Kapitän in zwei Welten. Hans-Hermann Diestel
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Diese wenigen Beispiele zeigen, dass in der Schifffahrt bei den Personen in der wichtigsten Funktion große Extreme zu beobachten sind. Der Unterschied zu anderen Berufen ist, dass diese Extreme, weil sie auf großes öffentliches Interesse stoßen, in den Medien mit umfangreicher Berichterstattung bedacht werden. Hat der Kapitän eines von einem Seeunfall betroffenen Schiffes, wie Francesco Schettino, versagt, dann überschreitet die Berichterstattung schnell, bevor Seeämter oder Gerichte zu einem abschließenden Urteil gekommen sind, den gebotenen sachlichen Rahmen. Für richtig halte ich es, dass die Schifffahrtsliteratur sowohl den „Guten“ als auch den „Bösen“ ein Denkmal setzt. Deshalb möchte ich an dieser Stelle auch an weitere Kapitäne erinnern, die sich entweder durch hervorragende Seemannschaft und exzellente Leitungstätigkeit oder durch das Versagen in einer von beiden Kategorien hervorgetan haben.
Beginnen möchte ich mit Robert Hilgendorf, der am 31. Juli 1852 in Schievelhorst bei Stepenitz am Ostufer des Stettiner Haffes geboren wurde und am 4. Februar 1937 in Hamburg starb. Bei dem Ruf, den Hilgendorf nicht nur in Deutschland als außergewöhnlicher Schiffsführer der größten Segelschiffe genoss, ist es erstaunlich, dass so wenig über ihn geschrieben wurde. Als harte Fakten stehen seine Reisen mit ihrer hohen Durchschnittsgeschwindigkeit und ihrer Regelmäßigkeit, ungeachtet dessen, dass die meisten von ihnen um Kap Horn gingen. Ein weiterer harter Fakt ist, dass er von 1883 bis 1898 16 500 Wetterbeobachtungen zur Deutschen Seewarte in Hamburg schickte. Diese intensive Beschäftigung mit dem Wetter ermöglichte ihm, das Wetter „zu lesen“. Ich hätte gern gewusst, wie er navigierte, wie er die Besatzung führte usw.
Die Angaben dazu sind sehr dünn. Im November 1901 gab er im Alter von nur 49 Jahren die Seefahrt auf. Das Angebot, das Fünfmastvollschiff PREUSSEN als Kapitän zu führen, lehnte er ab. In diesem Punkt war er offensichtlich klüger als Cook.
Die von Robert Hilgendorf von 1895 bis 1901 geführte Fünfmastbark POTOSI an einer Pier. Fotograf unbekannt - State Library of Victoria, Malcolm Brodie shipping collection, gemeinfrei.
Er war zu der Auffassung gekommen, dass er für dieses Schiff schon zu alt sei. Eine weise Entscheidung. Zu den Kapitänen, die mir immer besonders imponiert haben, gehört Richard Woodget, der berühmteste aller Befehlshaber des Teeklippers CUTTY SARK. Basil Lubbock, der einige Reisen als Seemann auf Tiefwasserseglern machte, hat ihm in seinem Buch „The Log Of The CUTTY SARK“ ein eindrucksvolles Denkmal gesetzt. Woodget führte sie von 1885 bis sie 1895, als sie an die Portugiesen verkauft wurde. Seine außergewöhnliche Seemannschaft wird durch seine Aussage, dass er sie nie in achterlicher See beidrehte, deutlich. Er lief mit ihr vor der hohen See, und das in den Roaring Forties (Brüllenden Vierzigern), auf den langen Reiseabschnitten von Europa nach Australien. Nach Lubbock wurde sie nur einmal von einer achterlichen See überlaufen. Abgesehen von einigen eingeschlagenen Schotten (Türen) kam sie ohne Verluste durch diese schwere Prüfung.
Kapitän Richard Woodget, der die CUTTY SARK von 1885 bis 1895 führte (Captain Richard Woodget, Master of Cutty Sark 1885 – 1895, National Maritime Museum, London)
Als Woodget die CUTTY SARK übernahm, überprüfte er ihre Takelage gründlich. Im Laufe der Zeit verbesserte er sie. Zu seinen Auffassungen gehörten strikte Disziplin und Gerechtigkeit an Bord. Er war vielseitig interessiert, und er war einer der ersten Kapitäne, die fotografierten. Er erkannte die Bedeutung eines Hobbys für die langen Seereisen und empfahl den Seeleuten, sich eines zuzulegen.
