Aufbruch im Miriquidi - Chemnitzer Annalen. Gerd vom Steinbach
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Die Frauen bereiten das Morgenmahl, die Kinder toben schon bald zwischen den Wagen herum. Die Männer, sofern nicht mit der Sicherung des Lagers betraut, entladen Rudolfs Wagen, um die zerschlagenen Räder zu wechseln. Rudolf selbst vermag mit seiner Verwundung die schweren Kisten und Säcke nicht zu bewegen und so ließ er sich von Hildebrand zur Wache einteilen.
„Dieses Wetter ist nur gut für böse Geister! Alles ist klamm, man sieht die Hand vor Augen nicht und draußen schart sich das Böse um uns!“, zetert Johanna und rumort mit dem irdenen Geschirr im Bach. „Und damit alles zusammenkommt, wird es bald aus Kübeln gießen!“ Ihre von der Kälte geröteten Hände ziehen den Krug so heftig durch das Wasser, dass er fast an die Steine schlägt.
Gerlinde steht neben ihr, sie schaut auf die Wütende herab und entgegnet spöttisch: „Du scheinst mir die rechte Wetterfee zu sein! Mit dem Nebel kennst du dich gut aus, he? Du wirst noch in deiner Rage den Krug zerschlagen und dann wird dich dein Gerhard schon Maß nehmen!“ Johanna zwingt sich, ihren Zorn zu mäßigen. Ein zerbrochener Krug wäre, wenn schon keine Katastrophe, so doch ein ziemliches Unglück. Wo bekäme man in der Wildnis hier einen neuen her? Ihr zappeliger Gerhard ist gewiss nicht der Mann, der töpfern kann. Gunhild hat beim Näherkommen die Kabbelei verfolgt, begütigend wirft sie ein:
„Der Nebel ist nicht das Schlechteste was uns widerfährt, er verbirgt uns vor neugierigen Blicken. Wenn ihr aber weiter schreit, weiß bald das gesamte Sorbenland, dass wir hier sind. – Warte nur, Johanna, hat sich der Nebel erst gehoben, werden wir den schönsten Sonnenschein bis zum Abend haben.“
„Was denn, noch ein Wetterprophet?“, mengt sich Else ein und schiebt sich zwischen die anderen. Die rundliche Frau tritt barfüßig und forsch in das eisige Wasser. Die Derbheit ihrer plumpen Füße, ihr fester Tritt und ihre Leibesfülle gestatten es ihr, der Strömung standzuhalten und ohne Mühe auf dem glitschigen Gestein einen festen Halt zu finden. „Was interessiert das Wetter? Ändern können wir es ohnehin nicht. Ich wasche mich lieber einmal richtig kalt und bin den ganzen Tag warm und gut durchblutet.“
„Und wir trinken dein Waschwasser, du Ferkel!“, ärgert sich Gunhild.
„Drei Schritte weiter kannst du gern ein Bad nehmen!“
„Lieber nicht“, Gerlinde kann sich die Boshaftigkeit nicht verkneifen, „dann steht ja gleich die ganze Aue unter Wasser.“
Sicher wäre es zu einem handfestem Streit zwischen den Frauen gekommen, wenn nicht just Hildebrands Stimme herübergedrungen wäre:
„Ihr könnt von mir aus noch bis heute Mittag hier herumtoben und ganze Bärenfamilien in die Flucht schlagen! Aber wenn nicht ganz schnell das Essen fertig ist, geht es mit leerem Magen weiter!“
Hastig kommt seine Frau herübergelaufen. Gerfriede behauptet unter den Frauen ihre Führungsrolle mühelos, was sicher auch von der Stellung ihres Mannes herrührt. Doch auch ihr hohes Alter, ihre Klugheit und ihr bestimmtes Auftreten verleihen ihr eine nicht zu übersehende Geltung. „Jetzt lasst das Gezänk, ihr Weibsbilder! Für Rangeleien ist keine Zeit, wir müssen uns beeilen!“ Diese Mahnung weckt schließlich ihre Vernunft und rasch gehen die Frauen an ihr Tagewerk. Wie sie es seit Beginn der Fahrt gewohnt sind, teilen sie sich in die Aufgaben, denn eine Haushaltung wie am festen Wohnsitz wäre viel zu aufwendig. Außerdem schweißen die gemeinsamen Erlebnisse die Familien trotz aller Unterschiede fest zusammen.
Als die ersten Sonnenstrahlen, ganz nach Elses Worten, zaghaft durch den Nebel finden, sind die Wagen beladen und die Ochsen stehen im Geschirr. Peitschenknallen und schallende Ho-ho-Rufe künden lautstark vom Aufbruch. Ein paar ältere Jungen und Mädels gehen der Kolonne voran und schlagen das störende Geäst von der Trasse, die von der Spur der Vorhut markiert wird.
