Karpfenkrieg. Werner Rosenzweig

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Karpfenkrieg - Werner Rosenzweig

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ich bins, die Kunni“, meldete sich Kunigunde Holzmann am Telefon.

      „Ja hallo, Tante Kunni, wie geht’s dir denn? So eine Überraschung. Willst du deinen Neffen sprechen? Der ist gerade beim Chef. Du hast bestimmt mitbekommen, was bei euch am Wochenende passiert ist. Der Gerald und unser Chef beraten gerade, wie wir am schnellsten die Identität des Toten herausfinden können.“

      „Deswegn ruf ich ja o, Sandra. Mitn Gerald wollt ich net sprechen, aber mit dir. Was hatn der Tote oghabt? Waßt du des?“

      „Eine beige Jeansjacke, ein hellbraunes, kurzärmliges T-Shirt und eine normale Jeans“, antwortete die Polizistin. „Außerdem haben unsere Kollegen noch einen grünen Filzhut und eine Taschenlampe in einem Graben gefunden.“

      „Dann gehst hie zu eiern Chef und zum Gerald und sagst den beiden an schena Gruß vo mir. Sagst bei dem Totn handelt es sich um den Horst Jäschke. Ich tät euch raten nach Neuhaus zu fahrn und die Hanna Jäschke zu besuchn, die vermisst nämli seit gestern ihrn Mo. Ob die den bei der Polizei scho als abgängich gmeldet hat, waß ich net. Solltet ihr da hinfahrn und der Hanna ihr Mo des Mordopfer sei, könnt ihr ja gleich a DNA-Probn mitnehma. Ich man a Zahnberschtla wird er wohl ham, der Horst. Und noch was: die Jackn und den Hut, welche der Tote tragn hat, die ghörn dem Johann Hammer in Röttenbach, in der Jahnstraß. Ich denk die Informationa sparn eich an Haufen Ärwert ei. Im Gegenzug – wenn die Ergebnisse vo der Leichenschau vorliegen – möchte ich gern wissen, wie der Horst Jäschke umkumma is. Kannst ja dem Gerald ausrichten, dass er sich net widder so bled anstellen soll wie beim letztn Mal und mana, er könnt den Fall alla lösn. Es wär besser, wir würdn desmal von vornherein zammärwern.“

      „Tante Kunni, du bist wie immer, ein Schatz. Woher weißt du denn das alles?“

      „Des kann ich eich später a nu erzähln. Machs gut, Sandra. Und der Gerald soll sich des gut überlegn, gell.“

      *

      Margot Segmeier, Vereinspräsidentin des Vereins Ferienregion Aischgrund e. V., geht in einer wahren Begeisterung in ihrem Job auf. Schlechte Nachrichten aus der lokalen Presse gefallen ihr gar nicht, besonders wenn das Zugpferd der Region, der Aischgründer Spiegelkarpfen für solche Negativmeldungen sorgt. In den letzten Tagen gab es zu viele schlechte Meldungen. Zuerst fuhr dieser Idiot von einem Genossenschaftspräsidenten besoffen Amok und hätte fast einen Polizeibeamten über den Haufen gefahren, und dann auch noch ein Mord an einem Neuhauser Teichwirt. Das Schicksal des toten Karpfenzüchters war ihr persönlich egal, aber was der Mord für die Sicherheit der Region bedeutete … Wenn sich das bei potentiellen Feriengästen herumspricht. Eine Katastrophe. Der Aischgrund, eine unsichere Region! Nicht auszudenken. Margot Segmeier war vor zehn Jahren aus Paderborn ins Fränkische zugezogen. Sie hatte sich in einen Franken verliebt und ihn schließlich auch geheiratet. Zuerst dachte sie, sie könnte ihren Mann Peter dazu bewegen sich in ihrer Heimatstadt niederzulassen, aber da biss sie sich die Zähne aus. „Ja glabst du denn, ich zieh zu euch Preißn?“, hatte er immer wieder gesagt. „Wisst ihr überhaupt, was a Schäuferla oder a backener Karpfn sen? Habt ihr scho mal was davo ghert? Oder vo Blaue Zipfl?“ Schließlich gab sie nach und folgte ihm nach Adelsdorf. Dort ansässig geworden, wähnte sie sich in einem fremden Land, dessen Sprache sie weder verstand, noch daran glaubte, diese jemals erlernen zu können. Aber es war nicht nur die Sprache. Es war eine andere Welt. Was diese Franken zu gewissen Anlässen trieben, verstand sie nicht. Eine Kirmes war bei ihnen eine Kerwa. Ein furchtbares Wort. Kerwa! Bam aufstelln, Betzn raustanzn, Geger rausschlogn. Warum diese Einheimischen mit verbundenen Augen, eine lange Holzrute in der Hand, auf eine leere Heringsbüchse einschlagen, würde für sie immer ein Geheimnis bleiben. Ab und zu liefen ihr andere traumatisierte Leidensgenossen aus Wolfenbüttel, Lüdenscheid oder Norderstedt über den Weg, welche von ähnlichen Verständnisschwierigkeiten berichteten. Auch im Hause Segmeier gab es diese anfänglichen Kommunikationsschwierigkeiten. Sie musste sich sehr anstrengen, ihren Peter zu verstehen. Zudem er auch noch maulfaul war. Das jung vermählte Ehepaar füllte die Kommunikationslücke durch häufigen Sex aus. Dabei musste man wenigstens nicht reden. Dachte sie. Bei Peter war das anders. „Schneggerla, ich kumm“, „Hast a schens fests Ärschla“, „Passt, wacklt und hat Luft“ und auch noch andere seltsame Sätze gab er von sich, und wieder stand Margot vor ungelösten Rätseln. Nach ungefähr drei Jahren konnte Margot unterscheiden, wo welches Wort endete und das nächste begann. Verstehen konnte sie aber immer noch nichts. Sie gab nicht auf, und langsam verbuchte sie wider Erwarten die ersten Erfolge. Sie konzentrierte sich auf sogenannte Schlüsselwörter, die sie immer wieder hörte, wie Gschmarri, Allmächd, gaddzn, Schleppern, Hundskrübbl, Brunzkartler, Gwaaf oder Waggerla. Das musste offenbar ihr Vorname auf fränkisch sein. Dann kamen ihr aber doch Zweifel, als ihr Mann sie plötzlich auch als Schneggerla betitelte. Sie schloss daraus, dass es im Fränkischen immer eine Doppelbezeichnung gibt. Die Schlüsselwörter schrieb sie sich fleißig auf. Ihre Liste war bereits ellenlang. Sie machte erhebliche Fortschritte. Mit der Zeit gelang es ihr – nur mittels der Schlüsselwörter – den Inhalt einer fränkischen Unterhaltung zu fünfzig Prozent richtig abzuleiten. Natürlich erlitt sie manchmal auch gehörigen Schiffbruch. Das gehörte dazu. Wenn ihr Mann Peter zum Beispiel von seinen Gaggerli sprach, musste das doch etwas anderes sein, als wenn die Einheimischen frische Eier im Supermarkt kauften. Die Einwohner von Paderborn, ihrer Heimatstadt, mussten auf Fränkisch jedenfalls Gschwerdl heißen. Da war sie sich ziemlich sicher. Ihr Vater namens Friederich war der Fregger, und ihre Mutter, die Doris, die Dolln. Das hatte sie irgendwie von Peter gelernt, wenn er von Paderborn oder ihren Eltern sprach.

