Mamsellenmord in der Friedrichstadt. Horst Bosetzky
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Der Brief des Königs war nicht weniger eindeutig gewesen: Mit Widerwillen habe ich einen Mann von Ihrer Bildung und literarischer Bekanntheit in der Klasse derer gefunden, die es sich zum Geschäft machen, die Verwaltung des Landes durch hoh le Beurteilung ihres Tuns, durch unüberlegte Verdächtigung ihres nicht von ihnen begriffenen Geistes vor der großen meist urteils losen Menge herabzusetzen und dadurch ihren schweren Beruf noch schwerer machen.
Gontard sah Konrad von Sandhausen, den Obergewandkämmerer Friedrich Wilhelms IV., an. »Was sagen Sie denn dazu, dass der Romantiker auf dem Thron einen Mann, den andere anklagen, er verherrliche die Hohenzollern und die Preußen, derart abkanzelt? Einen überzeugten Monarchisten!«
Der Hofbeamte wand sich ein wenig. »Bitte verstehen Sie, dass der König keine Verfassung zwischen sich und dem Volke dulden will. Er hat die Gnade Gottes, und der Herr weist ihm jedes Mal den rechten Weg, das Volk aber kann niemals wissen, was richtig ist.«
»Weil es seit Jahrhunderten dumm gehalten wird«, sagte Grahsen.
»Mit Verlaub, mein Herr, Preußen hat bereits 1717 die allgemeine Schulpflicht eingeführt.«
»Ohne jedoch auf dem flachen Lande ausreichend für Schulen und Lehrer zu sorgen. Abgehalfterte Feldwebel werden auf die Kinder losgelassen.« Grahsen erregte sich immer mehr.
»Denken Sie aber an die Bildungsreformen Wilhelm von Humboldts«, hielt ihm von Sandhausen entgegen, »und an unser humanistisches Gymnasium!«
Ludwig Tieck beteuerte mit schwacher Stimme, dass der König ein guter Mann sei.
»Kein Wunder«, sagte Gontard, »hat er Sie doch vor vier Jahren als König der Romantik von Dresden nach Berlin zurückgeholt.«
»Wie?« Tieck, immerhin schon 73 Jahre alt, ging es gesundheitlich sehr schlecht, und Willibald Alexis hatte viel Mühe aufwenden müssen, ihn zum Besuch in der Wilhelmstraße zu bewegen. Sein letzter großer Roman, Vittoria Accorombona, der vom Untergang einer römischen Familie handelt, war schon vor sechs Jahren erschienen, und er schien langsam zu verstummen.
Jeder bekam nun aufgetragen, auf die Stellen einzugehen, die ihm in Willibald Alexis’ neuestem Roman am besten gefallen hatten, und Gontard wurde als Erster aufgerufen. Schnell hatte er im aufgeschlagenen Buch seine Passage gefunden:
Überall war Ordnung und das wartende Auge der Hausfrau sicht bar. Jeder, Mägde, Knechte, Töchter, Verwandte und Freunde, bis auf die Hunde hinab, schien sein besonderes Geschäft zu haben. Die begossen mit Kannen, die schöpften aus dem Fließ, die trugen das Wasser. Jene nestelten an den Stricken, welche zwischen den Kieferstämmen angespannt waren; sie prüften die Klammern, sie sorgten, dass die nassen Stücke sich nicht überschlugen. Dort hingen gewaltige Kessel über ausgebrannten Feuerstellen, und daneben standen Tonnen und Fässer. Aber diese Arbeit schien vorüber; nur auf den einzelnen Waschbänken, die in das schilfige Ufer des Fließes hineingebaut waren, spülten noch die Mägde mit hochaufgeschürzten Röcken und zurückgekrempelten Ärmeln. Es war die feinere Arbeit, die man bis auf die Letzt gelassen, die jede für sich mit besonderer Emsigkeit betrieb. Da gab es mancherlei Neckereien zwischen dem Schilf. Wollte aber ein Mann in die Nähe dringen, ward er unbarmherzig bespritzt.
»Das erinnert mich sehr an Szenen aus meiner Heimat«, sagte Konrad von Sandhausen, als ein jeder um Kommentare gebeten wurde. »Bei uns wurde immer am Flusse Szeszuppe gewaschen.«
Julius Eduard Hitzig schüttelte sich. »Wenn ich einen Fluss vor Augen habe, denn sehe ich immer nur eine Wasserleiche stromabwärts treiben.«
»Das ist eben Ihre professionelle Deformation«, hielt ihm Grahsen vor.
