Im Kreuzfeuer. Christian Wehrschütz
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„Die Grundlinie Neubachers bestand darin, zwecks Schwächung der Partisanenbewegung die Politik eines Groß-Serbien mit Hilfe Nedićs wieder aufleben zu lassen, die Verräter Draža Mihailović und Ljotić zur Mitarbeit zu gewinnen und gegenüber Serbien eine Politik der Durchführung der Sühnemaßnahmen auf eine neue Art zur Anwendung zu bringen … Bei dieser Gelegenheit änderte er die alten Bestimmungen über die Durchführung der Sühnemaßnahmen, die politisch fehlerhaft und schädlich für die Interessen des faschistischen Deutschland waren.“
35 Jahre später sollte dieses Thema noch eine Rolle spielen, und zwar im berühmten „Memorandum der Serbischen Akademie der Wissenschaften und Künste“ aus dem Jahr 1985. Über die Vertretung von Serben in der kommunistischen Führung während des Zweiten Weltkriegs heißt es in dem Memorandum7):
„Während des Krieges war Serbien bei der Verabschiedung von Beschlüssen, welche die zukünftigen zwischennationalen Beziehungen und die jugoslawische Gesellschaftsordnung bestimmen sollten, nicht vollkommen gleichberechtigt beteiligt. Der Antifaschistische Rat Serbiens wurde in der zweiten Hälfte des Jahres 1944 gegründet, also später als in den anderen Teilrepubliken, die Kommunistische Partei Serbiens sogar erst nach Kriegsende.“
Das Gefühl, wirtschaftliches und politisches Opfer im kommunistischen Jugoslawien gewesen zu sein, zieht sich durch das gesamte Memorandum und die gesamte Schrift. Schwaches Serbien und starkes Jugoslawien – dieses (vermeintliche) Credo Titos spiegelt auch die kommunistische Verfassung aus dem Jahr 1974 wieder. Sie sah sechs Teilrepubliken (Slowenien, Kroatien, Bosnien und Herzegowina, Montenegro, Mazedonien und Serbien) und zwei autonome Provinzen (Kosovo und Vojvodina) vor. Diese Gliederung empfanden Teile der intellektuellen Elite Serbiens offensichtlich als Ungerechtigkeit, wie die Publikation8) der Serbischen Akademie der Wissenschaften zeigt:
„Obwohl Serbien nach Größe und Einwohnerzahl die größte der Teilrepubliken ist, verlor es mit der Verfassung aus dem Jahre 1974 wichtige Attribute der Staatlichkeit. Die Gefahr der Desintegration bedrohte nicht nur Jugoslawien, sondern auch Serbien. Die beiden autonomen Provinzen Serbiens, ausgestattet mit den realen Rechten der Teilrepubliken, schränkten Serbien bei der Verabschiedung von selbständigen und für das Funktionieren der Republik wirksamen Beschlüssen ein. Die Provinzen bildeten sogar Koalitionen mit den restlichen Teilrepubliken, weshalb Serbien regelmäßig auf Bundesebene in der Minderheit war. Dieses eigenartige Phänomen lässt sich leicht deuten, wenn man den ausschlaggebenden Einfluss von Tito, dem Kroaten, und Kardelj, dem Slowenen, auf die Zusammensetzung des Führungskaders in den Provinzen bedenkt.“
Als diese Bewertung 1996 in deutscher Sprache gedruckt wurde, war es bereits fast zehn Jahre her, dass Slobodan Milošević bei der berühmten „Achten Sitzung“ des Zentralkomitees der serbischen Kommunisten im September 1987 seinen Mentor Ivan Stambolić entmachtet hatte. Als Aufstiegshilfe diente Milošević die Kosovo-Frage, dessen Autonomie er ebenso beseitigte wie die der Vojvodina. Unter Milošević wurde das Mehrparteiensystem in Serbien eingeführt, und aus den Kommunisten wurde im Juli 1990 die Sozialistische Partei Serbiens. Doch der einsetzende Parteienpluralismus führte nicht zu umfassender Demokratisierung, sondern zu einer Welle des serbischen Nationalismus und zum blutigen Zerfall des Tito-Staates, eine Entwicklung für die Milošević und sein System zweifellos die Hauptverantwortung, aber keineswegs die Alleinverantwortung tragen.
