Der König vom Feuerland. Horst Bosetzky
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Читать онлайн книгу Der König vom Feuerland - Horst Bosetzky страница 10
»Und was hast du damit zu schaffen?«
»Ich soll die Pläne zum Umbau entwerfen.«
Beuth verzog das Gesicht. »Schade, ich sähe es lieber, wenn du dich ganz um Berlin kümmern würdest.«
Schinkel lachte. »Deine Gewerbeschule hier wird doch in Bälde so viele große Köpfe hervorbringen, dass Leute wie ich schnell entbehrlich werden.«
»Dein Wort in Gottes Ohr!«
Als August Borsig am letzten Sonntag im Februar am Ring stand und auf seinen neuen Freund Friedrich Hermes wartete, lief ihm sein alter Klassenkamerad Walter Rawitsch über den Weg. Sie hatten sich ein wenig aus den Augen verloren, dennoch begrüßten sie sich mit einigem Hallo. Beide standen kurz vor ihrer Gesellenprüfung, Walter als Tischler, August als Zimmermann.
»Wir machen also beide unser Glück mit dem Holz«, sagte Walter Rawitsch.
Borsig winkte ab. »Ich bin über meinen Beruf gar nicht mehr so glücklich …«
Walter Rawitsch lachte. »Bist du also sozusagen auf dem Holzweg?«
»Eher in einer Sackgasse.«
»Besser in einer Sackgasse als auf einem Misthaufen.« Walter Rawitsch war immer noch der Alte. »Aber mit der schönen Henriette ist es trotz deines Opfers nichts geworden?«
»Leider nein. Oder Gott sei Dank – ganz wie man will.«
Walter Rawitsch kam ihm mit einer alten Volksweisheit: »Früh gefreit, hat nie gereut.«
»Wir haben ja noch unsere Walz vor uns. Wer weiß, wen ich da kennenlerne …«
Die Walz galt als Voraussetzung, um von der Zunft in den Meisterstand aufgenommen zu werden. Wenn ein Lehrling aus der Lehrzeit entlassen wurde, ging er als Geselle für ein bis drei Jahre, manchmal sogar noch länger, auf Reisen. Als »er-fahrener« und »be-wanderter« Mann sollte er nach abgeschlossener Wanderschaft in die Heimatstadt zurückkehren.
»Wohin treibt es dich denn?«, fragte Walter Rawitsch.
Borsig zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Irgendwie habe ich zu nichts mehr richtig Lust. Ein Leben lang nur Zimmermann sein … Ich weiß nicht …«
»Das erinnert mich an Goethes Die Leiden des jungen Werther.« Über diesen Roman hatten sie in der Schule eingehend gesprochen, und Mistek hatte den Gedanken an einen Selbstmord als zutiefst unchristlich und unpreußisch verdammt.
August Borsig winkte ab. »Das nicht, aber …« Ein Vergleich kam ihm in den Sinn. »Manchmal sehe ich mich als Kugel, die Gott auf die Kegelbahn gerollt hat. Ich möchte meinen Lauf gerne ändern, kann es aber nicht. Ich rolle und rolle …«
»Und am Ende deines Lebens heißt es dann: Volltreffer, alle Neune!«
»Oder aber die Kugel rollt von der Bahn und alle schreien: Eine Ratte!«
Nach diesem Gespräch verbrachten sie noch einen sehr angenehmen Tag miteinander, und als sie am Abend adieu sagten, verabredeten sie, sich von nun an öfter zu treffen.
Daraus aber sollte nichts mehr werden, denn am Donnerstag bekam August Borsig die Nachricht, dass Walter Rawitsch bei einem Unfall ums Leben gekommen war. Gemeinsam mit seinem Meister hatte er ein Sägewerk besichtigt, und dabei waren aufeinandergeschichtete Baumstämme ins Rollen gekommen und hatten ihm den Brustkorb zerquetscht. August Borsig trauerte lange um den Freund, und immer wieder musste er an dessen Worte denken: »Wir machen also beide unser Glück mit dem Holz.« Von wegen! Walter Rawitsch hatte das Holz den Tod gebracht, und August fragte sich, ob das ein Wink des Schicksals war, er selbst solle einen anderen Weg nehmen. Aber welchen denn? Die Kugel, die rollte unaufhaltsam … Bei aller Trauer kam ab und an ein Gefühl in ihm auf, dessen er sich furchtbar schämte, das er aber nicht ganz unterdrücken konnte: Gott sei Dank hat es ihn getroffen – und nicht mich! Wer weiß, was der Himmel mit mir noch vorhat? Aber was sollte er schon vorhaben? Zimmermeister zu Breslau würde er werden.
