Kopflos in Dresden. Victoria Krebs

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Kopflos in Dresden - Victoria Krebs

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aber in letzter Zeit hatte sich das unangenehme Gefühl eingeschlichen, nicht mehr ungestört ihrer Arbeit nachgehen zu können. Denn jedes Mal, wenn sie mit Gerd unterwegs war, reagierte Nihat auf dieselbe Art und Weise. Nicht nur die gemeinsamen Ermittlungen außer Haus, auch das gemeinsame Büro war ihm ein Dorn im Auge und ständiger Quell abenteuerlichster Vorstellungen über wilde Sexszenen, die sich dort abspielten und seiner selbstquälerischen Fantasie immer neue Nahrung boten.

      Natürlich erklärten sich so auch seine häufigen Störungen wegen angeblich wichtiger Informationen, die man problemlos per Telefon oder Mail hätte erledigen können. Das war nicht nur Gerd, ihrem engsten Mitarbeiter, sondern auch den anderen Kollegen aufgefallen. Und das störte Maria am meisten. Wenn die erst einmal anfingen zu glauben, dass sie Berufliches nicht von Privatem trennen konnte, würden sie unweigerlich ihre Autorität und Souveränität als leitende Ermittlerin in Frage stellen.

      Nihats eifersüchtiges Benehmen löste Schuldgefühle in ihr aus, sobald sie zusammen mit Gerd die Ermittlungen durchführte. Aber – das musste sie sich eingestehen – auch sie kannte das brennende Gefühl der Eifersucht, das aus ihrer eigenen Unsicherheit resultierte.

      Sie, ausgerechnet sie, die niemals irgendeinem Jugendwahn erlegen und mit sich und ihrem Aussehen sehr zufrieden war, wurde plötzlich von Ängsten wegen ihres Alters geplagt. Gut und gerne ging sie noch als Anfang vierzig durch. Aber je länger ihre Beziehung zu Nihat andauerte, so hatte sie mit Bestürzung registriert, desto mehr machte sie sich wegen des großen Altersunterschieds Sorgen.

      Immer wieder ertappte Maria sich dabei, wie sie sich kritisch im Spiegel betrachtete. Schonungslos offenbarte der die eindeutigen Zeichen der unaufhaltsamen körperlichen Veränderungen einer Fünfzigjährigen. Wie so viele Frauen in der gleichen Situation fragte sie sich bange, wie lange Nihats Begehren noch anhalten würde. Was würde in zehn Jahren sein? Dann wäre sie alt, richtig alt. Mit schwammigem Kinn, faltigem Bauch und Hängebrüsten. Eine Horrorvision!

      Er würde sie für eine jüngere, knackigere Frau sitzen lassen, eine, die ihm vielleicht auch noch Kinder gebar, von denen Nihat, davon war sie überzeugt, insgeheim träumte. Eine Familie zu gründen, das gehörte doch zwangsläufig zum Lebensentwurf eines jungen Moslems, davon war Maria überzeugt.

      Oh Gott, daran durfte sie überhaupt nicht denken. Sie liebte diesen Mann und wollte nicht, dass er sie verließ. Er sollte bleiben – für immer.

      Manchmal gelang es ihr, diese negativen, lähmenden, sie in einen tiefen Abgrund stürzenden Gedanken beiseite zu schieben, indem sie sich ermahnte, das Hier und Heute zu genießen und das Leben als einen unaufhaltsamen Fluss zu betrachten. So ganz hatte sie diese Strategie, die sie in solchen Situationen wie ein Mantra heraufbeschwor, allerdings noch nicht verinnerlicht.

      Maria öffnete die Tür zu ihrem Büro und wurde vom Klingeln ihres Telefons empfangen. Sie nahm ab.

      »Hier ist Dr. Martin«, fistelte der Psychologe und machte eine Pause, als erwartete er Applaus. Als der wider Erwarten nicht kam – Maria war in Gedanken noch bei Nihat und den inneren Kämpfen, die sie zurzeit führte –, legte er los:

      »Also, zunächst einmal, ich habe keine Parallelen zu den Fällen aus der Datenbank gefunden, die mir Ihr Kollege zum Abgleich mitgegeben hat. Aber, und das mag jetzt vielleicht irrwitzig klingen, mir ist etwas zu dem Kaninchenfell eingefallen. Ach so, und das mit der möglichen Schwangerschaft habe ich wieder verworfen. Sie war nicht schwanger, oder?«

      »Nein, definitiv nicht«, gab Maria zur Antwort und stellte das Telefon auf Lautsprecher, damit Gerd mithören konnte. »Weder hatte sie einen menschlichen Fötus noch Kaninchen-Embryos in ihrem Bauch.«

      Maria sah Gerds ungläubigen Blick.

