Im Kreuzfeuer. Christian Wehrschütz

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Im Kreuzfeuer - Christian Wehrschütz

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der drei Volksgruppen, die im Grund genommen nur miteinander leben, weil es die USA und die europäischen Mittelmächte am Ende des Bosnien-Krieges 1995 so wollten. Wie mühsam dieses Zusammenwachsen auch noch mehr als zehn Jahre nach Kriegsende ist, zeigt der Schulunterricht. Zwar gehen Bosniaken, Kroaten und Serben in gemischten Gebieten nun wieder in dieselbe Schule, doch das Gemeinsame beschränkt sich oft auf das Gebäude und die Pausen. Denn gelehrt werden natürlich die drei Sprachen, und auch die Lehrpläne sind in politisch besonders sensiblen Fächern ebenso getrennt wie die Schulbücher. Was die Sprachen betrifft, wäre das etwa so, als würde für deutsche Schüler, die in Österreich in die Schule gehen, und für Österreicher, die Schulen in Deutschland besuchen, ein eigener Sprachunterricht bestehen. In Bosnien trägt somit das Bildungswesen zur fortgesetzten Trennung der Volksgruppen bei, anstelle verbindend und integrierend zu wirken. Viele „Internationale“ in Bosnien sind sich dieses äußerst fragwürdigen Zustands natürlich bewusst; daher kursierte unter ihnen auch folgender Witz: „Was ist eine Sprache? Ein Dialekt, der eine Armee hinter sich hat.“

      Wie zutreffend dieser Witz ist, zeigt das Beispiel Montenegro, obwohl dort die Streitkräfte erst aufgebaut werden. Neben Serbien war Montenegro der einzige Staat, der vor dem Zerfall des alten Jugoslawien bereits auf dessen Territorium bestanden hatte. Sein bedeutendster Politiker und geistlicher Führer war Petar II., Petrović Njegoš, der von 1830 bis 1851 Montenegro als „Fürstbischof“ regierte. Sein Werk Der Bergkranz, dessen Erstausgabe 1847 in Wien gedruckt wurde, zählt zu den bedeutendsten Werken der serbischen Literatur.

      Obwohl im Ersten Weltkrieg auf der Seite der Westmächte, wurde Montenegro nach 1918 an Serbien angeschlossen und verschwand von der Landkarte. Nach 1945 wurde Montenegro eine Teilrepublik des kommunistischen Jugoslawien. Die Bindungen zwischen Montenegro und Serbien waren so stark, dass Montenegro als einzige Teilrepublik auch nach dem blutigen Zerfall des alten Jugoslawien bei Serbien verblieb. Je mehr der Stern von Slobodan Milošević verblasste, desto stärker wurde auch der Widerstand in Montenegro, und 1998 kam es zum Bruch. Milo Đukanović, seit 1991 Ministerpräsident, setzte sich im innerparteilichen Machtkampf gegen die Milošević-Anhänger durch und siegte auch mit hauchdünner Mehrheit bei der Präsidentenwahl 1998. Damit begann die schrittweise politische Abspaltung, von der Einführung der Deutschen Mark als eigener Währung, die später durch den Euro ersetzt wurde, bis zur Übernahme der Kontrolle an den Grenzen; auch die staatlich betriebene Rückbesinnung auf die eigene Geschichte setzte ein. Dazu zählte die Herausgabe eigener Schulbücher, die bis dahin aus Serbien gekommen waren. An den Grenzen kam es zur Aufstellung von Schildern mit der Aufschrift Republik Montenegro, obwohl die Republik als Staat international noch gar nicht anerkannt war.

