Wiener Wahn. Edwin Baumgartner

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Wiener Wahn - Edwin Baumgartner

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dem Franz I.32, hat er mit seinem ewigen Tadel das Leben so schwer gemacht, dass der Franz sich lieber in Gesellschaft von Blumen aufgehalten hat, weil die nicht die ganze Zeit motschkern33. Seine Leidenschaft für alles Pflanzliche hat dazu geführt, dass er liebend gerne mit der Gießkanne in der Hand unterwegs gewesen ist, Unkraut gejätet und Rosen beschnitten hat. Er hat höchstderoselbst einen Garten gestaltet und ihn 1823 für alle Bürger geöffnet. Seither heißt er Volksgarten – und er schaut heute noch so aus, wie seine Majestät es für gut und richtig befunden hat. Auf dem Gelände von Laxenburg hat er einen künstlichen Teich anlegen lassen mit einer Insel in der Mitte, auf der hat er ein Kitsch-Schloss errichtet. Dann hat er sich ans Ufer der künstlichen Insel gesetzt und nach Dingen geangelt, die er zuvor selbst in den Teich geworfen hat.

      Außerdem hat der Kaiser Franz sehr gerne Geige gespielt, nur leider nicht gut. Partout hat er im Quartett des Badener Bürgermeisters Johann Nepomuk Trost mitspielen wollen. Kann man einem Kaiser sein Begehr verweigern? Aber der Trost hat den Kaiser an die Zweite Geige gesetzt. Seine Majestät soll gegrantelt haben: „Aber in Wien spiel ich die Erste Geige.“

      Über den Rudolf II.34 sollte ich eigentlich nichts erzählen – nicht, weil es nichts zu erzählen gäbe, sondern, weil er zwar ein ganzer Kaiser, aber kein richtiger Wiener gewesen ist. Das heißt: Geboren ist er in Wien, aber 1583 hat er seine Residenz nach Prag verlegt. Als Grund wird immer angegeben, dass er das Volk und den Adel Böhmens enger an das Reich binden hat wollen. Wissen Sie was? – Ich glaub’ das nicht. Ich bin überzeugt, es ist ihm um etwas Anderes gegangen. Prag hat damals als eine Stadt der Magie gegolten. Es ist die Stadt, in der Rabbi Löw 1580 den Golem geschaffen haben soll. Prag ist ein mystischer Ort gewesen, eine Stadt der Alchemisten, der Magier und Sterndeuter. Genau das hat den Rudolf fasziniert. Kaum ist er in Prag gewesen, hat er alle Künstler und Wissenschaftler geholt, die ihm etwas Geheimnisvolles bieten haben können. Da sind Astronomen darunter gewesen wie Tycho Brahe und Johannes Kepler, aber auch der Londoner Magier John Dee, der für seine Gespräche mit Engeln die henochische Sprache entwickelt hat. Und dann – bitte, schauen Sie sich einmal die Gemälde vom Giuseppe Arcimboldo an: Der hat sich zwar nicht erst für den Kaiser Rudolf seine eigenartigen Porträts einfallen lassen, in denen er Gesichter aus Früchten, Gemüse, Meerestieren, Blumen und Blättern zusammensetzt. Doch in Prag ist der Arcimboldo so richtig aufgeblüht. Er hat sogar ein Portrait des Kaisers gemalt, genannt Vertumnus, der Gott der herbstlichen Ernte, bestehend aus Gemüse, Obst und Blumen. Da steckt natürlich die Symbolik der Fruchtbarkeit und des Erntesegens drin, der Kaiser sorgt dafür, dass es allen gut geht. Auf mich jedoch macht das Bild einen irgendwie beunruhigenden Eindruck. Der Kaiser schaut so gar nicht gütig aus seinen Augenweichseln und seine Mundkirschen haben etwas Ungutes. Der Rudolf hat den Arcimboldo obendrein mit dem Bau von mechanischen Apparaten beauftragt, er hat Wunderdinge aus aller Welt gesammelt, je absonderlicher, desto besser, Tiere von seltsamem Aussehen, Korallen, eigenartige Steine und bizarre Kunstobjekte. Die ganze Versenkung ins Absonderliche hat dem Gemüt des Kaisers geschadet. Er hat panische Angst gehabt, vergiftet zu werden und hat sich einen magischen Pokal anfertigen lassen, der alle üblen Substanzen neutralisiert. Depressionen hat er ohnedies schon früher gehabt, in den späten Jahren kommt eine Urteilsunfähigkeit dazu, er dürfte am Rand des Irrsinns balanciert haben.

      Der Erzherzog Karl Ludwig von Österreich35 ist zwar kein Kaiser gewesen, aber der Bruder eines Kaisers, nämlich vom Franz Joseph. Der Karl Ludwig ist ein heiligmäßiger Mann gewesen. Bei manch einer Kutschenfahrt ist es über ihn gekommen und er hat die Menschen aus seiner Kutsche heraus gesegnet. Sein religiöser Wahn hat zu seinem Ende geführt: 1896 hat er seinen Sohn Franz Ferdinand in Kairo besucht, der dort seine Tuberkulose kuriert hat. Wieder ist es den Karl Ludwig überkommen: Er bildet sich ein, er muss nach Palästina reisen, um dort Wasser aus dem Jordan zu trinken, das würde ihm eine religiöse Erleuchtung bescheren. Das Wasser ist allerdings verseucht gewesen. Er überlebt zwar die Heimreise nach Wien, stirbt aber wenig später.