Ein gutes Stück weiter, doch immer noch in Sichtweite, schreitet Reinhold voraus, die Befahrbarkeit des Bodens prüfend und die Sicherheit der Kolonne in Fahrtrichtung im Auge haltend. Sein Fuhrwerk hat er Ludwig, seinem ältesten Sohn anvertraut, der mit seinen sechzehn Jahren schon recht geschickt den Wagen zu führen weiß. Da das Tempo des Zuges von den trottenden Rindern bestimmt wird, fällt es Reinhold nicht schwer, die Trasse festzulegen und gleichzeitig das Umfeld gründlich auszuspähen. Doch ist der Wald zu dicht, als dass ein einzelnes Augenpaar alles überblicken könnte. Freilich wäre es zweckmäßiger, würden Späher im weiten Umkreis die Beobachtung übernehmen, aber dafür sind sie zu wenige Leute.
Hildebrand hat diese Sorge deutlich aufgezeigt, aber eine andere Lösung als die jetzige konnten sie nicht finden, schließlich sind sie kein Heerwurm, sondern Siedler auf dem Treck.
„Ohne Risiko kommen wir nicht weiter, wir müssen auf Gott vertrauen!“, hatte er seine Unterweisung beendet. Nur gut, dass die Halbwüchsigen die Fahrt als ein Abenteuer betrachten und entlang der Schneise mehr oder weniger aufmerksam spähen. Doch wenn die Kolonne wieder in den Wald eintaucht, ist die Beobachtung kaum noch möglich und es wird sehr auf das scharfe Auge von Heribert ankommen, der von seinem Gespann aus, das an zweiter Stelle rollt, die Schatten der riesigen Bäume mit seinem Adlerblick zu durchdringen vermag.
Am Schluss des Wagenbandes wachen der kleinwüchsige Matthias und seine nicht minder große Frau Sabina mit höchster Aufmerksamkeit. Beide sind keineswegs ängstlich und Hildebrand hatte keine Mühe, als er ihnen diesen besonders gefährdeten Platz zuwies. Reinhold stellt sich vor, wie verzwickt die Lage im Falle eines Angriffs von hinten für sie wäre. Die vorn können weiter vor oder zur Seite flüchten, aber das letzte Fahrzeug wird vom vorherfahrenden blockiert und seine Fuhrleute können nichts anderes tun, als sich dem Kampf zu stellen. Reinhold schrickt auf und ruft einen der Burschen herbei.
„Lauf hinter zu Meister Hildebrand. Er soll die Abstände zwischen den Fuhrwerken auf zwei bis drei Gespannlängen vergrößern lassen, damit sie bei Gefahr reagieren können!“ Der Junge flitzt los und kurz darauf bekunden die Rufe von Fahrzeug zu Fahrzeug, dass der Gedanke aufgegriffen wurde und umgesetzt wird.
Als die Sonne langsam sich ihrem niedrigen Zenit nähert, hat sich die Bachaue gleich einem Trichter so sehr verengt, dass gerade noch zwei Wagenbreiten das sprudelnde und gurgelnde Wasser von dem Pfad trennen, der mit seinen sumpfigen Grasnarben einen halsbrecherischen Saum bildet. Die Mäander zwingen die Ochsen, ihre schwere Last in häufigen Bögen einmal durch weichen Grund, dann wieder über scharfkantige Steine zu ziehen. Das weiße, kraftlose Sonnenlicht ringt mit den schweren Schatten der kahlen Eichen und malt auf den sich stetig wandelnden Boden ein wirres Muster aus Streifen und Linien. Selbst am hellerlichten Tage bereitet die schwarze Tiefe des Waldes den Reisenden Unbehagen, was durch das Krächzen der Rabenvögel noch verstärkt wird, wenn diese plötzlich scharenweise aufsteigen.
Besorgt schaut Rudolf zum Himmel. „Die Luft ist zu klar, kein Wölkchen ist zu sehen und außer dem Gekrächze ist kein Ton zu vernehmen. Das sieht mir sehr nach Frost und Schnee aus!“ Mühsam versucht er trotz seines straffen Verbands sich zur Seite zu beugen, um am vorausfahrenden Fahrzeug vorbeizuschauen. Ein stechender Schmerz in der Hüfte lässt ihn schnell wieder lotrecht und steif wie ein Wurfspieß sitzen.
„Ist wohl noch nichts mit Tanz und galanten Verbeugungen vor den Schönheiten, wie?“, kichert die alte Hildburga an seiner Seite. „Bleib nur ruhig sitzen, mein Jungchen. Um das Wetter muss dir nicht bange sein. Heute noch erreichen wir das alte Kastell auf dem Höhlenberg und werden es dort sicher schön warm haben.“