      Trotz all dieser Maßnahmen zur Nationsbildung war Montenegro in der Frage der Loslösung von Serbien tief gespalten, weil sich etwa 30 Prozent der Bevölkerung als Teil der serbischen Nation begreifen. Daher kam es nach dem Ende der Ära Milošević in Serbien zunächst zur Bildung des Staatenbundes Serbien und Montenegro, einer Fehlgeburt, die drei Jahre dahinvegetierte und 2006 aufgelöst wurde. Denn acht Jahre nach dem Bruch zwischen Milošević und Đukanović Ende Mai 2006 stimmten schließlich beim Unabhängigkeitsreferendum 55,5 Prozent der Bevölkerung für die Selbständigkeit. Die 55-Prozent-Hürde, die die Europäische Union für die Anerkennung der Unabhängigkeit vorgegebenen hatte, wurde damit knapp übersprungen. 88 Jahre nach dem Anschluss erstand Montenegro wieder als selbständiger Staat. Dieser brauchte auch eine neue Verfassung, die schließlich im Oktober 2007 vom Parlament in Podgorica verabschiedet wurde. Zu den umstrittensten Artikeln zählt die Festlegung der Staatssprache, die bis zu diesem Zeitpunkt die serbische Sprache war. Schließlich fanden die Unabhängigkeitsbefürworter mit Vertretern der gemäßigten proserbischen Opposition einen Kompromiss, und Artikel 13 (Sprache und Schrift) der Verfassung lautet nun wie folgt:

      „Die Amtssprache in Montenegro ist die montenegrinische Sprache. Das kyrillische und lateinische Alphabet sind gleichberechtigt. In amtlichem Gebrauch sind auch die serbische, bosnische, die albanische und die kroatische Sprache.“

      Montenegro setzte damit einen weiteren Schritt zur Nationsbildung; je erfolgreicher dieser Staat auf dem Weg Richtung EU und NATO vor allem im Verhältnis zu Serbien sein wird, desto rascher wird das Bekenntnis zur montenegrinischen Nation wachsen. Dabei definiert sich Montenegro nicht als ethnisches Gemeinwesen, sondern als „Staat seiner Bürger“ (Artikel 1 der Verfassung), nicht zuletzt auch deshalb, um das ethnische Gleichgewicht zwischen den Volksgruppen nicht zu gefährden. Denn etwa fünf Prozent der Bevölkerung sind Albaner und sieben Prozent sind Bosniaken.

      Doch es geht in diesem Kapitel nicht um eine vergleichende Studie der Nationsbildung zwischen Österreich und Montenegro. Vielmehr soll der Blick dafür geschärft werden, dass Sprachenfragen und Sprachenpolitik zutiefst mit den Fragen der nationalen Identität (točno – tačno) verbunden sind. Der Kampf um die nationale Identität manifestiert sich daher insbesondere an den Schulen, weil Nationalitätenkonflikte eben auch Sprachenkonflikte sind. Je näher die Sprachen beieinander liegen, und je ungefestigter diese Nationen sind, desto erbitterter werden die Konflikte offenbar ausgetragen. Das gilt natürlich auch für das ehemalige Jugoslawien, dessen meiste Nachfolgestaaten – allen politischen Mythenbildungen zum Trotz – eben sehr junge eigenständige Nationen sind. Im Fall Bosnien und Herzegowina kann noch nicht einmal von einem gemeinsamen Staatsbewusstsein gesprochen werden, weil Serben, Kroaten und Bosniaken im Grund genommen auch mehr als zehn Jahre nach dem Krieg nicht freiwillig in einem Staat zusammenleben. Daher wird es noch einige Zeit brauchen, bis jener Witz umfassende Realität wird, der im Hotel Holiday Inn in Sarajevo spielt:

      Unmittelbar nach dem Krieg kommt ein Gast in das Restaurant des Hotels und will beim Kellner eine Tasse Kaffee bestellen: „Hoću Kafu“ (Ich will Kaffee), sagt der Gast zunächst auf Serbisch. Der Kellner antwortet: „Ne može“ (Geht nicht). Denkt sich der Gast, der Kellner ist vielleicht gegen die Serben, daher wiederholt er die Frage auf Kroatisch: „Hoću Kavu“. Wiederum verneint der Kellner. Schließlich versucht es der Gast noch auf Bosnisch: „Hoću Kahvu“. Darauf reißt dem Kellner die Geduld, und er sagt: „Mein Herr! Mir ist es gleichgültig, ob sie Kafa, Kava, oder Kahva sagen. Wir haben kein Wasser!“

       Anmerkungen

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