Im Kreuzfeuer. Christian Wehrschütz
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Interessant war die Region wegen der in der Nähe liegenden Ölvorkommen. Sie soll der serbische Milizen-Führer und mutmaßliche Kriegsverbrecher Željko Ražnatović, genannt Arkan, ausgebeutet und damit gutes Geld gemacht haben. Arkan und seine Tiger-Milizen erledigten die „Drecksarbeit“, also Mord, Vertreibung, Plünderung, für die reguläre Truppen nicht herangezogen werden sollten. Denn der Krieg im ehemaligen Jugoslawien war auch ein Raubkrieg. Gestohlen wurde alles was nicht niet- und nagelfest war, und Häuser wurden bis auf die Grundmauern demontiert und demoliert, ein Umstand, vom dem ich mich noch Jahre später immer wieder selbst überzeugen konnte. So wurden aus den Häusern in der Gemeinde Nijemci auch die Kupferdrähte herausgerissen, erzählt Klein. Bekanntestes Beispiel dieses Plünderungsfeldzuges unter dem Banner nationalistischen Heldenmutes ist Arkan selbst. 1952 in Slowenien geboren, soll Ražnatović in den 1970er Jahren Morde und Raubüberfälle in mehreren Staaten Europas begangen haben. Außerdem soll Arkan in Schutzgelderpressungen und illegales Glücksspiel verwickelt gewesen sein. 1995 heiratete Arkan Svetlana Veličković, genannt „Ceca“, die serbische Ikone des Turbo-Folks. Dabei handelt es sich um eine Musikrichtung, die Elemente der Volksmusik, des Schlagers, des Rocks, Pops und Technos miteinander verbindet und vor allem in Serbien sehr beliebt ist. Die Trauung bezeichneten serbische Medien als die Hochzeit des Jahres, und auch Arkan war als Person durchaus populär, auch ein Zeichen für das Maß des Zusammenbruchs des moralischen Wertesystems im damaligen Serbien. Arkan wurde am 15. Jänner 2000 in der Halle eines Belgrader Hotels erschossen. Die Hintergründe und Auftraggeber der Tat sind bis heute ungeklärt, obwohl die mutmaßlichen Attentäter in Belgrad mehrmals vor Gericht gestanden sind.
Klar ist jedenfalls, dass Arkan auch im kroatischen Vukovar im Einsatz war. Vukovar fiel Ende November 1991 in die Hände der damals nominell noch bestehenden Jugoslawischen Volksarmee. Die Stadt wurde weitgehend zerstört, massive Kriegsverbrechen folgten. Lipovac liegt nicht weit von Vukovar entfernt und soll noch schlimmer ausgesehen haben, erzählt Bürgermeister Ivica Klein. Entdeckt wurde auch ein Grab mit mehr als 20 Leichen, zehn Bewohner aus der Gemeinde werden noch immer vermisst. Klein kehrte das erste Mal am 15. Mai 1996 in seine Heimatgemeinde zurück; damals habe es nicht einmal genügend Raum zur Unterbringung der Entminungsteams gegeben. Doch bereits im November setze die erste Rückkehrer-Welle ein. Anfang Dezember besuchte Staatspräsident Franjo Tuđman die Gemeinde. Doch natürlich kamen nicht alle Vertriebenen oder Flüchtlinge zurück. So verlor die Gespannschaft Vukovar-Syrmien zwischen 1991 und 2001 mehr als zehn Prozent ihrer Einwohner. Trotzdem wurde beim Wiederaufbau viel geleistet. 13 Jahre nach dem Krieg sind keine direkten Schäden mehr zu bemerken; waren bei Kriegsende mehr als 50 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche minenverseucht, sind es nun weniger als fünf Prozent. Für Lipovac ist das sehr wichtig, weil dort Getreide und Viehzucht zur Haupteinnahmequelle zählen, und der Ort vor allem den ländlichen Tourismus entwickeln will. Denn in der Umgebung von Lipovac lässt es sich gut Wandern und Jagen, etwa im Wald von Spaeva, der einer der größten erhaltenen Steineichenwälder Europas sein soll. Fischen kann man an den nahegelegenen Flüssen Spaeva und am Bosut.
