Kapitän in zwei Welten. Hans-Hermann Diestel
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(1) Der Kapitän ist der Vorgesetzte aller Besatzungsmitglieder (§ 3) und der sonstigen an Bord tätigen Personen (§ 7).
(2) Der Kapitän hat für die Erhaltung der Ordnung und Sicherheit an Bord zu sorgen …
(3) Droht Mensch oder dem Schiff eine unmittelbare Gefahr, so kann der Kapitän die zur Abwendung der Gefahr gegebenen Anordnungen notfalls mit den erforderlichen Zwangsmitteln durchsetzen; die vorübergehende Festnahme ist zulässig …
Die Seemannsordnung von 1902 hat nach meiner Auffassung für den Dienstbetrieb an Bord keine wesentlichen Veränderungen gebracht. In der HANSA von September 1905 wird die unterschiedliche Wertung der Seemannsordnung deutlich. Anzumerken ist, dass die HANSA damals ohne Abstriche die Interessen der Reeder vertrat. Die Zeitung zitiert folgenden Abschnitt aus dem Bericht des Vorstandes des Seemannsverbandes: Ein „Urteil“ über die 1903er Seemannsordnung ist bei jedem Seeamt verschieden, wie auch das Verfahren vor den Seemannämtern in den meisten Fällen ganz der Laune des Vorsitzenden angepasst wird. Die Vorgesetzten an Bord unterziehen sich nicht einmal der Mühe, den Inhalt der Seemannsordnung zu studieren, kennen sie folglich nicht und erklären: An Bord des Schiffes ist der Wille des Vorgesetzten oberstes Gesetz! Also reinste Paschawirtschaft, ganz wie früher … Das sind rechtliche Zustände, wie sie rückständiger, um nicht zu sagen barbarischer, nicht gedacht werden können. Da kann sicher von dem berühmten Schlagwort von den „vollendeten Rechtsgarantien“ keine Rede sein …
Die HANSA interpretiert den Abschnitt so: „Wer die tatsächlichen Verhältnisse kennt, wer die hohen Lasten unserer sozialpolitischen Gesetzgebung zu tragen hat: die deutschen Reeder; wer unter der Renitenz unserer aufgehetzten und angestachelten Schiffsleute zu leiden hat: die deutschen Kapitäne und Schiffsoffiziere; sie könnten beim Lesen des vorstehenden Ergusses glauben, Jemand im Deliriumschauer sprechen zu hören …“
In der DDR wurde die Stellung des Kapitäns folgendermaßen eingeschätzt (J. Dutsch, Neue Tendenzen in der Rechtsstellung des westdeutschen Kapitäns, Seeverkehr 9/62): „Der Schiffsführer hatte für die kapitalistische Seehandelsschiffahrt seit ihrem Entstehen eine erstrangige Bedeutung, besonders infolge der Tatsache, daß das Schiff für längere Zeit sowohl der unmittelbaren Eingriffsmöglichkeit des Reeders als auch des kapitalistischen Staates entrückt ist. Darum ist der rechtlichen Ausgestaltung der Stellung des Kapitäns in sämtlichen schiffahrtstreibenden Ländern und in allen Etappen der kapitalistischen Entwicklung hohe Aufmerksamkeit gewidmet worden.“
1. Seemannsordnung der DDR von 1953, enthalten im ersten Seefahrtsbuch des Autors
In der DDR wurde am 16. April 1953 die erste Seemannsordnung erlassen.
Dienstausübung des Kapitäns aufgrund dieser Gesetze
Die Rechtsgrundlagen für die Funktion des Kapitäns haben sich über Jahrhunderte evolutionär entwickelt. Es gab keine großen Sprünge. Dass aus dem Schiffer der Kapitän wurde, hat die Grundlagen seiner Arbeit nicht verändert. Das war eine Schönheitsoperation, mehr nicht. Es gab in der Entwicklung bis zum Zweiten Weltkrieg eine große Stetigkeit und eine solide Tradition in diesem Berufsstand. Wesentlicher Bestandteil für die Evolution in der Disziplinargewalt des Schiffsführers war, dass seine Möglichkeiten zu bestrafen immer weiter verringert wurden, bis ihm die Disziplinargewalt ganz entzogen wurde. Diese Entwicklung verlief bis heute unter den verschiedenen Flaggen nicht einheitlich. Während zum Beispiel ein deutscher Kapitän schon seit der ersten Seemannsordnung des Kaiserreiches keine Geldstrafe mehr aussprechen konnte, berichteten mir ausländische Besatzungsmitglieder, dass rumänische und kroatische Kapitäne dies durchaus noch im 21. Jahrhundert unter fremder Flagge taten. Im Seemannsgesetz der Bundesrepublik von 1957 konnte der Kapitän noch eine außerordentliche Kündigung aussprechen. Das lässt das Seearbeitsgesetz von 2013 nicht mehr zu. Eine außerordentliche Kündigung kann nur noch der Reeder veranlassen.
