Unterirdisches Österreich. Johannes Sachslehner

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Unterirdisches Österreich - Johannes Sachslehner

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werden. Vor allem benötigt man rasch verlässliche Unterlagen über den Verlauf der Stollenröhren – keine einfache Aufgabe, denn alle vier Eingänge zu den Hauptstollen sind verbrochen; die gesamte Stollenanlage mit einer Gesamterstreckung von etwa 500 Metern befindet sich unterhalb von dicht besiedeltem städtischem Wohngebiet und öffentlichen bzw. privaten Verkehrsflächen. Die Nachforschungen im Villacher Stadtarchiv fördern zwar eine alte Planskizze aus dem Jahre 1944 zutage, doch diese auf einen Maßstab verzichtende Zeichnung deckt sich, wie erste Erkundungsbohrungen zeigen, nur im Wesentlichen mit der Realität; immer neue unbekannte „Stollenäste“ werden entdeckt.

      Dass tatsächlich höchste Eile nottut, beweist ein weiteres „Pingenereignis“: Am 15. Juli 2002, inzwischen laufen schon die Verfüllarbeiten, bildet sich auch auf dem Grundstück der Familie A. eine Bodensenkung; Probebohrungen mit tragbarem Bohrgerät in der Nähe des Wohnhauses lassen auf bisher unbekannte Stollenabschnitte schließen; das Schadensbild lässt einen Stollenverbruch vermuten. Unbekannte Hohlräume zeigen auch die Bohrungen auf dem Grundstück der Familie Bachitsch; die verbrochenen Eingänge zum Stollensystem werden mit Schrägbohrungen erkundet, Bohrlochkameras liefern wichtige Informationen über den Zustand des Stollens und die Art des Ausbaus. Für den Bereich unter einem der Grundstücke kann so ein noch intakter Stollen mit Gasschleuse in einer Gesamtlänge von über 100 Metern in Richtung St.-Martiner-Straße nachgewiesen werden.

      Unverzüglich werden umfassende Sicherungsmaßnahmen geplant, die Durchführung der Arbeiten erfolgt durch die STRABAG. Der Aufwand ist beträchtlich: Wie der Schlussbericht der ILF Beratende Ingenieure ausweist, werden insgesamt rund 3.000 lfm Verfüll- und Erkundungsbohrungen sowie 100 lfm Kernbohrungen und etwa 700 lfm Verpressbohrungen durchgeführt; über „verlorene Verfüllschläuche“ bringt man ca. 3.200 m3 Verfüllmaterial – den Baustoff „Dämmer Ro V 5016“ der Firma Rohrdorfer Baustoffe – in die gefährdeten Stollenabschnitte ein. Dazu sind begleitende Kontrollen notwendig: Die Grundwasserverträglichkeit des Verfüllmaterials muss ebenso überprüft werden wie seine Druckfestigkeitsentwicklung.

      In der Nähe von Wohngebäuden und Verkehrsflächen beschränkt man sich auf Verpressbohrungen – das gilt auch für die „Pinge Fritz“, die so wie die Pinge der Familie A. mit Schotter verfüllt wird, ehe man am 6. Juni 2002 mit Erkundungsbohrungen beginnt; auch hier arbeitet man mit tragbarem Bohrgerät. Verpressbohrungen setzt man nun am Rand des Pools, wo Messungen noch immer geringfügige Setzungen des Bodens – indiziert werden sechs Millimeter – anzeigen; durch eine verstärkte Nachverdichtung sollen mögliche Gefährdungen endgültig ausgeschaltet werden.

