Eine verborgene Welt. Alina Tamasan
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„Ja“, rief er leise, während sein Blick zum Fenster wanderte, „es hat schon seine Vorteile, ein Barde zu sein. Ich habe mein eigenes Zimmer, kann kommen und gehen, wann ich will, ohne dass es jemand mitbekommt … Hoffentlich kommt sie!“ Es klopfte an der Tür und Rangiolf fuhr erschrocken zusammen.
„Wer ist da?“, fragte er ungewollt angespannt.
„Das Essen ist fertig“, hörte er seine Mutter Yhsa. „Komm jetzt! Steine zählen kannst du später.“ Rangiolf erhob sich stirnrunzelnd.
‚Woher weiß sie, was ich mache?‘, fragte er sich verdutzt. ‚Manchmal ist sie mir direkt unheimlich. Andererseits ist es keine Kunst, das vorherzusehen, ich habe nun mal damit zu tun.‘ Eine Melodie pfeifend betrat er den Raum, in dessen Mitte, in einem Steinkreis, ein Feuer munter prasselte.
„Endlich bequemt sich der Herr zum Essen, wir haben gewartet“, schalt ihn die Mutter mit erhobenem Zeigefinger. Das tat sie immer und es ging ihm ungemein auf die Nerven.
‚Als gönne sie mir mein Zimmer und meinen Bardenstatus nicht, weil jemand, der den Weg des Heilers geht, angeblich keine Familie gründen kann, denn er reist ja viel, ist sozusagen eine wichtige Person!‘, kam es dem jungen Gniri in den Sinn, als er in die Gesichter seiner zahlreichen Familienmitglieder blickte. Während einige seiner Geschwister gelangweilt an den Krallen ihrer breiten Füße herumzupften, betrachteten ihn andere mit Neid. Aus Yhsas Augen sprach dagegen unverhohlene Abscheu.
‚Wie konntest du es wagen, mich so zu enttäuschen und Barde zu werden?‘, fragte wie so oft ihr stechender Blick. ‚Du weißt, dass ich mir für dich eine Ehe gewünscht habe!‘ Rangiolf atmete geräuschvoll aus, gesellte sich zu ihnen und begann zu essen. Er mied den Blick auf seinen Vater Gabra.
„Na, na, mein Junge“, hörte er ihn sagen, „brauchst nicht so geknickt zu sein. Hiara kommt doch morgen und bringt dir Heilsteine.“ Stolz schwang in seinen Worten mit. Yhsa räusperte sich umständlich. Rangiolf sank noch mehr in sich zusammen. Sein Bruder Brafar versetzte ihm einen Stoß in die Rippen.
„Lass das!“, fuhr Rangiolf ihn an.
„Lass den Unsinn“, setzte Gabra hinterher.
„Papakind“, blaffte Brafar. „Glaubst wohl, du bist was Besonderes, was? Hast dein eigenes Zimmer, für deine blöden Steine, während wir uns im Schlafraum zusammendrängen müssen.“
„Tu nicht so, als wolltest du alleine schlafen“, antwortete Rangiolf knapp.
„Schluss jetzt!“, mahnte Yhsa, „esst jetzt oder es setzt was!“ Gabra schüttelte seufzend den Kopf. Er verstand das einfach nicht: Sein armer Junge bekam sämtliche Sticheleien ab und nur, weil er einen Weg beschritten hatte, den kein anderer vor ihm gegangen war. Sein Blick wanderte zu Brafar. ‚Nicht, dass ich ihm den Weg des Heilers nicht gönne‘, grübelte der alte Gniri, während er sich nachdenklich hinter seinem Ohr kratzte, ‚aber er hat einfach kein Talent! Wenn Rangiolf nicht heiratet, muss Brafar eine Familie gründen, ob er will oder nicht! Und das ist auch das einzig richtige für ihn – Rangiolf ist anders. Er ist etwas Besonderes!‘ Als hätte Rangiolf die Gedanken seines Vaters gehört, schüttelte er unmerklich den Kopf. Er schlang den Rest seiner Mahlzeit hinunter, erhob sich und verließ den Raum wie ein geprügelter Hund. Als sich die Tür seines Zimmers hinter ihm schloss, atmete er erleichtert auf. Erst jetzt merkte er, dass er am ganzen Körper zitterte. Er torkelte zu seiner Liege und ließ sich darauf nieder.
