Eine verborgene Welt. Alina Tamasan

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Eine verborgene Welt - Alina Tamasan

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wiederholte Rangiolf leise. Er nahm die Hände seiner Zukünftigen und als sich ihre Blicke trafen, erkannte er, dass auch sie ihre Entscheidung längst gefällt hatte, die Entscheidung, ihm überall hin zu folgen! – Die Heilerin beugte sich zu Finilya herab und trennte die goldene Eichel von der Kette, die sie trug. Sie hielt sie in die Höhe, sodass alle Anwesenden sie sehen konnten und sagte:

      „Wà-is dhàt | ai maat aat.“ Nun drehte sie sich nach Norden zu Gabra und fügte hinzu: „Ir-kà wuegioth sa p̣ài.“ Der Gniri verbeugte sich und wiederholte:

      „Ir sa pài.“ Die Heilerin wandte sich nach Süden und sah Rìa an.

      „Ir-kà hìgioth sa matheri.“ Finilyas Vater machte es Gabra nach.

      „Ir sa matheri“, wiederholte er und verbeugte sich ebenfalls. Schließlich sah Pythera Irukye an, die im Osten stand.

      „Ir-kà sàgioth sa fàtheri.“

      „Ir sa fàtheri“, Irukye verbeugte sich. Als Letztes war Yhsa dran.

      „Ir-kà sàgioth sa wóiàt.”

      „Ir sa wóiàt“, die alte Frau verbeugte sich ebenfalls.

      „Nachdem wir nun den Segen aller vier Himmelsrichtungen, aller vier Elemente und somit der Mutter haben“, rief die Heilerin laut, „möge die Eichel ein Symbol unserer aller Verbindung sein und ein Zeichen eures Bunds der Ehe. Dich, Rangiolf“, sie sah ihn freundlich an, „soll sie in dein Ovatenleben begleiten – Ai sookth haath báis-mechint | moos aath ràhtsa.“ Nun holte sie einen aus feinem, aber äußerst beständigem Wurzelwerk gearbeiteten Stirnreif hervor, legte die Eichel in die mittige Vertiefung und setzte ihn dem jungen Mann auf das Haupt. Finilya sah ihm dabei tief in die Augen und seufzte ergriffen auf.

      Tanz am Feuer (Mès-mès-m!-òrit)

      Das Licht drang nur spärlich durch die Blätter der Bäume. Eigentlich wäre es an der Zeit, bis zum Anbruch des nächsten Tages eine Rast einzulegen. Aber Retasso wollte nicht. Von einer inneren Unruhe getrieben ging er weiter, denn er fühlte, dass es bis zu Pythera nicht mehr weit war. So beschleunigte er seinen Schritt und versuchte, die unheimlichen Geräusche, die von allen Seiten zu ihm drangen, zu ignorieren.

      „Ich gewöhne mich an vieles, aber daran niemals“, murmelte er leise. Retasso hielt inne und richtete seine Ohren auf. Rings um ihn herum raschelte das Laub auf dem Waldboden. Dabei konnte er kaum unterscheiden, ob diese Geräusche nun von einem Vogel, einem Reh oder gar einem Wildschwein stammten, derer es in den Wäldern des Westens viele gab. Oh, dieses Fiepen und Nagen, das scheinbar von überallher gleichzeitig zu kommen schien.

      „Das sind Mäuse“, redete er sich gut zu. „Ich bin doch keine Memme, bin in allen Teilen der Erde gewesen, bin überall heil durchgekommen.“ Und doch … – Er wusste, warum er sich so fürchtete. Es waren weder das Fiepen und Nagen noch das Rascheln des Laubs, das ihn erschauern ließ. Seine größte Angst war es, einem Wildschwein zu begegnen. Er hatte noch nie eins gesehen, nur ihre Wühlspuren erkannt, aber die Horrorgeschichten, die ihm seine Mutter als Kind über die angeblich schlimmsten aller Biester erzählt hatte, saßen ihm tief in den Knochen. Als er gerade in Gedanken seine Mutter schalt, sah er etwas in der Ferne: die Lichter von Iàtranür Tarà4. Vielleicht hatten die Leute dort gespürt, dass er kommen würde, sie schienen alle noch auf zu sein.

