100.000 km zwischen Anchorage, Neufundland, dem Pazifik und New Mexico - Teil 2. Erhard Heckmann

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100.000 km zwischen Anchorage, Neufundland, dem Pazifik und New Mexico - Teil 2 - Erhard Heckmann

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denken, nicht aber die Wirklichkeit reell vorstellen. Diese Vierbeiner sind jedoch gezielt auf ihren Job vorbereitet worden, absolut zuverlässig und geländesicher, denn die Trail-Lehrzeit beginnt erst nach einer gründlichen Reitausbildung. Hat der Neuling im Gelände als Rote Laterne und Letzter im Pulk, der Sägen, Äxte und Benzin zu tragen hat, Erfahrung gesammelt und Trittsicherheit gewonnen, arbeitet er noch mehrere Jahre als Packpferd. Und erst, wenn er das beherrscht, steigt er zum Reitpferd auf. Wir steigen auch, aber über die dicken Sitzbalken am Lagerfeuer, denn Joyce hat ein englisches Frühstück parat mit Eiern, Speck und Wurst, als auch Brot, Butter, Marmelade und frische Pfannkuchen mit Honig.

      Wer sich aufmerksam umsieht stellt fest, dass die Mannschaft schon fleißig war, denn die acht Reitpferde sind bereits geputzt, gesattelt und aufgetrenst. Nur die Sandwiches für die Mittagspause, die mit Obst und Getränken griffbereit in der Satteltasche verschwinden, belegt sich anschließend jeder selbst. Joyce, Sabine und John haben noch schnell den Abwasch erledigt, und Ferdl, der ein GPS-Gerät mit sich führt, lässt sich zur Sicherheit von David noch die Spezialkarte erklären, denn der Boss bleibt heute im Lager und übergibt den Taktstock an Paul. Und mit ihm an der Spitze reiten wir in den ersten zwei bis drei Stunden durch unebene Täler, über Bergrücken und Wiesen voller Frühlingsblumen und Bergazaleen, vorbei an kleinen Seen, niedrigen Wasserfällen und durch Bäche und dichte Weidenbüsche, die in den nassen Talbereichen sehr gut gedeihen. Was für ein Genuss. Ein ganz klein wenig mag es auch so sein wie damals, als die ersten Siedler durch den „Wilden Westen“ zogen. Sie mussten allerdings ums Überleben kämpfen, wir genießen nur dieses schöne Land, und sie waren es, die die Wege dafür ebneten. Inzwischen sind wir auch einem sehr steilen Hang näher gekommen, der sich als eine Art Steingletscher entpuppt. Steine, nichts als Steine, vom kleinen Kiesel bis hin zu tonnenschweren Gebilden. Und Paul steuert schnurstracks darauf zu. So recht kann ich es nicht glauben, dass wir mit Pferden über ein solches Geröllfeld wollen. Doch, als hätte Paul meine Gedanken erraten, hält er schon kurz an und meint ganz gelassen „die kennen das, das ist überhaupt kein Problem, ruhig und locker sitzen bleiben, und nur die Richtung vorgeben, mehr nicht“. Und die Pferde gingen, als wäre das alles ganz normal. Sie waren nur vorsichtiger und schauten in kritischen Situationen genauer hin. Zum Zick-Zack-Kurs muss ich auch Richard zwingen, denn sie alle wollen abkürzen, egal wie steil es aufwärts geht, und ihre Kondition hat nicht im Geringsten gewackelt. Und mein Schimmel beweist schon hier, welch erfahrenes Geländepferd er ist. Kein Zögern, keine Rumpler, ruhig und sicher sucht er sich seinen Weg durch diese Steinwüste nach oben.

      Als wir eine der nächsten „Serpentinen“ einschlagen kann ich sehen, dass Sabine versucht auf eignen Füßen über den Hang zu kommen, um das Pferd zu schonen, doch Escort zieht sie schneller vorwärts als ihr lieb sein kann. Für sie war das ganz und gar typisch. Ihr hatte das Pferd leidgetan, und deswegen war sie abgestiegen. Das war gut gemeint, aber es funktioniert nicht. Das musste auch sie einsehen und stieg wieder auf.

      Hinter dem Grad des Geröllfeldes geht es wieder hinunter in ein Tal, dort einige Zeit entlang und dann hinauf in die Rainbow Mountains, die ihren Namen den unterschiedlichen Erzen verdanken, die sie färbten. Oben angekommen, ist auf einem kleinen Plateau „Mittag“, und dieser Ort gehört ganz gewiss zu den schönsten Plätzen, an denen ich je mein Frühstück ausgepackt habe. Unter uns, tausend Meter oder mehr, liegt ein S-förmiges Tal, durch das sich ein Fluss schlängelt, an dessen Ufern es hellgrün leuchtet. Der Rest ist bewaldet und an drei Seiten wird die Talsohle von Zweibis Dreitausendern bedrängt, deren Gipfel weiße Kappen tragen, während ihre Flanken farbenfroh leuchten. Diese strahlenden Regenbogenfarben – rot und gelb dominieren – bei diesem Kaiserwetter „auf Augenhöhe“ zu sehen ist ganz sicherlich ein Privileg, und eins, das wir diesen Pferden zu verdanken haben. Der Wind pfeift hier oben zwar ganz ordentlich, und auch die Pferde haben sich längst zu einem Halbrund formiert und ihr Hinterteil gegen ihn gedreht, doch auf den nächstmöglichen Gipfel müssen wir noch rauf. Der dortige Rundblick ist grandios, und unter uns entdecke ich mit dem Fernglas auch noch eine Grizzlymutter mit doppeltem Nachwuchs, doch ein gutes Foto ist aus meiner Position nicht möglich. Mitgenommen hätte ich es sehr gern, aber irgendwann wird es schon noch einmal richtig klappen. Im Nachhinein musste ich volle acht Jahre warten, aber dann saß ich in Alaska mitten unter ihnen und bekam auch „meine“ Grizzlys für meine Bilderwand.

