Leben im Sterben. Romana Wasinger

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Leben im Sterben - Romana Wasinger

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Tod und Trauer sollten aber ihren Platz dort haben, wo sie hingehören, nämlich im Leben.

      Aufgrund der vielfältigen Möglichkeiten der modernen Medizin ist unsere Lebenserwartung angestiegen und es wächst die Gruppe jener Patienten, die länger zwischen Leben und Tod schwebt. Die Zahl der chronisch Kranken steigt, die häufig über viele Jahre hinweg pflegebedürftig sind. Die moderne Intensivmedizin entwickelt immer mehr Möglichkeiten, Leben zu verlängern. Die „Hochleistungsmedizin“ wird manchmal auch, nicht nur von mir selbst, wie ich aus Gesprächen mit vielen Menschen weiß, als bedrohlich wahrgenommen. Besonders die Vorstellung, gegen den eigenen Willen durch künstlich lebenserhaltende Maßnahmen am Sterben gehindert zu werden, kann Unbehagen wecken, obwohl viele Patienten dem Einsatz der modernen Intensivmedizin in einer lebensbedrohlichen Situation ihr Leben verdanken und durch sie ihre Gesundheit wieder erlangten.

       Ist eine Krankheit erst einmal identifiziert und mit einem Namen belegt, wird sie automatisch zum Gegenstand einer Behandlung mit dem Ziel, sie möglichst in den Griff zu bekommen. 40

       Die Menschheit verdankt der medizinischen Wissenschaft, dass zwischen reversiblen (also heilbaren) und irreversiblen pathologischen Prozessen unterschieden werden kann. Außerdem entwickelt die moderne Medizin ständig neue Therapien und Medikamente, so dass die Waage immer mehr zugunsten eines längeren Lebens ausschlägt. Leider hat die Medizin uns auch in der irrigen Haltung bestärkt, die Gewissheit unseres Sterbens zu leugnen.41

      Die verbesserten Möglichkeiten der Medizin: Die Fortschritte und die Technisierung der medizinischen Wissenschaft haben dazu geführt, dass wir in einem vorher unbekannten Ausmaß in die Sterbeprozesse eingreifen können. Die Apparate-, Intensiv- und Transplantationsmedizin vermag vielen Menschen zu einem neuen lebenswerten Leben zu verhelfen, aber sie vermag auch, Menschen über lange Zeiträume am Leben zu erhalten. Das ist die Kehrseite des Ganzen: die unsägliche Verlängerung des Sterbens und das Schüren der Erwartungshaltung von Patienten und Angehörigen, dass alles repariert und geheilt werden kann. Es bleibt fraglich, ob wir alles, was machbar ist, auch einsetzen müssen.42

      Wovor könnten sich schwerkranke Menschen im Angesicht des Sterbens ängstigen? Zu dem kleinen, auf den ersten Blick so unscheinbar erscheinenden Wort Angst, kann man sich einiges überlegen. Es gibt viele Möglichkeiten:

       Angst vor den physischen Folgen der fortschreitenden Krankheit (z. B. Immobilität, Schmerzen, Schwäche, Verlust der Unabhängigkeit)

       Angst vor den psychischen Folgen der fortschreitenden Krankheit (z. B. Zusammenbruch, physische Entgleisung, geistige Unzurechnungsfähigkeit)

       Angst vor dem Sterben (z. B. Verlust der Zukunft, existentielle Angst)

       Angst vor Therapien und Therapiefolgen (z. B. große Operationen, Verlust eines Organs, Verlust des Körperbildes, Nebenwirkungen)

       Ängste, die das unmittelbare soziale Umfeld betreffen (z. B. Verlust geliebter Personen, Verlust der eigenen Rolle, Verlust sexueller Attraktivität, zur Belastung für die Familie werden)

       Angst vor sozialer Isolierung, Angst vor Verarmung, Verlust von Beruf und sozialem Status.43

      Welche Ängste können hinter dem Satz „Ich habe solche Angst, Herr Doktor!“ stecken? Ist es die Angst vor dem Verlust der Autonomie, der Lebensqualität, vor Rückfällen, verstümmelnden Eingriffen, Schmerz, Atemnot, passiver Auslieferung, dem Verlassenwerden und der Trennung, vor Neid und Eifersucht auf Gesunde, dem eigenen Schatten, einer Gerichtsbarkeit nach dem Tode?44

      Ängste in der Terminalphase, nach einer eventuell lange schon gelebten Erkrankung beziehen sich meist auf die Sterbesituation selbst. Dabei sind häufig Wesensveränderungen zu beobachten, z. B. Verwirrtheit, Aggressivität, Delirium, Zeitverlust, aber auch Abwendung, versagende Stimme oder ein „leerer Blick“, in denen einerseits, wie es manchmal scheint, die intensive Begegnung mit der persönlichen Bilanz des Lebens zum Ausdruck kommt, die in unterschiedlichen Träumen, Gefühlen und Visionen „erlebt“ wird, und andererseits auch die besondere Auseinandersetzung mit der Ungewissheit im Angesicht des nahen Todes zum Ausdruck kommt.45

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