Kapitän in zwei Welten. Hans-Hermann Diestel

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Kapitän in zwei Welten - Hans-Hermann Diestel

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sollte, ob sie auslaufen wolle. Er sollte ihrem Rat folgen. Wenn er das nicht tat und das Schiff erlitt einen Schaden, musste er für ihn einstehen (Regel II). Auch bei einem beabsichtigten Ladungswurf sollte er seine Mitfahrer befragen, konnte sich aber auch in diesem Fall gegen ihre Auffassung entscheiden (Regel VIII). Der Schiffsführer war nach Regel XII der Richter der Seeleute auf See. Die Regel legte fest, wie der Schiffsführer einen Streit zu schlichten und welche Rechte und Pflichten er hatte sowie welche Geldstrafen er erlassen konnte. Seine herausgehobene Stellung wurde auch darin deutlich, dass derjenige, der den Schiffsführer angriff, seine Hand verlieren konnte.

      Die WISSEMARA als Nachbau einer hanseatischen Kogge aus dem 14. Jahrhundert

      Eine Weiterentwicklung der Regeln wurde erforderlich, als sich die Interessen der Eigentümer der Schiffe und der Ladung auseinanderentwickelten. Durch die sich verstärkende Arbeitsteilung blieben die Ladungseigner zunehmend an Land und organisierten von ihren Kontoren aus ihren Handel. Eine Differenzierung vollzog sich auch bei den Schiffsbesitzern durch die ständige Vergrößerung der Schiffe. Der Schiffsführer musste nicht mehr Mitbesitzer des von ihm geführten Fahrzeuges sein. An der Küste von Mecklenburg und Pommern war dieser Zustand endgültig mit dem Verschwinden der Partenreederei erreicht. Der Kapitän wurde zum Angestellten des Schifffahrtsunternehmens. Ausnahmen wie die der „Apfelbauern“ des Alten Landes bei Hamburg existierten noch im 20. Jahrhundert.

      Die erforderlichen Regeln entwickelten sich regional. Beispiele sind dafür die Rôles d’Oléron, das Seerecht von Hamburg, Visby, Riga usw.

      Silhouette der Hansestadt Riga

      Aus den Seerechtsvorschriften einzelner Städte entstand das hansische Seerecht (1591 und 1614), das für die Seeleute der nordischen Städte die erforderlichen Festlegungen traf. Ob die einzelnen Städte sich danach richteten, entschieden sie selbst. Im Mittelalter entwickelte sich kein allgemeingültiges Seerecht. Das hansische Seerecht blieb, ungeachtet des Niedergangs der Hanse, bis zur Einführung des Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuches maßgebend für den Seetransport der norddeutschen Staaten. Witt1 weist auf eine Besonderheit des Seerechts mit folgenden Worten hin: Hatten die Seerechtsverordnungen des 16. bis 18. Jahrhunderts alle relevanten Bereiche, also die handels- und vertragsrechtlichen ebenso wie die disziplinarischen und arbeitsrechtlichen Bestimmungen ohne Unterscheidung in einem einzigen Rechtstext zusammengefasst, wurde nun auch im Seerecht zwischen öffentlich- und zivilrechtlichen Aspekten unterschieden. Daraus entstanden eine ganze Reihe von Problemen für die Funktion Kapitän, da sie im Mittelpunkt aller rechtlichen Fragen stand.

      Die HANSEKOGGE und LISA VON LÜBECK vor der AIDAMAR

      Schon in den Rôles d’Oléron stehen einige Fragen im Vordergrund, die dies nach meiner Auffassung bis heute tun sollten. Das gilt sowohl für die Kapitäne als auch für die Schifffahrtsunternehmen. Der Ausgangspunkt für viele Festlegungen in den Rôles d’Oléron war die Seemannschaft. Wann darf das Schiff zum Beispiel auslaufen? Zu den meisten Fragen und Problemen fanden sich im Seerecht der verschiedenen Städte übereinstimmende Regeln. Es gab aber auch Unterschiede. So kam Friedland (siehe Frankot2) zu der Auffassung, dass das Hamburger Seerecht weniger „besatzungsfreundlich“ als die Rôles d’Oléron war. Es war eher den Befrachtern und der Ladung wohlgesonnen. Auf alle Fälle sind im 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in mehreren norddeutschen Hafenstädten, wie in Bremen und Lübeck, Fälle behandelt worden, in denen Besatzungsmitglieder undiszipliniert waren oder dem Kapitän gegenüber sogar handgreiflich wurden. Das fand nicht die Zustimmung der Reeder, die dann mit Anzeigen darauf reagierten. Reeder und Behörden sahen zu keinem Zeitpunkt die Organisation an Bord des Schiffes als eine genossenschaftliche an. Für die Führung des Schiffes hat es an Bord immer klare Strukturen gegeben.

