Brennpunkt Balkan. Christian Wehrschütz
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Zweifellos belastet dieser Streit um die Amtstafeln das Verhältnis zwischen Serben und Kroaten. Weit dauerhafter konserviert die Spaltung jedoch das Schulsystem. Es ist ein Ergebnis des Abkommens von Erdut vom 12. November 1995, das die Reintegration Ostslawoniens, der Baranja und Westsyrmiens in das kroatische Staatsgebiet regelt. Diese Gebiete wurden zu Beginn des Kroatienkrieges Teil der international nicht anerkannten „Republik Serbische Krajina“, aus der viele Kroaten vertrieben wurden. Nach dem Sieg Kroatiens in der Militäraktion „Oluja“ (Sturm) war das Verhältnis beider Völker zwangsläufig sehr gespannt. Das wirkte sich auch auf das Schulsystem in Vukovar aus. Die Folgen beschreibt der serbische Abgeordnete im kroatischen Parlament Dragan Crnogorac: „Am Beginn der Reintegration der Stadt im Jänner 1998 haben kroatische Eltern dagegen gestreikt, dass serbische Lehrer auch kroatische Kinder unterrichten. Diese Eltern wollten auch nicht, dass serbische Lehrer in kroatischen Schulen arbeiten. Und diese Situation hat sich nicht geändert. Vukovar hat sechs Grundschulen; in drei davon gibt es Unterricht auf Serbisch und in kyrillischer Schrift. In den anderen drei gibt es keine fünf Serben, die dort beschäftigt wären. Somit ist es klar, dass die kroatische Mehrheit keine Serben im Bildungssystem wünscht.“
Die Grundschule Nikola Andrić ist ein Beispiel für die Trennung unter einem gemeinsamen Dach. 300 Kinder besuchen diese Schule, jeweils die Hälfte sind Kroaten und Serben. Die erste Besonderheit dieser Schule ist bereits das Gebäude, das auch 18 Jahre nach Kriegsende noch immer Einschusslöcher aufweist, durch die bewusst oder unbewusst Kinder und Lehrer wohl ständig an die Vergangenheit erinnert werden. Der Unterricht wird vollständig in Sprache und Schrift der nationalen Minderheit abgehalten. Den Lehrplan erstellt der kroatische Staat. Natürlich lernt die nationale Minderheit auch die kroatische Schriftsprache, doch es gibt zusätzlich vier Stunden Unterricht in serbischer Sprache pro Woche; im Rahmen der anderen Gegenstände wird auf Geschichte, Geografie, bildende Kunst und Musik der Minderheit eingegangen. Diese strikte Trennung wird vor allem im Falle der serbischen Volksgruppe praktiziert, während bei anderen Minderheiten (Albaner, Tschechen, Ungarn) der Unterricht viel integrierter erfolgt, von der besonderen Pflege von Kultur und Muttersprache abgesehen. Nach Angaben des Schuldirektors, Željko Kovačević, sind zwar die Klassen nach Kroaten und Serben getrennt, Schulveranstaltungen finden aber gemeinsam statt. Probleme bei der Verständigung gibt es nicht, weil Kroatisch und Serbisch im Grunde eine Sprache ist, ein Umstand, der es einem Serben natürlich viel schwerer macht, seine nationale Identität zu bewahren als einem Albaner, der eine völlig andere Sprache spricht. Kovačević betont, dass es noch nie Konflikte auf nationaler Grundlage gegeben habe; allerdings gibt es auch erst seit dem Jahre 2012 ein gemeinsames Konferenzzimmer für kroatische und serbische Lehrer.
Nach einer Untersuchung der philosophischen Fakultät der Universität in Agram, Abteilung für Psychologie4), befürwortet noch immer eine Mehrheit aller Eltern den getrennten Unterricht. Unterschiedlich ist allerdings die Zustimmung; waren im Jahre 2007 noch 68 Prozent der kroatischen und 66 Prozent der serbischen Eltern für die sprachliche Teilung, so sind es jetzt nur mehr 55 Prozent der kroatischen aber 75 Prozent der serbischen Eltern. Eine Erklärung für diese Entwicklung ist in der Studie nicht zu finden. Klar sind aber ihre Schlussfolgerungen: „Die Schule in Vukovar bildet nur den gesellschaftlichen Kontext ab, in dem sie sich befindet. Vukovar entwickelte sich nach dem Krieg als geteilte Gemeinschaft, wobei die Kontakte zwischen Serben und Kroaten hauptsächlich beiläufig und oberflächlich sind. Das betrifft insbesondere die Kinder, die keine Erfahrung damit haben, in einer gut integrierten, multiethnischen und ungeteilten Stadt zu leben, wie das vor dem Krieg der Fall war. Der zwischen-ethnische Kontakt in den Schulen wird ihnen zusätzlich erschwert durch die getrennten Klassen, und dieser Kontakt erfährt außerhalb der Schule weder Anreize noch Ermutigung.“
Abgesehen von vielen Eltern sind auch viele Lehrer für eine Segregation Doch ihnen geht es weniger um die Nation als um den Arbeitsplatz; denn von einem getrennten Schulsystem profitieren eher serbische Lehrer, die bei der Einstellung Priorität genießen. Umstritten ist, ob bei Einstellungen in Polizei, Justiz und Verwaltung Serben benachteiligt werden. Der Bürgermeister von Vukovar, Željko Sabo, bestreitet eine Diskriminierung. Bei der Lokalwahl im Mai wurde der Sozialdemokrat im Amt bestätigt, wohl auch mit serbischen Stimmen, denn für die Minderheit sind nach dem Streit um kyrillische Aufschriften konservative kroatische Parteien kaum wählbar. Željko Sabo ist gegen das getrennte Schulwesen, sieht aber Fortschritte im Zusammenleben der beiden Ethnien. Die Trennung in serbische und kroatische Cafés oder in serbische und kroatische Sportklubs sei viel geringer geworden, betont Sabo. Tatsächlich zählt der lokale Fußballklub „Vuteks“ zu den positiven Beispielen. Der Klub spielt zwar nur in der vierten kroatischen Liga, doch um den Aufstieg kämpfen Serben und Kroaten gemeinsam, und der Trainer der Mannschaft ist ein Kroate.