      Gegen 14 Uhr wird es Zeit wieder aufs Pferd zu steigen, und mit dem Abstieg in ein Hochtal den Heimweg anzutreten. Dort warten dann einige Kilometer in nordöstlicher Richtung, denn die heutige Tour schlägt einen Kreis um unser Lager, und das Hier und Dort trennt auch noch ein verschneiter Pass. Aber Paul kennt die Gegend und weiß, was er den Pferden zumuten darf. Also wieder nach oben und dort, wo der Schnee beginnt, wird abgesessen. Im Gänsemarsch führen wir unsere Vierbeiner etwa zwei Kilometer schräg über das große Schneefeld hoch zum Pass. Neuschnee liegt nur obenauf, darunter war er fest, so dass die Pferde, die gelassen blieben wie bisher auch, nur geringfügig eintreten. Dennoch halten wir die Abstände zwischen ihnen größer als sonst, aus reiner Vorsicht. Am Ende erwies sich der Aufstieg zwar als problemlos und eisfrei, doch ist uns der feste Boden, den wir am Pass wieder unter Hufen und Füßen haben, schon wesentlich angenehmer. Der Rest des Rittes ist reiner Genuss. Über die Flanken einiger Hügel, bunte alpine Wiesen und durch lichten Fichtenbestand tragen uns die Pferde wieder hinunter in unser Tal am Fuße der Schwarzen Berge, wo im Camp Kaffee und Kuchen auf uns wartet.

      Anschließend führt der Weg zum Zelt, und von dort zum Bach, denn jenseits der Bergkuppen war es heute ziemlich heiß, und der Schweiß muss runter. Die Füße im rauschenden Gewässer signalisieren zwar sofort „saukalt!“, doch die Antwort ist militärisch: „Macht nichts, Luft anhalten, hinsetzen und abduschen!“ In 30 oder 40 Sekunden ist die Prozedur erledigt, und wieder trocken im Trainingsanzug fühle ich mich wie neu geboren und freue mich auf den Abend am Lagerfeuer. Dort wird es dann auch wesentlich später als gestern, denn auch der sehr schweigsame David taut langsam auf, erzählte von diesem Land, seiner Arbeit, den Ureinwohnern, und seiner eigenen indianischen Herkunft. Dazu eine sanfte Landschaft, die vor dunklem Wald auf gelb-grünlich schimmernder Wiese friedlich grasenden Pferde und ein wenig Rotwein am knisternden Feuer, was will man eigentlich noch mehr? Viel geredet haben wir an diesem lauen Sommerabend nicht, aber lange und aufmerksam zugehört, bis in die Dunkelheit.

      Mit gepackten Duffel-Bags gehen wir am nächsten Morgen zum Frühstück. Die Zelte haben noch Zeit, mit ihnen wird eines der letzten Pferde beladen, wenn das Lager komplett abgebaut und alles auf den Packpferden verstaut ist. Der heutige Weg wird durch den Young Creek zum Crystall Lake führen, und dort weiter in das Mackenzie Valley, in dem „Dave Dorseys Horse Camp“ das Tagesziel ist. Das Tal ist wieder wunderschön, das Camp nicht viel anders als vorher. Lediglich ein großes Holzschild mit eingebrannter Schrift weist darauf hin, und Joyce’s „Küchentisch“ gehört zur Festausrüstung. Genau genommen ist es nur der Rahmen, denn zwischen zwei gegenüberstehenden dicken Bäumen wurden zwei waagerechte Stangen festgebunden. Eine vor, die andere hinter den Stämmen, und auf diese legt David zwei Böden, die eine abwaschbare Tischdecke verschönert. An den überstehenden Stangenenden finden die Wassersäcke ihren Platz, aus denen der Ansaugschlauch die Filteranlage bedient, die ihrerseits den Eimer füllt. Der Rest ist schnell erledigt: Küchenkisten griffbereit zurechtrücken und öffnen, zwei Hackklötze heranrollen, getrennt voneinander aufstellen und die Lücke zwischen ihnen mit einem Brett schließen, damit Tiegel und Pfannen ihren Platz haben. Der Koch kann loslegen. David und Paul versorgen die Pferde, wir helfen hier und dort, bauen unser Zelt auf, und nach der Dusche im Bach heißt das gemeinsame Ziel wieder Lagerfeuer, wo der Stuhl ein Baumstamm mit Satteldecke, und der Tisch die eigenen Knie sind. Als ich dort ankomme, stehen aber fast alle Mann um Joyce herum an deren Küchenplatz und schauen „nach draußen“. Zu mir gewandt meint sie „schau, da draußen, das ist mein Blumengarden“. Und tatsächlich hat man den Eindruck durch ein Fenster zu sehen, denn die beiden hochstämmigen Kiefern, die den „Küchenarbeitsplatz“ fixieren, vermitteln diesen und lenken den Blick auf die bunte Wiese außerhalb des Camp-Wäldchens. Dort blühen Tausende der farbenprächtigen Indian Paintbrushs, die in ihrer aufrechten Haltung bunten Farbpinseln ähneln. Das dominante Rot und Gelb passt auch richtig gut zum Blau der Lupinen, die eine unsichtbare Hand als Kontrast zugefügt hat, während

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