      Es war eine harte Zeit des Lernens, aber heute liebt Margot Segmeier das Frankenland und ihre Arbeit abgöttisch. Vor drei Jahren wurde sie zur Vereinspräsidentin der Ferienregion Aischgrund e. V. gewählt. Ihr Mann Peter habe da mit seinen weitreichenden lokalen Beziehungen zu einflussreichen Politikern des Landkreises gewaltig mitgewirkt, heißt es hinter vorgehaltener Hand. Die Aufgaben seiner Frau bestehen darin, das Karpfenland Aischgrund zu einer attraktiven Urlaubsregion aufzubauen – im Mittelpunkt der Aischgründer Spiegelkarpfen, kulinarische Spezialität und Zugpferd im Land der tausend Teiche. Böse Zungen behaupten allerdings, dass Margot nur deshalb zur Präsidentin gewählt wurde, weil sie selbst einem Aischgründer Spiegelkarpfen zum Verwechseln ähnlich sieht. „Sie hat ein Maul wie ein Karpfen“, sagen viele. „Und an Buckl hats a“. Kurz nach ihrer Wahl zur Vereinspräsidentin versuchte ein einheimischer Karpfenzüchter ihr zu erklären, dass der Aischgründer Spiegelkarpfen nur ganz wenige Schuppen habe. Als sie daraufhin antwortete: „Ach wie niedlich, ich habe gar nicht gewusst, dass der Fisch auch Haare hat“, galt sie auch als brunzdumm. Natürlich hat Margot auch Neider. „Eine Preußin als Vereinspräsidentin, des geht doch net gut.“ Doch mit neununddreißig Jahren und ihrer preußischen Hartnäckigkeit steht Margot Segmeier über den Dingen, und gute Marketing-Ideen hat sie tatsächlich.

      *

      Die komplette Familie saß im Wohnzimmer versammelt: Hanni der Hammer, seine Frau Jana und Tochter Chantal. Kommissar Fuchs hatte darauf bestanden. Er und Sandra Millberger wollten sich ein Gesamtbild machen. Vielleicht hatte ja doch eines der Familienmitglieder eine wichtige Beobachtung in der besagten Nacht gemacht, als Horst Jäschke erstochen wurde. „Wenn wir die Situation richtig verstehen, Frau Hammer, haben Sie letzten Samstag Ihren Mann dabei unterstützt, das Grillfest zu organisieren, beziehungsweise ihm bei der Speisenzubereitung geholfen. Kann man das so sagen?“

      Ein zustimmendes „Hm“ war alles, was ihr der Kommissar entlocken konnte.

      „Haben Sie an dem Abendessen teilgenommen?“

      „Mhmh“, und ein dazugehöriges Kopfschütteln sollten eine Verneinung bedeuten.

      „Etz Kreiz nochamol, Jana“ fuhr ihr Mann dazwischen, „etz mach halt amol dei Schleppern auf! Was solln der Kommissar mit Hm und Mhmh ofanga?“ Jana Hammer zuckte bei den scharfen Worten ihres Mannes zusammen.

      „Schrei

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