Leben im Sterben. Romana Wasinger

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Leben im Sterben - Romana Wasinger

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über die verschiedenen Definitionsmöglichkeiten und Expertenmeinungen zu geben, finden Sie zu jedem Begriff mehrere mögliche Definitionen und Sichtweisen verschiedener Autoren. Würde ich hier nur Definitionen aus einem einzigen Fachbuch oder die Sichtweise eines einzigen Autors wiedergeben, hätten Sie nicht die Möglichkeit, sich ein Bild von der Vielfalt der Erklärungsmöglichkeiten zu machen. Wörtlich aus der Literatur oder dem Internet entnommene Textpassagen erkennen Sie an der Kursivschrift, neben allen anderen, also nicht wortwörtlich übernommenen Textpassagen, finden Sie in Form von fortlaufenden Ziffern die Literaturhinweise bzw. Hinweise auf die entsprechenden Internetadressen.

      Die theoretische Einstimmung erhebt aufgrund der umfassenden Thematik keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. Sie soll jenen LeserInnen, die sich vielleicht zum ersten Mal mit dem Bereich „Leben am Lebensende“ auseinandersetzen, lediglich einen Überblick über wichtige (Fach-) Begriffe ermöglichen. Zur Einleitung jedes Kapitels und auch eingebettet in Theorie und Fallbeispiele finden Sie immer wieder berührende Verse und Gedichte. Im Kapitel 5 stelle ich Ihnen meinen Arbeitsplatz vor, danach berichte ich von meinen Erfahrungen als Teil eines Hospizteams sowie von prägenden Erlebnissen, die mich letztendlich auf Umwegen zu meiner beruflichen Tätigkeit in ein Hospiz geführt haben. In den Kapiteln 1, 3, 5 und 6 lasse ich Sie an Erlebnissen im Zuge von Lebens- und Sterbebegleitungen im Hospiz teilhaben. Ich widme diese kurzen Geschichten menschlicher Begegnungen voller Dankbarkeit meinen LehrmeisterInnen – all jenen Menschen, die auf unserer Hospizstation verstorben sind.

      Beim Lesen der folgenden Seiten sollen Sie fühlen, dass jeder Mensch, jedes Leben und jedes Sterben einzigartig ist und dass Hospize besondere Orte sind. Es sind keine dunklen, beängstigenden Orte der Schmerzen, der Hoffnungslosigkeit, der Einsamkeit, der Trauer, des Verlustes und des Todes, sondern Orte des Lebens. Hospize sind helle, offene, freundliche Orte, an denen gemeinsam gelacht und auch geweint wird. An diesen speziellen Orten wird schlicht und einfach Menschlichkeit gelebt. Wir Pflegenden respektieren die Eigenheiten und Wünsche unserer PatientInnen, wir behandeln sie mit Achtung und Respekt und wahren ihre Würde bis zu ihrem Tod. Wir sind beim Regeln „letzter Dinge“ behilflich und stehen Angehörigen in dieser meist als sehr belastend empfundenen Zeit bei. Bei uns zählen nicht nur die Krankengeschichten der uns anvertrauten Menschen. Schwerkranke Menschen werden nicht als „Fälle“, sondern als individuelle Persönlichkeiten mit all ihren Facetten gesehen. Unser Ziel ist nicht die Heilung von Krankheiten, sondern die Begleitung unheilbar kranker Menschen in ihrer letzten Lebensphase unter Berücksichtigung der Wünsche, Bedürfnisse und Vorstellungen der Sterbenden. Wir versuchen mit allen uns zur Verfügung stehenden Ressourcen, unseren PatientInnen ein Leben mit der größtmöglichen Lebensqualität bis zum letzten Augenblick zu ermöglichen. Sterben und Tod werden in Hospizen als natürliche Ereignisse anerkannt, die am Ende jedes Lebens stehen. Wir Schwestern tun alles dafür, damit Sterben individuell in einem liebe- und respektvollen Rahmen, in Frieden und Geborgenheit geschehen kann.

