Mamsellenmord in der Friedrichstadt. Horst Bosetzky
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Читать онлайн книгу Mamsellenmord in der Friedrichstadt - Horst Bosetzky страница 5
Gontard hatte den richtigen Animus gehabt: Kußmaul saß schon im Café Stehely, blätterte in einem Roman und wartete auf ihn. Man begrüßte sich mit gewohnter Herzlichkeit.
»Was liest du denn da?«, fragte Gontard.
Kußmaul lachte. »Das, was die bevorzugte Lektüre unseres Königs ist: August Lafontaines Klara du Plessis und Klairant. Eine Familiengeschichte französischer Emigrierter.«
Gontard verzog das Gesicht. »Lafontaine ist ein eitler und oberflächlicher Schwätzer.«
August Heinrich Julius Lafontaine, 1758 in Braunschweig geboren und 1831 in Halle an der Saale gestorben, war von Haus aus Theologe und 1792 dem preußischen Heer als Feldprediger in die Champagne gefolgt. Danach hatte er sich auf sein Landgut zurückgezogen, über sechzig triviale wie auch sentimentale Romane verfasst und es zu einem der meistgelesenen Schriftsteller in den deutschsprachigen Ländern gebracht.
Der Freund verteidigte seine Lektüre. »Ich muss mich mit den Hugenotten vertraut machen, denn Luise ist nicht wenig stolz auf ihre Herkunft.«
Diese Bemerkung bezog sich auf seine Braut Luise Kahlbaum, deren Großmutter eine Cathérine Gillieux gewesen war. Sie konnten dieses ergiebige Thema aber nicht weiter vertiefen, denn in diesem Augenblick trat Kußmauls Bruder Adolf an den Tisch. Er hatte gerade sein medicinisches Staatsexamen abgelegt und war in Heidelberg Assistent von Karl von Pfeufer geworden.
»Pfeufer ist ein interessanter Mann«, erklärte er. »Vor zwei Jahren hat er die Zeitschrift für rationelle Medicin mitbegründet. Gemeinsam haben wir uns die Aufgabe gestellt, physiologische und pathologische Tatsachen auf physikalische und chemische Prozesse zurückzuführen.«
»Und was ist mit der Seele?«, fragte Gontard.
»Haben Sie jemals eine Seele gesehen? Hat Daguerre jemals eine Seele auf seine photographischen Platten gebannt?«, kam die Gegenfrage.
So uneinig sie sich in dieser Frage waren, so einig waren sie sich in der Einschätzung der politischen Lage und in der Forderung nach einer demokratischen Verfassung.
»Aber die bekommen wir nicht unter diesem König«, sagte Adolf Kußmaul. »Bei Friedrich Wilhelm IV. kann ja die Abneigung gegen alle Reformen nur als pathologisch bezeichnet werden.«
»Pst!«, machte Gontard, denn die Politische Polizei hatte ihre Schnüffler überall sitzen.
»Hoffen können wir nur auf den Sohn unseres Königs«, erklärte Friedrich Kußmaul.
Sein Bruder staunte. »Ich denke, er ist impotent?«
»Pst!«, wiederholte Gontard und fügte in Richtung eines Mannes, den er für einen Spion Dr. Wiesenburgs hielt, laut hinzu: »Unser König hat die Kraft, das wilde Tier der Revolution zu bändigen.«
»Und zwar mit Hilfe des Herrn von Bunsen«, fügte Adolf Kußmaul hinzu.
Der König hatte den Theologen, Philosophen und Weltmann Christian Karl Josias von Bunsen 1828 auf einer Italienreise kennen und schätzen gelernt. Bunsen, damals preußischer Ministerresident beim Heiligen Stuhl, wurde verspottet, dass er - wie der König auch - unter dem Verhängnis einer vielseitigen Begabung litte, die Großes versprechen und stolze Entwürfe hervorbringen würde, ohne dass es aber je zu einem vollendeten Werk gereicht hätte.
»Alles liegt in Gottes Gnade«, sagte Friedrich Kußmaul in Anspielung darauf, dass sich Friedrich Wilhelm IV. immer wieder auf sein Gottesgnadentum berief. »Fatal ist es allerdings, wenn dieser Gott die Zeichen der Zeit partout nicht erkennen will.«
Ihr Diskurs wurde unterbrochen, als aus der Küche die Mamsell Johanna Kuschnowski herbeigeeilt kam, um sich bei Dr. Friedrich Kußmaul zu bedanken.