      Ein wahrer Schöngeist ist dafür der Leopold I.36 gewesen, der Vater von der Maria Theresia – Sie wissen schon: von der Erzherzogin, deren Mann Kaiser gewesen ist, weshalb man sie hartnäckig als „Kaiserin“ bezeichnet, obwohl sie keine Kaiserin gewesen ist, sondern immer nur die Frau von einem Kaiser. Der Leopold hat nie wirklich Kaiser werden wollen. Sein erster Berufswunsch ist Priester gewesen, sein zweiter Komponist. Er hat das Handwerk, also das des Komponisten, übrigens wirklich recht gut beherrscht. Mehr als 200 Werke gibt es von seiner Hand – aber das sind keine Kleinigkeiten: Messen, Kantaten, Ballette und Singspiele sind darunter. Seine Majestät hat mehrere Instrumente gespielt und das Hoforchester selbst dirigiert. Außerdem hat er sich der Prunksucht hingegeben. Am 12. Dezember 1666 heiratet er seine Nichte Margaretha Theresia von Spanien, die, das macht die habsburgische Heiratspolitik möglich, gleichzeitig seine Cousine ist. Sie kennen ja das habsburgische Motto: „Bella gerant alii, tu felix Austria nube.“ Wenn man nur unter diesem Aspekt Verbindungen eingeht, passiert es halt, dass ein bisserl zu viel Verwandtschaft ins Blut kommt. Das erklärt vielleicht einiges.

      Die Hochzeit jedenfalls will gefeiert sein, und zwar nicht ein paar Tage lang, sondern ein ganzes Jahr zelebriert sie der Kaiser mit immer prunkvolleren Festen. Dann gibt er für das Geburtstagsfest seiner Frau im Jahr 1668 bei seinem Hofkapellmeister Antonio Cesti die Oper „Il pomo d’oro“ in Auftrag. Leopold höchstselbst komponiert mit. Das Monstrum wird ein einziges Mal aufgeführt, verteilt auf zwei Abende von je fünf Stunden. Einen Effekt hat der Anlass: Cesti hat den Prunk nicht mehr ertragen und seinen Abschied vom Wiener Hof genommen.

      In die Regierungszeit vom Leopold fällt die Zweite Wiener Türkenbelagerung. Leopold hat es durch geschickte Verhandlungen verstanden, sich der Unterstützung von Papst Innozenz XI. zu versichern und in der Folge der des polnischen Königs Johann III. Sobieski und des Herzogs Karl V. von Lothringen. Der osmanische Großwesir Kara Mustafa Pascha hat auf einmal viermal mehr Soldaten vor sich gehabt, als er gerechnet hat. Wien ist in der Schlacht am Kahlenberg befreit worden. Dann hat der Leopold den Prinzen Eugen von Savoyen zum Oberbefehlshaber ernannt, der ebenfalls ein Schöngeist gewesen ist, aber auch, kommt selten vor, dass sich das verträgt, ein strategisches Genie, und der Prinz Eugen hat die osmanischen Heere endgültig zerschlagen. Im Volksmund heißt der Kaiser Leopold der „Türken-Poldi“. Ich bin mir nicht sicher, ob ihm das recht gewesen wäre, dem verhinderten Priester und verhinderten Komponisten. Auf einem Gemälde posiert er in einem Bühnenkostüm, das sogar für barocke Verhältnisse bizarr ausschaut. Das Kostüm ist ganz in Rot und Weiß gehalten mit reichlich Goldstickerei, der Kaiser trägt eine Perücke, deren tiefschwarze Wuckerln37 bis über die Schultern fallen, und auf dem Kopf hat er eine rote Haube mit aufgebauschtem Federaufputz. Was am groteskesten wirkt, ist das Gesicht seiner Majestät: Es schaut aus wie das einer verlebten Frau mit aufgeklebtem Oberlippenbart. Der eigentliche Blickfang sind die grellrot geschminkten Lippen. Sie müssen sich das Bild unbedingt ansehen, sonst können Sie sich nicht vorstellen, dass der Kaiser des Heiligen Römischen Reichs wirklich in diesem Aufzug posiert.

      Und jetzt frag ich Sie: Welcher Kaiser ist bis heute der Kaiser für die Wiener? – Der nüchterne Franz Joseph, ein knochentrockner Bürokrat, dessen Pragmatismus ihn nicht vor Fehlentscheidungen bewahrt hat, etwa der, den Ersten Weltkrieg anzufangen. Ich weiß schon, das ist arg verkürzt gesagt, aber im Prinzip ist es so gewesen. Ich sag’ ja auch nicht, dass der Franz Joseph kein imponierender Mann gewesen ist. Er muss schon eine Ausstrahlung gehabt haben, und er ist der letzte Kaiser gewesen, bei dem es kaiserlichen Prunk gegeben hat, bei dem die Menschen gespürt haben, dass Österreich einen Kaiser hat. Glauben Sie mir das, ich hab’ das durch meine Großmutter selbst erfahren, wenn sie mit leuchtenden Augen „vom Kaiser“ erzählt hat, und ihr Kaiser ist immer nur der Franz Joseph gewesen und nie sein Nachfolger, der Karl I., der kein richtiger Kaiser sein hat können, weil er im Krieg an die Macht gekommen ist, aber nie an der Macht gewesen ist. Nicht einmal den Krieg hat er beenden können, obwohl er es gewollt hat, ob aus Pazifismus oder aus taktischer Hilflosigkeit, will ich dahingestellt lassen. Sogar selig gesprochen worden ist der Karl. Aber für meine Großmutter und alle anderen Wiener ist der Kaiser immer nur der Franz Joseph gewesen – und die Kaiserin die Maria Theresia, obwohl die ihr Lebtag lang immer nur Erzherzogin

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