„Radio Donau“ ist das populärste Radio der Stadt, obwohl der Sender Serbisch verwendet und viele Popgrößen aus Serbien spielt. Zum Erfolgsrezept sagt der Direktor von „Radio Donau“, Branislav Bijelić: „Unser Programm ist deshalb erfolgreich, weil wir von der Politik nicht belastet sind; außerdem haben die Menschen von politischen und nationalen Konflikten und von Intoleranz genug. Unsere Themen umfassen alles, was die Bürger Vukovars berührt und müht. Unser Glück ist, dass viele, insbesondere die Jugend, diese Art von Musik lieben, und daher haben wir unsere Hörerschaft.“
Politische Gesten, aber zu wenige Lösungen
Um den Frieden zu festigen, ist es sehr wichtig, dass Kroatien und Serbien die gegenseitigen Beziehungen weiter verbessern. Im November 2010 setzten die Präsidenten beider Länder, Ivo Josipović und Boris Tadić, ein erstes wesentliches Zeichen. Beide besuchten Vukovar und legten bei der Schweinefarm in Ovčar, einen Kranz nieder. Boris Tadić entschuldigte sich für die Verbrechen, die hier im Namen des serbischen Volkes begangen wurden, und sagte: „Ich bin hier, um mich noch einmal bei den Opfern zu entschuldigen und mein Bedauern auszudrücken. Damit will ich ermöglichen, dass Serbien und Kroatien eine neue Seite der Geschichte aufschlagen können. Unsere Kinder dürfen nicht von den Ereignissen der 1990er Jahre belastet werden.“ Den Abschluss des Besuchs bildete eine gemeinsame Kranzniederlegung in Paulin Dvor in der Nähe von Osijek. Dort hatten 1991 Kroaten 18 Serben und einen Ungarn ermordet. Auch hier gedachten Tadić und Josipović der Opfer des Krieges, einer Zeit, die endgültig überwunden werden soll. Einen Rückschlag in den bilateralen Beziehungen brachte zunächst Tadićs Niederlage gegen den ehemaligen Ultranationalisten Tomislav Nikolić bei der Präsidentenwahl Ende Mai 2012. In einem Interview sprach Nikolić von der „serbischen Stadt“ Vukovar, und diese Aussage sorgte für beträchtliche Verstimmung, die sich in Vukovar auch in einem Transparent mit dem Text äußerte: „Vukovar wird niemals eine serbische Stadt sein.“ In weiterer Folge besuchte aber der kroatische Ministerpräsident Zoran Milanović Belgrad und traf Regierungschef Ivica Dačić, allerdings nicht Tomislav Nikolić.
Ein wesentlicher Schritt zur neuerlichen Normalisierung waren schließlich weitere zwei Ereignisse: Ende April 2013 kam Serbiens starker Mann, der stellvertretende Regierungschef und Vorsitzende der stärksten Koalitionspartei, Aleksandar Vučić, nach Agram. Vučić war lange der zweite Mann hinter Nikolić, ehe dieser als Präsident den Vorsitz in der national-konservativen Partei SNS (Serbische Fortschrittspartei) abgab. Auch Vučić war einst Ultranationalist, doch als Regierungsmitglied vermied er entsprechende Aussagen. Stattdessen zeigte er guten Willen, und bei der Suche nach Vermissten zeigt sich nun Belgrad sehr kooperativ. Am Tag nach dem EU-Beitritt Kroatiens, an der auch Tomislav Nikolić teilnahm, kam es dann auf Einladung von Ivo Josipović in dessen Residenz zu einem Frühstück, an dem alle Präsidenten des ehemaligen Jugoslawiens sowie der albanische Präsident teilnahmen.5) Somit haben jetzt wohl auch Josipović und Nikolić eine normale Gesprächsbasis.
Während es mittlerweile zwischen Kroatien und Serbien ausreichend viele politische Gesten gab, harren die größten Probleme noch immer der Lösung. Dazu zählen die Klärung des Schicksals der Vermissten (soweit das noch möglich ist), die Rückkehr Vertriebener, Eigentumsfragen und die Regelung erworbener