»Sie haben mir wirklich jeheilt, Herr Jeheimer Sanitätsrat!«, rief sie und schüttelte dem ein wenig entsetzten Arzt die Hand. »Et is würklich nüscht mehr zu sehen von allet. Mir war ja dreiste schon mein Bräutijam wegjeloofen, denn alßa mir mal anjefasst hat, da …«
»Lassen Sie’s gut sein, mein verehrtes Fräulein!« Friedrich Kußmaul war wenig erbaut davon, dass der Fall hier in aller Öffentlichkeit diskutiert werden sollte, denn die korpulente Mamsell hatte unter einem mächtigen Herpes zoster gelitten, den er mit seiner medicinischen Kunst nicht in den Griff bekommen hatte, so dass er sie in seiner Hilflosigkeit zu einer alten Frau geschickt hatte, die sich auf das Besprechen von Gürtelrosen verstand - und Erfolg gehabt hatte. Das musste sein Bruder aber nicht unbedingt wissen.
Gontard grinste und empfahl sich. »Ich muss noch zu Willibald Alexis. Er feiert mit seinen Freunden aus der Mittwochgesellschaft das Erscheinen seines neuesten Romans - Die Hosen des Herrn von Bredow.«
Willibald Alexis war am 29. Juni 1789 in Breslau auf die Welt gekommen, in der Stadt, aus der dem Volksmund zufolge jeder echte Berliner kam. 1806 war er mit seiner Mutter nach Berlin gezogen, 1815 hatte er als Freiwilliger an den Befreiungskriegen teilgenommen. Danach hatte er begonnen, Rechtswissenschaft und Geschichte zu studieren, unter anderem bei Friedrich Carl von Savigny und Friedrich von Raumer, und war 1820 Referendar am Criminalsenat des Kammergerichts geworden. Nach dem Erfolg seiner ersten Romane schied er aus der Beamtenlaufbahn aus und errang mit Cabanis, in dessen Mittelpunkt Friedrich der Große stand, mit Der Roland von Berlin und mit Der falsche Waldemar einen Erfolg nach dem anderen. Alle seine Stoffe waren der märkisch-brandenburgischen und preußischen Geschichte entnommen. Eigentlich hieß er Georg Wilhelm Heinrich Häring, aber um zu vermeiden, dass man Witze über seinen Namen machte, hatte er sich ein Pseudonym zugelegt. Seit 1836 lebte er in der Friedrichstadt, genauer in der Wilhelmstraße 97, also zwischen Leipziger und Zimmerstraße. 1838 hatte er Laetitia Perceval geheiratet, deren Vorfahren aus England stammten. Sein Haus war zu einem Treffpunkt des literarischen Berlin geworden.
Nun hatte Christian Philipp von Gontard nichts weiter geschrieben als ein kleines Gedicht zum dreißigsten Geburtstag seiner Frau, aber Henriette war über drei Ecken mit der Familie der Edlen Herren Gans zu Putlitz verwandt, und der Schriftsteller und Theatermann Gustav Gans war mit Willibald Alexis befreundet und hatte Gontard im letzten Winter zu einem Treffen mitgenommen.
Auch heute wieder hatte sich eine illustre Gesellschaft in der Wilhelmstraße versammelt, an ihrer Spitze Ludwig Tieck und Julius Eduard Hitzig, dann Konrad von Sandkirchen, ein hoher Beamter des Hofes, und Daniel Grahsen, ein Schreiber der Vossischen Zeitung.
Auf dessen Wohl hob Willibald Alexis sein Glas. »Herzlichen Dank für Ihre Wertschätzung meiner Romane und in der Hoffnung, dass auch Die Hosen des Herrn von Bredow Ihre Wertschätzung finden werden.«
Grahsen verneigte sich. »Ehre, wem Ehre gebührt.« Gontard hatte gelesen, was Grahsen geschrieben hatte:
Alle seine Romane sind von wärmsten Patriotismus durchdrun gen und bieten meisterhaft ausgeführte geschichtliche Zeit und Sittenbilder, so dass Willibald Alexis mit Recht der märkische Walter Scott genannt worden ist.
»Hoffentlich hat es der König auch gelesen«, sagte Julius Eduard Hitzig.
Das war eine Anspielung auf einen Brief, den der König Willibald