„Rest-Jugoslawien“
Zehn Jahre später, am 5. Oktober 2000 stürzte Milošević; er wurde am 28. Juni 2001 an das Haager Tribunal ausgeliefert – dem Veitstag, also dem Tag der Schlacht am Amselfeld (1389), dem Tag der Ermordung von Franz Ferdinand in Sarajevo (1914), dem Tag des Ausschlusses der Kommunistischen Partei Jugoslawiens aus der Komintern (1948) und nicht zuletzt am selben Tag, an dem 1989 Milošević am Amselfeld zum 600. Jahrestag der Schlacht eigentlich eine recht banale Rede gehalten hatte. Doch von dem versprochenen „himmlischen Serbien“ blieb nach Kriegen, zehntausenden Toten, hunderttausenden Flüchtlingen und Vertriebenen sowie Krisen nur ein weitgehend ruiniertes Land übrig. Die endgültige Auflösung des Tito-Staates war damit aber noch nicht erreicht, denn noch bestand die Bundesrepublik Jugoslawien, gebildet von den ungleichen „Brüdern“ Serbien und Montenegro; ungeklärt war auch der Status des Kosovos, der nach dem NATO-Krieg des Jahres 1999 unter UNO-Verwaltung stand.
Doch die Beseitigung „Rest-Jugoslawiens“ erwies sie als zähe Angelegenheit, obwohl an den Tito-Staat in Belgrad nur mehr Straßennamen erinnerten und erinnern (Sarajevo Straße, Zagreber Straße). Die EU war mehrheitlich gegen die Auflösung des „Rests“, Serbien leistete hinhaltenden Widerstand, und Montenegro war in der Frage der Unabhängigkeit tief gespalten. Zunächst verschwand daher der Staatsname und zwar im Februar 2003 mit der Bildung des Staatenbundes Serbien und Montenegro. Dieser „Untote“ vegetierte drei Jahre dahin, ehe er mit dem Unabhängigkeitsreferendum in Montenegro im Mai 2006 zur Fußnote der Geschichte wurde. Doch weder die Loslösung Montenegros noch die Unabhängigkeitserklärung des Kosovos im Februar 2008 musste Milošević erleben, denn er starb im März 2006 in seiner Zelle in Den Haag.
Der Tod ihres Vorsitzenden bedeutete vor allem für die SPS eine wichtige Zäsur. Denn nach Miloševićs Sturz stürzten auch seine Sozialisten in eine tiefe Krise, und bei den folgenden Parlamentswahlen in Serbien konnte die Fünf-Prozent-Hürde immer nur knapp gemeistert werden. Milošević hatte den Begriff „sozialistisch“ zutiefst diskreditiert, und seine Frau Mira Marković hatte mit ihrer Phantompartei der „Jugoslawischen Linken“ (JUL) ebenfalls ihr Scherflein dazu beigetragen. Die JUL gebärdete sich als kommunistische Bewegung, doch vor der Parteizentrale parkten die deutschen Luxusautos ihrer Spitzenfunktionäre, weil die Partei vorwiegend aus Personen bestand, die im Milošević-System zu Macht und Reichtum gekommen waren, während die Serben zunehmend verarmten. Serbien fehlte in den Jahren der beginnenden Transition eine starke sozialdemokratische/ sozialistische Partei, die für die Armen, Arbeitslosen und für die Opfer der Reformen eintrat. Dieses Vakuum füllte in immer stärkerem Ausmaß die ultranationalistische Radikale Partei (SRS) aus, die Miloševićs Koalitionspartner gewesen war.
Miloševićs eigene Partei wurde dagegen zunächst immer mehr zu einer Randerscheinung. Ihre Wählerschaft ist ziemlich alt und lebt in der Provinz und zwar in kleinen Städten. Diese Wähler sind keine Nationalisten, sondern „Milošević-Nostalgiker“, wobei Milošević zu Beginn seines Aufstiegs von nicht wenigen für einen neuen Tito gehalten wurde. Zu den Wählern der SPS zählen daher viele alte Kommunisten und pensionierte Offiziere niedriger Dienstgrade. Die Existenz der Sozialisten war damit eindeutig bedroht, daher gab es bereits zu Lebzeiten von Milošević zaghafte Ansätze für einen Transformationsversuch; als solcher ist die Unterstützung der Minderheitsregierung des nationalkonservativen Ministerpräsidenten Vojislav Koštunica zu werten (Kabinett Koštunica I, Februar 2004 bis Mai 2007). Letzterer kann wohl als politischer Träger der Enttitoisierung in Serbien bezeichnet werden, die mit nationalistischen, großserbischen Vorzeichen unter Slobodan Milošević begann. Diese Neuinterpretation der Geschichte, die Serbien praktisch nur als Opfer Titos sah, führte auch zu einer völligen Abkehr von der antifaschistischen Traditionslinie, die das alte Jugoslawien in die Reihe der Siegermächte des Zweiten Weltkriegs gestellt hatte. Diese geistige Abkehr zeigte sich auch in der Tagespolitik; daher fehlten unter Koštunica mehrmals Vertreter Serbiens bei Feiern anlässlich des Sieges über Deutschland oder aus Anlass der Befreiung eines Konzentrationslagers. Folgerichtig fällt in die Zeit des Kabinetts Koštunica I auch