      »Ach so, ja, hihi, Kaninchen-Embryos. Absurd, aber lustig.«

      Maria verdrehte die Augen und biss so heftig auf ihren Bleistift, dass das obere Ende abbrach. Wütend spuckte sie das Holzstück aus und warf den Rest heftig auf ihren Schreibtisch.

      »Ich möchte Sie Folgendes fragen: Was assoziieren Sie mit einem Kaninchenfell? Ich meine«, fügte Dr. Martin erklärend hinzu, »was fällt Ihnen spontan dazu ein?« Man konnte deutlich seinen Atem hören.

      »Ich weiß schon, was das Wort assoziieren bedeutet, aber danke für Ihre Hilfe.« Maria fand sich selbst unausstehlich. »Sodomie? Die Frau hat herausgefunden, dass er auf Kaninchen steht und hat ihn damit erpresst. Deswegen hat er sie umgebracht. Und den Grund dafür gleich mit der Ersatz-Schambehaarung mitgeliefert.«

      Gerd schüttelte verständnislos den Kopf.

      »Sodomie können wir, da bin ich mir sicher, ausschließen. Das würde dem Sinn dieser Inszenierung widersprechen.« Dr. Martin ließ sich offensichtlich selbst durch die wildesten Spekulationen nicht aus der Ruhe bringen und schien zudem gegen weiblichen Spott immun zu sein. »Mit Sodomie kann man seine Macht und Stärke nicht demonstrieren. Das wäre selbst für so einen Kopfabsäger ausgesprochen peinlich, wenn ich das so sagen darf.«

      »Weich, zart, streicheln. Hoppeln?« Maria hatte sich immer noch nicht wieder im Griff.

      »Ja, genau daran habe ich auch gedacht.« Unbeirrt fuhr der Psychologe in seiner Erklärung fort. »Das Kaninchen, ein Symbol für etwas, das man beschützen muss. Oder etwas, bei dem man Zuflucht suchen kann, wenn man Kummer hat. Ein Kind beispielsweise findet Trost und empfindet Zärtlichkeit bei seinem Kaninchen, das es streicheln und in den Arm nehmen kann.«

      »Ein Kind? Wir haben es doch hier mit einem erwachsenen Mann zu tun, nicht mit einem Kind.«

      »Davon gehe ich auch aus. Aber ich suche nach einer Erklärung für die Verwendung dieses Fells. Ich denke, es steht für eine wesentliche Erfahrung in seiner Kindheit.«

      »Wir suchen also nach einem Mann, der in seiner Kindheit ein Kaninchen hatte. Das engt die Suche natürlich unglaublich ein, Dr. Martin …«

      »Es tut mir leid, mehr kann ich dazu im Moment nicht sagen«, erwiderte der Psychologe sachlich.

      »Hören Sie, das habe ich nicht so gemeint. Ich wollte nicht sarkastisch sein. Entschuldigen Sie bitte.«

      »Doch, genau das wollten Sie. Sarkasmus ist ein Ventil, um innere Spannungen abzubauen. Machen Sie sich keine Sorgen, Frau Wagenried. Ich nehme so was nicht persönlich.«

      Maria bedankte sich und beendete das Gespräch. Sie fühlte sich hundsmiserabel und beschämt, was sie noch wütender machte. Schon wieder hatte sie die Kontrolle verloren. Überhaupt schien ihr gerade alles zu entgleiten. Die Beziehung zu Nihat brachte sie völlig durcheinander, wuchs ihr offenkundig über den Kopf. Höchste Zeit, dieses verrückte Verhältnis zu beenden, bevor es zu spät war – ein für alle Mal. Das wäre das Vernünftigste. Was war das denn für eine Liebe, die keinerlei Zukunft hatte. Wie bescheuert war sie eigentlich gewesen, sich auf so etwas einzulassen? Sie hätte es besser wissen müssen. Gleich heute Abend würde sie mit ihm reden. Sie müsste …

      »Maria?« Gerd holte sie in die Wirklichkeit zurück. »Was ist eigentlich los mit dir? Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, dass dein Hormonhaushalt durcheinander ist. Du hast Dr. Martin ganz schön vors Knie getreten. Können wir uns das leisten?«

      »Ach, Scheiße, geh du mir nicht auch noch auf die Nerven!«

      »Es ist Nihat, nicht wahr?«

      »Ja.«

      »Du musst eine Lösung finden, so geht das nicht weiter. Das weißt du selbst.«

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