Cook, Hilgendorf und Woodget sind die Personifizierung eines Wortes von Einstein, der sagte: „Persönlichkeiten werden nicht durch schöne Reden geformt, sondern durch Arbeit und eigene Leistung.“ Dieses Zitat trifft auch auf einen Kapitän einer Zeit mit ganz anderen Anforderungen zu. Da die Natur Gustav Schröder nur mit einer schmächtigen Statur bedacht hatte, musste er hart kämpfen, um die für den Schulbesuch erforderliche Segelschifffahrtszeit zusammenzubekommen. Er bewies Willen und Durchsetzungskraft, die die fehlende physische Kraft mehr als ausgeglichen hat. Berühmt machen sollte ihn eine außergewöhnliche Reise mit dem Passagierschiff ST. LOUIS.
Kapitän Gustav Schröder, Foto United States Holocaust War Memorial, gemeinfrei
Da im Verlaufe der Nazidiktatur das Leben für die Juden in Deutschland immer schwieriger und gefährlicher geworden war, versuchten viele von ihnen auszuwandern. Das Auswandern war ihnen nicht verboten, aber leisten konnten es sich nur Reiche. Wenn sie dann endlich die Genehmigung hatten, waren sie arm. Die Nazis nahmen ihnen alles. Problematisch war auch, dass nur wenige Staaten diese Flüchtlinge aufnehmen wollten. Die Hapag bot der Europäischen Jüdischen Vereinigung in Paris Anfang 1939 die ST. LOUIS für eine Reise an. Die Hamburger Reederei verlangte für einen Passagier der Kajütsklasse 800 RM und in der Touristenklasse 600 RM. Außerdem musste jeder Passagier 230 RM für eine mögliche Rückreise einzahlen. Für die Einreisegenehmigung mussten die Passagiere selbst sorgen. Nur 16, die die Reise antraten, hatten im Pass ein kubanisches Einreisevisum. Die übrigen Passagiere besaßen eine Landeerlaubnis, die aus unbekannten Gründen am 4. Mai für ungültig erklärt wurde.
Das Hamburger Passagierschiff ST. LOUIS, Archiv Autor
Am 10. Mai traf aus Havanna die Nachricht ein, dass der Leiter der Einwanderungsbehörde sie doch schriftlich für gültig erklärt hatte. Am 13. Mai gingen 388 Passagiere der Kajütsklasse und 511 der Touristenklasse in Hamburg an Bord. In Cherbourg stiegen weitere 38 Passagiere auf das Schiff auf. Von den 937 Passagieren waren 409 Männer, 350 Frauen und 148 Kinder. 94 Prozent von ihnen waren Deutsche. Kapitän Schröder führte eine Besatzung von 373 Mann (Zahlen aus Heinz Burmeister: Aus dem Leben des Kapitäns Gustav Schröder). Der erfahrene Kapitän dürfte kaum Illusionen über die Probleme dieser Reise gehabt haben. Schon bevor das Schiff Havanna erreichte, kamen beunruhigende Telegramme aus Hamburg. In ihnen wurde die Situation in der kubanischen Hauptstadt als „unübersichtlich“ bezeichnet. Schröder behielt den Inhalt der Telegramme zuerst für sich, bewies aber von Anfang an eine sehr durchdachte Leitungstätigkeit. Er wählte aus den Passagieren fünf geeignete Persönlichkeiten aus, die ein „Bord-Komitee“ bildeten. Als das Schiff am Morgen des 27. Mai in Havanna ankerte, wurde den Passagieren ohne Einreisevisum die Landung verweigert. Auf der Reise nach Havanna hatte sich schon ein Selbstmord ereignet, an diesem Tag kam es zu zwei Selbstmordversuchen. Kapitän Schröder versuchte den kubanischen Präsidenten persönlich zu sprechen, was ihm nicht gelang. Der Präsident legte fest, dass das Schiff Havanna verlassen müsse. In dieser Zeit arbeitete Schröder eng mit dem Komitee zusammen, um die Lage unter Kontrolle zu halten. An die Bereichsleiter seines Schiffes schrieb er: Die ungeklärte Lage, in der sich unsere Passagiere befinden, bringt es mit sich, dass die Stimmung sehr gespannt ist. Es muss alles getan werden, sie zu beruhigen. Bisher ist es unserem Personal gelungen, die gute Form den Passagieren gegenüber zu wahren. Achten Sie bitte ständig darauf, dass alle Besatzungsmitglieder den Passagieren in ruhiger und höflicher Form begegnen. Auf Fragen nach dem nächsten Hafen ist stets mit einem Hinweis auf die ausgehängten Bekanntmachungen zu antworten. – Jedes