Das bezog sich darauf, dass Julius Eduard Hitzig, 1780 in Berlin als Isaac Elias Itzig auf die Welt gekommen, vor dem Ruhestand dem Staat als Justizbeamter, Director des Inquisitoriats und Mitglied im Criminal-Rat gedient hatte und neben Zeitschriften zur Strafjustiz auch - gemeinsam mit Willibald Alexis - den Neuen Pitaval herausgab, in dem Hunderte von Criminalfällen veröffentlicht wurden.
Hitzig konnte nichts mehr erwidern, denn in diesem Augenblick brachte die Mamsell einen kleinen Imbiss ins Zimmer, und die Herren schwiegen erst einmal, denn mit vollem Munde sprach man nicht. Danach wurde munter weiterdebattiert, bis Ludwig Tieck die Augen zufielen und mit ihm auch Daniel Grahsen und Konrad von Sandhausen die gastliche Stätte verließen. Gontard, Hitzig und sieben andere Männer blieben noch. Zwei weitere Stunden vergingen, und als Letzter war Julius Eduard Hitzig an der Reihe. Er hatte sich eine recht deftige Stelle ausgesucht.
»Wer wäscht die Nebel fort am Herbstmorgen, wer das schmutzi ge Winterkleid der Erde, und der Frühling steht da vor dem Herrn in seinem reinen Blumenkleide, von würzigen Düften umsäuselt. Des Menschen Hand hat nichts dazu getan.«
»Dechant, ich meine, in jedem guten Haus ist Reinlichkeit die erste Tugend, und wer sich auf Erden nicht gewaschen hat, der kommt auch nicht rein in den Himmel. Wie’s in einem geistlichen Haus steht, das weiß ich nicht, dafür lass ich andere sorgen. Aber wenn ich zu sorgen hätte, wisst Ihr, was ich täte?«
»Nur zu, Base,«, rief der Junker, die Hände reibend, »steckt ihn in den Waschkessel!«
»Ach was, ihn allein! Das müsste ein Kessel sein wie der Müggelsee, und die ganze Klerisei hinein mit allen euren Salben und Öl, Äbte, Bischöfe, Klöster, Nonnen und Mönche. Und Lauge dazu, bitter salzige, und umrühren wollte ich.«
»Kochen, Base! Ein Feuer darunter, das der Gottseibeiuns heizen müsste, sonst werden sie nicht rein.«
»Das Wasser würde schwarz werden schon von euren kleinen Verstecksünden, von der Eitelkeit, der Hoffart, dem Fraß, der Gleisnerei und Spiel und Trunk. Aber Wasser ist genug in der Mark. Abgeschäumt, ich würfe euch in einen neuen See. Da sötte ich aus eure Fleischessünden, doch das ist noch nicht das Größte, eure Habsucht und Herrschsucht und wie ihr verredet und verlästert, und nun wieder umgerührt.«
»Da kann ich den König schon verstehen, lieber Willibald Alexis, dass er Sie nicht sonderlich schätzt«, begann Gontard die Diskussion dieser Textpassage. »Da hat er gerade für die Katholiken den Weiterbau des Kölner Doms auf den Weg gebracht und will nun uns Protestanten mit einem gewaltigen Berliner Dom beglücken - und Sie polemisieren gegen den geistlichen Stand. Da möchte man doch …«
Weiter kam er nicht, denn in diesem Augenblick kam Laetitia Perceval völlig aufgelöst ins Zimmer gestürzt und rief, ehe sie in Ohnmacht fiel: »Man hat unsere Mamsell erstochen! Im Keller! Schrecklich zugerichtet liegt sie da in ihrem Blut.«
Drei
Albert Bölzke bummelte durch die Stadt und suchte nach Cigarrenresten, die jemand weggeworfen hatte. Manchmal war es die Hälfte einer Havanna, deren Geschmack einem Banquier oder Dandy nicht zugesagt hatte, meist aber nur ein schäbiger Stummel. An manchen Tagen war das Rauchen für Bölzke Frühstück, Mittag- und Abendbrot, da der Tabak eine Zeitlang den Hunger beschwichtigte. Eigentlich war er von Beruf Herumtreiber und Tunichtgut, aber da er bei den Behörden als Dienstmann registriert war - mit der Konzessionsnummer 52, die auf einem Messingschild zu sehen war, das er um den Arm trug –, konnte ihn kein Constabler mitnehmen und ins Armenhaus sperren. Zudem war er in gewisser