich da gemorst habe.«
»Ich will Ihnen einmal vorführen, wie so ein Zeigertelegraph funktioniert«, sagte Siemens. »Kommen Sie mit in meine Werkstatt!«
Dort angekommen, zeigte er Gontard die beiden Modelle, die er entscheidend zu verbessern suchte: den Zeigertelegraphen, den Charles Wheatstone 1839 konstruiert hatte, und das Gerät von August Ephraim Kramer aus Nordhausen.
»Mein Telegraph gebraucht nur einen Draht, kann dabei wie ein Klavier mit Tasten gespielt werden und übermittelt die Informationen mit der größten Sicherheit und mit einer solchen Schnelligkeit, dass man fast so schnell telegraphieren kann, wie die Tasten nacheinander gedrückt werden. Dabei funktioniert er lächerlich einfach und ganz unabhängig von der Stärke des Stroms«, erklärte ihm Siemens.
Gontard war beeindruckt. »Und Ihren Apparat, den werden Sie dann in einer Fabrik fertigen lassen?«
»Es gibt keine Fabrik, die dafür ausgerüstet ist«, erwiderte Siemens. »Die müsste man erst erschaffen. Und ob ich in Berlin Mechaniker dafür finden werde, ist fraglich.«
»Ich hoffe, das wird Ihnen gelingen«, sagte Gontard.
»Wenn erst alle Menschen solch einen Zeigertelegraphen bei sich zu Hause haben und jeder seine Gedanken derart rasant an alle weitergeben könnte!«
Siemens lächelte hintergründig. »Keine Angst, meine Zeigertelegraphen werden wohl nur in den Amtsstuben und bei der Königlich Preußischen Post zu finden sein.«
»Angst ist das falsche Wort«, murmelte Gontard. »Es ist wohl eher Hoffnung.«
»Unser König ist an mittelalterlichen Vorstellungen orientiert«, sagte Siemens. »Wir haben einen Romantiker auf dem Thron, aber der technische Fortschritt wird nicht aufzuhalten sein und damit …«
»… auch nicht die Revolution«, vollendete Gontard den Satz.
Damit verabschiedete er sich von Werner Siemens und machte sich auf den Weg zum Gensdarmen-Markt, wo er im Café Stehely seinen besten Freund, Dr. Friedrich Kußmaul, zu treffen hoffte.
Der Criminal-Commissarius Waldemar Werpel war schlecht gelaunt, ohne sagen zu können, weshalb. Vielleicht weil es Mai geworden war und er nur seine Minna hatte, mit der er auf die silberne Hochzeit zusteuerte. Acht Kinder hatten sie, und um das neunte zu verhindern, wagte er es schon gar nicht mehr, mit ihr das zu tun, was im Wonnemonat eigentlich nahelag.
Es wurde an die Bureautür geklopft - eigentlich mehr gebummert als geklopft –, und daran konnte Werpel erkennen, dass das nur der einfältigste unter seinen Constablern sein konnte.
»Krause, herein!«, schrie er.
Krause trat ein, knallte die Hacken zusammen und legte die Handkante an die Mütze. »Melde gehorsamst: Es ist eine furchtbare Bluttat geschehen.«
Werpel zuckte zusammen, denn das ließ Arbeit und Ärger erwarten. »Wen hat es denn getroffen?«
»Die Jolanthe aus der Brunnenstraße.«
Jetzt ließ Werpel doch das nötige Mitgefühl erkennen.
»Wie, die Mamsell vom Cigarrenhändler Krummrey?«
»Nein, die Sau vom Tillack.«
Werpel sprang auf. »Krause, wenn Sie mich veralbern wollen … Ich weiß, dass Tillack sein Schwein in dieser Woche schlachten wollte.«
»Ja, aba letzte Nacht is eena jekommen und hat et ihm abjeschlachtet.«
»Wegen des Fleisches?«, wollte Werpel wissen.
»Nee, wejen dem Blutrausch, spricht der Tillack. Sie soll’n bei ihm komm’n und sich det mal anseh’n.«
Werpel reagierte unwirsch. »Wieso denn immer ich? Das ist doch nicht unser Revier.«
»Aba se ham da nur een Commissarius, und der is krank. Und Tillack sagt, det is ’ne schwere Bluttat. Seine Sau is von Mörders Hand jemeuchelt wor’n.«
Werpel zog den Gürtel fester und nahm seinen Rock vom Kleiderhaken. »Los, marschieren wir mal hin!«
Vom Molkenmarkt bis zum Rosenthaler Thor war es ein ganzes Stück zu laufen, die Spandauer Straße entlang, über die Spandauer Brücke und den Hackeschen Markt hinweg und dann die Rosenthaler Straße hinauf.
Werpel schimpfte gewaltig. »Schon der Alte Fritz ist zwischen Rosenthaler Thor und Gesundbrunnen beinahe zu Tode gekommen.«
»Wieso?«, fragte der Constabler Krause. »Hat ihn da eine Kugel der Russen getroffen?«
»Unsinn!«, rief Werpel. »Das passierte 1758 in der Schlacht bei Zorndorf. In der Brunnenstraße ist er mit seiner Kutsche umgestürzt und hätte sich um ein Haar das Genick gebrochen.«
Als Folge des glimpflich verlaufenen Unfalls hatte der König die Straße zur 1760 eröffneten Heilquelle an der Panke, dem späteren Gesundbrunnen, erneuern lassen. Sie hatte zunächst den Namen Straße nach Rosenthal getragen, ab 1801 war sie als Brunnenstraße in den Stadtplänen verzeichnet. Zu Zeiten Friedrichs II. war außerhalb der Stadtmauer östlich vom Rosenthaler Thor Wein angebaut worden, während es westlich davon als Folge eines skrupellos abgeholzten Waldes eine ausgedehnte Sandwüste gegeben hatte. Hier war die Kolonie Neu-Voigtland entstanden. Gedacht als Siedlung für Handwerker aus dem Vogtland, war sie inzwischen zur letzten Zufluchtsstätte für Arme und Obdachlose geworden.
Theodor Tillack war ein Grundbesitzer, der aus billigstem Material eine Reihe von sogenannten Familienhäusern errichtet hatte, in denen es so kalt und feucht war, dass die Bewohner zwangsläufig krank werden mussten. Er selbst lebte auf Höhe von Wollanks Weinberg in einem kleinen Herrenhaus, an dessen Hof sich mehrere Stallungen anschlossen. Und in einem dieser Ställe war die Sau Jolanthe abgestochen worden.
»Das