       Verantwortung

       Jeder ist für alle verantwortlich.

       Jeder ist allein verantwortlich.

       Jeder ist allein verantwortlich für alle.

      Antoine de Saint-Exupéry

      Vielleicht kann dieses Buch dazu beitragen, Ihnen den Prozess des Sterbens und Begriffe wie „Hospiz“ und „Sterbebegleitung“ etwas näher zu bringen.

      Nachfolgend gilt bei allen personenbezogenen Bezeichnungen die gewählte Form für beide Geschlechter.

      Kapitel 1

      Leben und Sterben

       Der Mensch

       Empfangen und genähret

       Vom Weibe wunderbar

       Kömmt er und sieht und höret,

       Und nimmt des Trugs nicht wahr;

       Gelüstet und begehret,

       Und bringt sein Tränlein dar;

       Verachtet, und verehret,

       Hat Freude und Gefahr;

       Glaubt, zweifelt, wähnt und lehret,

       Hält Nichts, und Alles wahr;

       Erbauet, und zerstöret;

       Und quält sich immerdar.

       Schläft, wachet, wächst und zehret;

       Trägt braun und graues Haar.

       Und alles dieses währet,

       wenn’s hoch kömmt, achtzig Jahr.

       Denn legt er sich zu seinen Vätern nieder

       und er kömmt nimmer wieder.

      Matthias Claudius (1740 - 1815)

      Bevor man sich mit dem Sterben befasst, sollte man vielleicht erst einmal darüber nachdenken, was „Leben“ bedeutet. Denn beides gibt es ausschließlich im „Doppelpack“. Niemals gibt es eines der beiden ohne das andere. Leben, dieses uns wohl meistens so selbstverständliche „Dasein“, ist nach meiner Überzeugung ein im Idealfall harmonisches Zusammenspiel von Körper, Geist und Seele und nicht nur ein gelungenes Zusammenspiel unzähliger Zellen mit den unterschiedlichsten Aufgaben. Es besteht für mich nicht nur aus chemischen Abläufen und bestimmten Merkmalen und Fähigkeiten, die uns von „toter Materie“ unterscheiden.

      Jedes Leben ist einzigartig und kann so vieles sein: ein Sich-Einlassen, Lachen und Weinen, Beziehung und Freundschaft, Liebe und Hass, Verantwortung, ein ständiges Abschiednehmen, um sich Neuem, Unbekanntem zu öffnen, Arbeiten und Ausruhen, Einsamkeit und Geselligkeit, Freude und Leid, Hoffnung, Kreativität, Lebenslust, Neugierde, ein Sicheinfügen oder Herausragen, Kämpfen und manchmal auch Siegen, Verluste hinnehmen, über sich Hinauswachsen, Grenzen Überschreiten, Ängste Besiegen, Gesundheit und Krankheit, Harmonie und Auseinandersetzung, Herausforderung, ein nie endender Lernprozess, Genuss, Verzicht, Hoffnung und Resignation, Entscheidungen treffen, Gestalten, Verändern, Sinnsuche und vielleicht auch Sinnfindung …

      Leben ist unsagbar vielfältig und steht uns nicht unbegrenzt zu Verfügung. Leben – das ist unbestreitbar immer auch Vergänglichkeit und Endlichkeit. Denken wir manchmal daran, dass unser Leben eines Tages, vielleicht schon in wenigen Minuten, vielleicht erst in vielen Jahren, endet? Unsere Zukunft dauert nicht unendlich, so wie wir manchmal zu glauben scheinen. Schätzen wir dieses Leben? Oder nehmen wir es als etwas ganz Selbstverständliches hin? Sind wir uns bewusst, wie wertvoll und einzigartig unser Leben ist? Sind wir glücklich und dankbar, wenn wir gesund sind und jeden Tag aufs

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