      Die LISA VON LÜBECK, eine Rekonstruktion eines Kraweels aus dem 15. Jahrhundert

      Der nächste sehr wichtige Schritt für die Schifffahrt der norddeutschen Staaten war die Formulierung des Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuches (ADHGB), das 1861 von der Versammlung des Deutschen Bundes beschlossen wurde. Vorarbeiten zu diesem Gesetz gehen bis auf das Jahr 1849 zurück. Dem ADHGB folgte das am 10. Mai 1897 erlassene Handelsgesetzbuch (HGB). Das HGB gilt immer noch, auch wenn es wiederholt überarbeitet wurde. Starken Einfluss übt inzwischen die Europäische Union mit ihrer Rechtsetzung aus. Hingewiesen werden soll nur auf einige allgemeine, den Kapitän betreffende Entwicklungslinien vom ADHGB zum HGB der Gegenwart. Offensichtlich ist, dass mit der Seemannschaft in Verbindung stehende Fragen immer weniger Beachtung finden. Das betrifft zum Beispiel die Nachweisführung. Allein für die Führung des Tagebuches als entscheidendes Mittel der Nachweisführung gab es im ADHGB vier Artikel (486, 487, 488 und 489).

      Der Artikel 487 legte fest:

       Von Tag zu Tag sind in das Journal einzutragen:

       die Beschaffenheit von Wind und Wetter; die von dem Schiffe gehaltenen Kurse und zurückgelegten Distanzen; die ermittelte Breite und Länge; der Wasserstand bei den Pumpen.

      Ferner sind in das Journal einzutragen: die durch das Loth ermittelte Wassertiefe; jedes Annehmen eines Lootsen und die Zeit seiner Ankunft und seines Abganges; die Veränderungen im Personal der Schiffsbesatzung; die im Schiffsrath gefaßten Beschlüsse; alle Unfälle, welche dem Schiff oder der Ladung zustoßen, und die Beschreibung derselben. Auch die auf dem Schiffe begangenen strafbaren Handlungen und die verhängten Disziplinarstrafen sowie die vorgekommenen Geburts- und Sterbefälle sind in das Journal einzutragen. Die Eintragungen müssen, soweit die Umstände nicht hindern, täglich geschehen. Das Journal ist von dem Schiffer und dem Steuermann zu unterschreiben.

      Leider wird eine seemännisch korrekte Nachweisführung von Seeleuten oft mit dem Begriff „Bürokratie“ verunglimpft. Seit Jahrhunderten haben Reeder und Seefahrtschulen immer wieder auf die Bedeutung der Nachweisführung für das Unternehmen und für den Kapitän selbst hingewiesen.

      Zur Stellung des Kapitäns sagt der Artikel 528 des ADHGB: Zur „Schiffsmannschaft“ werden auch die Schiffsoffiziere mit Ausschluß des Schiffers gerechnet; desgleichen ist unter „Schiffsmann“ auch jeder Schiffsoffizier mit Ausnahme des Schiffers zu verstehen.

      Deckblatt der Seemannsordnung des Deutschen Kaiserreiches

      In Paragraph 481 des gerade reformierten HGB heißt es dagegen: Zur Schiffsbesatzung werden gerechnet der Kapitän, die Schiffsoffiziere, die Schiffsmannschaft sowie alle übrigen auf dem Schiff angestellten Personen.

      Erheblichen Einfluss auf die Stellung des Kapitäns an Bord hatte die Seemannsordnung. Am 27. Dezember 1872 trat die erste Seemannsordnung des neuen Deutschen Reiches in Kraft. Der vierte (Disziplinar-Bestimmungen) und der fünfte Abschnitt (Strafbestimmungen) waren deshalb von besonderer Bedeutung. In Paragraph 72 war festgelegt: Der Schiffsmann ist der Disziplinargewalt des Schiffers unterworfen. Der Paragraph 73 legte die wesentlichen Pflichten des Seemanns folgendermaßen fest: Der Schiffsmann ist verpflichtet, sich stets nüchtern zu halten und gegen Jedermann ein angemessenes und friedfertiges Betragen zu beobachten. Dem Schiffer und seinen sonstigen Vorgesetzten hat er mit Achtung zu begegnen und ihren dienstlichen Befehlen unweigerlich Folge zu leisten. In Paragraph 79 war formuliert, dass der Kapitän zur Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit den

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