Nun, die erste Etappe auf diesem Weg hatte er am 12. März 1823 zurückgelegt. Da stand er im schwarzen Feiertagsanzug im Festsaal der Innung und bekam den Lehrbrief überreicht. Schnell überflog er die verschnörkelten Buchstaben. Die Alt- und Gildemeister des löblichen Zimmermittels der Haupt- und Residenzstadt Breslau bestätigten ihm, dass er vom Quartal Reminiscere 1820 bis Reminiscere 1823 die Zimmer-Profession bei dem Zimmermeister Georg Ihle gehörig erlernt habe.
Ihle schüttelte ihm zuerst die Hand und war sichtlich gerührt, dann gratulierten ihm auch die Eltern und sein Freund Friedrich Hermes.
Der Zimmermeister Caspar Kiesewetter, einer von den Alt- und Gildemeistern, hatte bei der Freisprechung alle Lehrlinge aufmerksam gemustert, dann hatte er August Borsig freundlich zugenickt und ihn zu sich herangewinkt. »Borsig, Sie gefallen mir von allen am besten, und ich würde mich freuen, wenn ich Sie als meinen Gesellen begrüßen dürfte.«
Was blieb August Borsig da anderes übrig, als sich artig zu bedanken? Aber dass jähe Freude in ihm aufschoss, ließ sich nicht behaupten. Die Kugel, die rollte unaufhaltsam … Offenbar kam alles so, wie es kommen musste.
Das Leben eines Zimmergesellen unterschied sich von dem eines Zimmerlehrlings nicht wesentlich. August Borsig führte immer noch das gleiche Leben. Ein bisschen mehr Rechte kamen ihm zu, und die Arbeiten, die er auszuführen hatte, waren etwas anspruchsvoller, aber der Polier und der Meister konnten ihm weiterhin Anweisungen geben, wie sie wollten – und ihn tadeln, wenn sie es für richtig hielten. Sein eigener Herr war er nun weiß Gott noch immer nicht. Und das lastete ebenso auf ihm wie das Wissen, dass er das Holz nicht mehr liebte, sondern es mehr und mehr verachtete, weil es ein zu simpler Werkstoff war. Man ging ganz einfach in den Wald und fällte einen Baum, dann hatte man es. Wie anders dagegen das Eisen! Wie viel menschlicher Geist und wie viel handwerkliches Geschick waren vonnöten, aus Erz Eisen zu gewinnen!
Friedrich Hermes fand, dass er richtig schwermütig geworden war.
»Du hast gut reden!«, rief Borsig. »Du bist ja Schmied und hast das Eisen als Material. Holz, das ist das Mittelalter – Eisen, das ist die moderne Zeit!«
Friedrich Hermes versuchte sich als Philosoph: »Ein Pferd kann keine Kuh werden – und eine Kuh kein Pferd.«
August Borsig stöhnte auf. Keiner verstand ihn so richtig. Aber wie denn auch, er selbst schaffte es ja auch nicht. Sein verstorbener Freund Walter Rawitsch hätte gesagt: »Der August Borsig ist jetzt bei den Stadtmusikern. – Wie denn das? – Er bläst. – Trompete oder Tuba? – Nein, Trübsal.«
Das Ende der Tristesse kam schlagartig, als er Marie erblickte, die Tochter seines neuen Meisters. Sie war für ein paar Wochen in Liegnitz gewesen, um ihre kranke Großmutter zu pflegen.
Er war jetzt neunzehn Jahre alt, sie mochte etwas jünger sein, und von daher passten sie zusammen. Vielleicht war sie etwas drall, aber das fand er sehr verführerisch, und sie hatte ein liebes rundes Gesicht. Es musste unwillkürlich an die Kolportageromane denken, die langsam in Mode kamen: Tüchtiger Geselle heiratet liebliche Tochter seines Meister, übernimmt später dessen Geschäft, und alle werden froh und glücklich. Märchen, die wahr wurden. Auch Maria schien Feuer gefangen zu haben, denn hatte sie ihn anfangs unschuldig angelächelt, so zuckte sie jetzt, wenn sich ihre Blicke trafen, und ihre Wangen wurden von einer verräterischen Röte überzogen. Und