Die Seemannsordnung der DDR von 1953 gestattete dem Kapitän, in Abstimmung mit der Gewerkschaftsleitung eine Strafe in Höhe von 300 Mark zu erlassen. Als Kapitän des Typ-IV-Schiffes SCHWERIN habe ich 1974 meinem Ersten Offizier wegen maßlosen Alkoholmissbrauchs erst einen Verweis und dann einen strengen Verweis ausgesprochen. Kündigen konnte ich ihm nicht mehr, aber die Verweise waren die Voraussetzung dafür, dass seine Seefahrt beendet werden konnte.
Die Aufgaben und Verantwortlichkeiten des Kapitäns wurden von einer Generation mehr oder weniger entsprechend den erwähnten Gesetzen, Regelungen und der Überlieferung zur nächsten übergeben. Allerdings hatte die Schifffahrt große Mühe, den beachtenswerten Worten von Thomas Morus zu folgen, der gesagt hat: Tradition ist nicht das Halten der Asche, sondern das Weitergeben der Flamme. Das möchte ich mit einem Bogen, der von James Cook bis Franceso Schettino (COSTA CONCORDIA) reicht, verdeutlichen. Die Schifffahrt hat einzigartige Männer wie James Cook hervorgebracht. Ihm folgten Kapitäne wie Richard Woodget, Robert Hilgendorf und Gustav Schröder, die hervorragende Seeleute und exzellente Führer der ihnen anvertrauten Besatzungen in schwierigen Situationen waren.
Andere, wie William Bligh (BOUNTY), waren sehr gute Seeleute, versagten aber als Führer ihrer Besatzungen. Leider gab es aber auch solche, die weder gute Seeleute noch gute Führer ihrer Besatzungen waren. Zu ihnen möchte ich die Kapitäne Wallace und Bruce von der CUTTY SARK, James P. Barker von der BRITISH ISLES sowie Johannes Diebitsch von der PAMIR und Siegbert Rennecke von der BÖHLEN zählen. In diese Phalanx hat sich der italienische Kapitän Franceso Schettino nahtlos eingereiht. Darüber hinaus gab es zahlreiche Kapitäne, deren Rolle sehr umstritten ist. Zu ihnen gehört zweifellos Kapitän Edward J. Smith von der TITANIC. Mit einem Vergleich dieser Kapitäne in den Bereichen Seemannschaft und Führungstätigkeit möchte ich dem Leser aufzeigen, wo die Probleme und Schwierigkeiten für die Kapitäne lagen und wie leicht sie versagen konnten. In vielen Situationen benötigten sie exzellentes Wissen, lange und große Erfahrung sowie eine außergewöhnliche Entschlusskraft, um das Schiff oder zumindest die Menschen an Bord zu retten.
Für mich ist James Cook der Urvater des modernen Kapitäns. Er durchlief die harte Schule der Kohlesegler an der englischen Ostküste und wählte, als er Kapitän auf einem dieser Collier werden konnte, für seine weitere Laufbahn die Navy. Ein nur schwer nachzuvollziehender Gedanke, der von Mut, Entschlusskraft und Selbstbewusstsein zeugt. Ohne diesen Entschluss hätte es nie den Cook gegeben, den wir ohne die geringste Einschränkung bewundern dürfen. Bei der Navy nutzte er jede Chance, sich zu bilden, was ihm die Möglichkeit gab, die halbe Welt zu vermessen. Eine Haltung, die ich bei der Masse der heutigen Kapitäne vermisse. Selbst die sehr guten Bücher von Alan Villiers (Captain Cook The Seamen’s Seaman) und Bill Finnis (Captain James Cook Seaman and Scientist) beantworten nicht meine Frage, wie James Cook zu dem Kapitän wurde, der sich so außergewöhnlich um seine Seeleute kümmerte.
Kapitän, Entdecker und Wissenschaftler James Cook
Es ist sehr gut nachzuvollziehen, wie er der Seemann par excellence wurde und auch wie er, ungeachtet seiner rudimentären Schulbildung, ein Wissenschaftler