„Eine Liege ganz für mich allein“, murmelte er müde, „als wäre das so ein Vorzug …“ Der große Schlafraum drängte sich ihm als Bild vor sein inneres Auge. Dort saßen sie vor dem Schlafengehen noch beisammen und kämmten sich die Haare, dann umarmten sie sich und schliefen so gemeinsam ein. „Mich kämmt nur Finilya. Wenn sie nicht wäre …“ Der junge Gniri spürte, wie ihm eine Träne über die Wange kullerte und er erinnerte sich an Pytheras Worte, als er damals seine Ausbildung bei ihr antrat:
„Der Weg des Heilers ist ein ehrbarer Weg mit vielen Herausforderungen, die du im Dienste des Volkes und der Allgemeinheit bewältigen wirst. Dieser Weg macht jedoch einsam. Denke an einen hohen Berg. Unten, zu seinem Fuße, da wandern noch viele Leute mit dir. Je höher du steigst, desto weniger werden es sein. Irgendwann stellst du fest, dass du ganz alleine bist. – Früher einmal, als die Welten der Menschen und der Naturwesen noch vereint waren, gab es noch viele von uns. In den Zeiten sammelten sich Barden, Ovaten und Druiden an heiligen Orten, die teilweise heute noch existieren. Ich wünsche dir, dass du eines Tages an einen solchen Ort gelangst. Möge das deinem Herzen Frieden bringen.“ Pythera hatte mit einer seltsamen Melancholie in der Stimme gesprochen. Wenn er es genau betrachtete, war eindeutig, dass sie sich sehr einsam fühlte.
„Sie hat keinen Mann“, sagte Rangiolf nachdenklich, „geschweige denn Kinder. Ja, sie hat überhaupt keine Familie, nur diese Schwester. Ob es das Schicksal eines Barden, Ovaten und Druiden ist, für immer allein zu sein? Ob das anders war, bevor die Welten auseinanderbrachen?“
Menschen kannte der junge Gniri nur vom Sehen, wenn sie auf ihren Wegen durch den Wald liefen. Retasso, ein älterer Ovate, der manchmal zu Besuch kam, hatte ihm erklärt, dass sie das SPAZIEREN GEHEN nannten. Andere gingen JOGGEN, das heißt, sie rannten durch den Wald. So mancher aus ihrem Volk hatte sich nach dem Grund ihres Handelns gefragt, aber keine plausible Antwort dafür gefunden.
„SPA-ZIEREN GÄHN … DSCHOGKEN“, stammelte Rangiolf unbeholfen und schüttelte missmutig den Kopf. Dann hielt er inne. Retasso hatte gesagt, die Sprache der Menschen, die in der Nähe seines Volks leben, heißt DOITSCHI und sie leben in DOITSCHILAND. Rangiolf ließ die Worte innerlich nachwirken. „Seltsame Gestalten, diese Menschen“, murmelte er nach einer Weile, „so groß wie Pythera, ja teilweise noch viel größer, mit viel zu kurzen Armen. Man sagt, eine Menschenhand fühle sich wie Pudding an, irgendwie weich, und ihre kleinen Ohren, kein Wunder, dass sie so laut reden. Wenn man so taub ist, geht es eben nicht anders. Und diese winzigen Füße, die stecken sie in diese Dinger, die … wie nannte Retasso sie?“ Rangiolf zupfte sich nachdenklich am Ohr. „SCHUHE.“ Er sah auf seine breiten Gnirifüße und wackelte mit seinen 20 Zehen. „Dafür gibt es keine SCHUHE, die wären alle zu klein.“ Er betrachtete seine kräftigen dunklen Krallen und nickte. „Irgendwann gehe ich meinen Freund Sutia besuchen. Der wohnt in einem PARRK.“ So seltsam Rangiolf die Menschen auch fand, so neugierig war er darauf, sie einmal aus nächster Nähe zu betrachten.
„Man sagt, im PARRK lassen die Menschen die Bäume stehen und pflegen die Natur, nicht wie hier bei uns, wo sie kommen und sich Holz nehmen, uns heimatlos machen, damit sie es im Winter warm haben. Dort sind auch viele Wege, wo sie SPA-ZIRRN und Gras, wo sie sitzen und sich ausruhen … Rrrr“, gurrte er bei dem Gedanken und strich sich aufgeregt über die Borsten seiner Unterarme. „Was Finilya wohl dazu sagen würde? Menschen sind sicher nicht ihr Ding.“ Der Gniri seufzte leise. „Am liebsten würde ich sie sofort heiraten“, er strich über den Stoff seines hellen Lendenschurzes. Wie stolz er war, ihn zu tragen! Es zeigte, dass er im heiratsfähigen Alter war und sich eine Frau suchen durfte und auch musste, denn das tat jeder junge Gniri!
„Aber ihre Eltern können die Mitgift nicht zahlen und das würde meiner Mutter gar nicht gefallen, denn Finilya ist arm. Wo würden wir leben? Ihre Familie hat keinen Platz, unsere hat keinen Platz, und dann bin ich ja Barde. Bald erhalte ich meine Ovatenweihe und werde reisen müssen. Ob Finilya mit mir reist? Heimatlos und ohne Hab und Gut?“ Rangiolf kuschelte sich unter seine warme Moosdecke und