Im Gegensatz zur Donau ist die kroatisch-serbische Grenze bei Lipovac bereits demarkiert, und auch ein kleiner Grenzverkehr wurde eingerichtet. In der Gemeinde leben 12 Prozent Serben. Trotzdem zeigen Lipovac und die historische Region Srem/Srijem, in welch großem Ausmaß die blutige Geschichte des 20. Jahrhunderts aus multiethnischen Gebieten ethnisch weitgehend homogene Territorien gemacht hat. Dabei geht es nicht nur um den Zweiten Weltkrieg oder den blutigen Zerfall Jugoslawiens, sondern natürlich auch um andere Faktoren wie etwa die zwischen 1945 und 1948 staatlich betriebene Zuwanderung aus anderen Teilrepubliken. In nicht wenigen Fällen erhielten dabei sogenannte „Kolonisten“ Land und Häuser, die vertriebenen Deutschen gehört hatten. Wie sehr sich die nationale Zusammensetzung der historischen Region geändert hat, zeigen Volkszählungen. So lebten 1910 in Srem/Sriejm 414.234 Einwohner; Knapp 46 Prozent waren Serben, 24 Prozent Kroaten und 30 Prozent andere Volksgruppen (Deutsche, Ungarn usw.). Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden allein im östlichen, serbischen Teil knapp 29.000 neue Bewohner angesiedelt. Obwohl die Region bis 1991 nur administrativ geteilt war, erfolgte im kroatischen Teil eine „Kroatisierung“ und im serbischen Teil eine „Serbisierung“ der Region. Diese ethnische Homogenisierung wurde durch den Krieg im ehemaligen Jugoslawien noch drastisch verstärkt. So lebten 1948 im westlichen Teil 70 Prozent Kroaten und 20 Prozent Serben; 2001 waren es 78 Prozent Kroaten und 15 Prozent Serben. Praktisch am Verschwinden waren die Minderheiten; so sank der Anteil der Ungarn von 4,4 auf 1,0 Prozent. Noch drastischer ist das Bild im östlichen, also serbischen Teil: Von 1948 bis zur Volkszählung 2002 stieg der Anteil der Serben von 72 auf 85 Prozent, währen der Anteil der Kroaten von 13,0 auf 2,6 Prozent sank. Was die übrigen Minderheiten betrifft, so sind sie auch im serbischen Teil der Provinz am Verschwinden.3)
All das wusste ich natürlich nicht, als ich im Februar 2000 froh war, mit dem Mercedes-Transporter endlich die kroatisch-serbische Grenze bei Lipovac erreicht zu haben. Heute sehe ich die Chance, dass unter dem Dach der EU diese Grenze dereinst verschwinden und Srem/Srijem wieder zu einer Europa-Region zusammenwachsen könnte. Doch dazu muss Serbien erst EU-reif werden, und dieser Prozess wird noch einige Jahre dauern, obwohl bei gutem Willen auf beiden Seiten, eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit natürlich bereits heute beginnen könnte. Diese Perspektive sieht auch Bürgermeister Ivica Klein in Lipovac; seine Gemeinde hat auf den Straßenschildern an der Autobahn bereits weitgehend der Bezeichnung Slavonski Brod Platz machen müssen. Vielleicht wird die kroatische Straßenverwaltung dereinst auch bereit sein, im Großraum Agram ein Schild mit der Aufschrift „Belgrad“ zu montieren, wenn sich die bilateralen Beziehungen mit Serbien noch weiter normalisiert haben werden.
Darüber und über meine Anreise denke ich oft nach, wenn ich mit unserem langjährigen Fahrer Vlada die Grenze passiere. Das ORF-Büro in Belgrad hat übrigens kein eigenes Auto, weil alle Drehteams ohnedies ihre eigenen Fahrzeuge haben. Taxis und Fahrer sind noch immer weit billiger und sicherer als Kauf und Instandhaltung eines eigenen Autos. Dieses Fahrzeug müsste zudem auf bewachten Parkplätzen stehen, und obendrein gibt es weder vor der Wohnung noch vor dem Büro einen solchen. Außerdem hatten Ausländer zunächst eine weit höhere Maut als Inländer zu bezahlen. Den Mercedes-Transporter haben wir bereits 2000, wenige Monate nach dem Ende des Flugembargos, nach Wien zurückgebracht. In Belgrad nutzte ich ihn aus der begründeten Angst vor Diebstählen nur einmal, und das hätte für mich leicht fatale Folgen haben können. Ich war zur Villa gefahren, in der auch das alte Büro untergebracht war, um die Übersiedlung vorzubereiten. An der abschüssigen Straße, die im Winter ein Alptraum für jeden Fahrer ist, gab es keine Parkplätze. Daher stand der Transporter direkt neben der Hausmauer, und man konnte nur über den Beifahrersitz einsteigen. Als ich an diesem Tag meine Arbeit beendet hatte, ins Auto einstieg und starten wollte, merkte ich, dass jemand versucht hatte das Startschloss zu manipulieren. Die Diebe hatten zwar professionell die Tür geöffnet, waren aber an der Sicherung des Fahrzeuges gescheitert; dabei hatten sie Schloss und Zündung beschädigt. Mir wurde heiß und kalt bei dem Gedanken, was hätte geschehen können, hätte ich die Gauner überrascht, als einer von ihnen noch im Auto saß. Ohne entsprechenden Fluchtweg hätte der versuchte Diebstahl für mich letale Folgen haben können. Sofort verständigte ich mein Drehteam und die Polizei. Nach der Aufnahme aller Daten brachten wir das Auto mit Mühe in Gang, fuhren zum Hotel auf den bewachten Parkplatz und dann zur Mercedes-Niederlassung in Belgrad, einer Firma, die auch in der Zeit der Krise