      „Pythera muss es ihnen geweissagt haben“, murmelte der Gniri. „Hoffentlich sehen sie die Flecken auf meiner Kleidung nicht.“ Mit seinen dunkelbraunen Augen beäugte er sich skeptisch. „Ach, und die Geschenke, ich habe wohl niemanden vergessen …“ Er sah wieder zu den Lichtern und stellte verblüfft fest, dass sich dort inzwischen eine ganze Traube gesammelt hatte. ‚Immer diese riesigen Empfänge, als würde ein F…‘ – Retasso blickte lächelnd in die neugierigen Gesichter, die ihn aufmerksam musterten. Frauen und Männer standen am Wegesrand. Manche gaben ihm die Hand, andere schauten misstrauisch drein. Retasso wusste, dass nicht alle aus Pytheras Volk ihn mochten, vor allem weil man munkelte, er hätte Kontakt zu Menschen. Aber die Kinder liebten ihn, auch jene, die zum ersten Mal seinen Besuch erlebten.

      „Retasso, Retasso, was hast du uns mitgebracht? Wo warst du? Was hast du erlebt?“, fragten sie, während sie ihre kleinen Hände nach den Geschenken ausstreckten, die er aus seinem großen Rucksack zog.

      „Oh, Ùiuur, du bist aber groß geworden seit ich das letzte Mal hier war“, staunte er über einen schlanken Knaben, der ihn freudig anstrahlte. „Hier, das ist für dich! Du wolltest doch immer eine Flöte haben.“ Der kleine Gniri bekam glänzende Augen.

      „Danke, danke!“, rief er und rannte sogleich zu seinen Eltern, um ihnen die Kostbarkeit zu zeigen. Retasso blickte ihm lächelnd nach. Als der Knabe eilig aus der Menge verschwand, streifte er versehentlich einen jungen Mann, der etwas im Abseits stand. Retasso erkannte ihn sogleich: Es war Pytheras Schüler Rangiolf. Er war zwar ein wenig älter geworden, ansonsten hatte er sich jedoch kaum verändert.

      ‚Wahrscheinlich ist er noch genauso neugierig auf Menschen wie eh und je‘, dachte er, während er ihm freundlich zunickte. Rangiolf lächelte und erwiderte den Gruß. Dann trat er zur Seite, denn Pythera war gekommen.

      „Retasso, mein Freund, wie schön dich zu sehen“, rief sie aus, rannte auf ihn zu und nahm ihn herzlich in die Arme.

      „Ja, meine Liebe! Ich dachte, ich komme dich wieder besuchen. Es ist schon lange her, nicht wahr?“ Er drückte sie an sich und wollte sie vor Freude nicht mehr loslassen. „Ich muss gestehen, ich habe dich wirklich vermisst“, flüsterte er.

      „Komm“, sagte Pythera laut und löste sich lächelnd aus seiner Umarmung. „Lass uns zum Platz gehen, wir haben ein Fest vorbereitet …“

      „Woher wusstest du, dass ich komme?“, fragte der Gniri verwundert.

      „Ein kleines Vögelchen hat es mir zugeflüstert“, antwortete Pythera mit einem Seitenblick auf Rangiolf, der immer noch an derselben Stelle stand und sie aufmerksam beobachtete. „Übrigens, weißt du schon das Neueste? Mein Schüler hat seine Ovatenweihe erhalten!“

      „Das sind ja gute Nachrichten“, rief Retasso aus, derweil er Rangiolf nicht aus den Augen ließ.

      Rangiolf kannte Retasso kaum, aber er mochte seinen Ovatenkollegen und suchte, wann immer es ging, das Gespräch mit ihm. Auch jetzt verlangte es ihm danach, doch er wusste, dass er nicht einfach ungefragt in andere Gespräche hineinplatzen durfte. Er hielt nach Finilya Ausschau und als er sie im Festgetümmel erkannte, rannte er zu ihr.

      Der Festplatz befand sich auf der Lichtung inmitten von Pytheras Eichenhain. Dem Ortskern eines Dorfes gleich fanden hier allerlei Zusammenkünfte statt, in schwierigen Zeiten versammelte und beriet man sich hier. Heute war ein helles Feuer entfacht und rundherum lagen Matten ausgebreitet. In den Zweigen der Bäume hingen bunte Lampions und die Luft war erfüllt vom würzigen Duft delikater Speisen und schmackhaften Branntweins.

      „Komm, mein Lieber, setz dich!“ Die Heilerin wies auf einen freien Platz, der zwar nah am Feuer aber abseits des Trubels lag. „Du hast sicher Hunger. Wahrscheinlich hast du dich die ganze Zeit nur von Feigen ernährt“, lachte Pythera.

      „Apropos Feigen“, fiel Retasso ein, „schade, dass Finilya nicht da ist. Ich habe ihr welche mitgebracht.“

      „Falls du sie nicht triffst, kannst du sie mir oder Rangiolf geben.“

      „Rangiolf? Was

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