      Die Verpressung der festgestellten „Auflockerungszonen“ erfolgt mit einem „Blitzdämmer“ – insgesamt 64 Tonnen werden von diesem Gemisch aus Zement, Bentonit und Steinmehl, hergestellt von W & P Wietersdorfer, injiziert; auch bei diesen Verpressarbeiten gilt es, genau auf die Entwicklung der Druckwerte zu achten. Damit das Verfüllmaterial nicht in Kanäle oder Kabelschächte gelangen kann, zieht man unter Tag Verschlüsse aus Mauern oder Betonwänden ein, gleichzeitig wird damit auch ein „sauberer Übergang“ zwischen standsicheren ausgebauten und sanierten Stollenabschnitten geschaffen. Elf Jahre danach zeigt sich Eigentümer Hans Fritz noch immer von der Intensität dieser Sicherungsarbeiten beeindruckt: Ein Jahr lang hätten die Mannen da gewerkt, „zehn Kräne standen da in unserem Garten“, erzählt er und spricht von „Riesentankwägen“, von denen aus die gefährdeten Bereiche verfüllt worden seien, bis hinab in „25 – 30 Meter Tiefe“ – aufwändige Maßnahmen, die sich jedoch ausgezahlt hätten: Ihren Garten kann die Familie Fritz seitdem wieder in Ruhe genießen …

      Auch wenn die aufregende, von Entdeckungen und Überraschungen geprägte „Pionierzeit“ für das BIG-Underground-Team nun vorbei – Karl Lehner wechselt 201 in die wohlverdiente Pension – und man in eine ruhigere Phase eingetreten ist, so gilt es doch auch weiterhin, ein wachsames Auge auf die unterirdischen Anlagen zu haben. „Stollen“, so erklärt uns Leopold Weber im Gespräch, „sind etwas Dynamisches.“ Die ungesicherten, nicht ausgebauten Abschnitte mancher Stollen verfallen weiter, es kann zu Nachbrüchen kommen und zur Bildung neuer Hohlräume. Regelmäßige Sicherheitsbefahrungen und Inspektionen sind daher unumgänglich, eine Aufgabe, der sich Martin Scheiber, allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger für Tunnel/​Stollenbau, als Partner der BIG mit großem Engagement widmet. Von einem „reinen Verwalten“, wie wir Laien vermuten, könne daher, so schärft uns Martin Scheiber ein, beileibe keine Rede sein, da jede Stollenanlage ihre Besonderheiten habe und individuell zu betreuen sei. Aufmerksame Kontrolle sei daher das oberste Gebot, um eventuelle Schäden durch rasche Reaktion hintanzuhalten. Daneben bestehe sein Alltag aus einer Fülle von anderen Tätigkeiten, wie z. B. Fragen zur Nachnutzung von Stollenanlagen zu klären oder Anfragen von Grundstückseigentümern betreffend Änderungen der Überbauung zu prüfen – damit verbunden sei wiederum eine „gebirgsmechanische“ Beurteilung der Stollenanlage. Vor allem seine Rolle im Zusammenspiel von Grundeigentümer und Eigentümer des Superädifikats sei nicht immer frei von Spannungen.

      Ein wachsames Auge ist notwendig: Sicherheitsbefahrung in St. Georgen an der Gusen.

      Für den Besucher nicht zugänglicher Gangabschnitt in St. Georgen an der Gusen.

      Heimatforscher Rudolf Haunschmied bei einer Führung durch „Bergkristall“.

      Das ist die technische Seite der NS-Stollenwelt heute – eine vielfältige Herausforderung. Ihr gegenüber steht ein mächtiges „Narrativ“: Mythen und Erzählungen, Geschichten, Gerüchte und Spekulationen, die sich um die Erbauung und Zweckbestimmung dieser Bauwerke, um das Schicksal der hier arbeitenden Menschen ranken. Erinnerungen und Zeitzeugenberichte, engagierte Forschungsarbeiten und Dokumentationen haben in jüngster Zeit einige Stollen in helles Licht getaucht; so manche Frage ist jedoch noch unbeantwortet, so manches Rätsel bleibt noch zu lösen …

      Amerikanischer B-17-Bomber „Flying Fortress“ im Einsatz über dem „Reich“.

      II . Kapitel:

       Die große Flucht vor den Bombern

      „Die Stollen“, so schreibt der tschechische KZ-Häftling Drahomír Bárta, der im KZ Ebensee als Lagerschreiber überlebt, „wurden für die Häftlinge zu einem verfluchten Ort, vor dem jeder Angst hatte.“ Das Wort „Stollen“, so Barta, habe bei ihnen ein „größeres Unbehagen“ ausgelöst als das Wort „Steinbruch“; die SS habe um diese Angst gewusst und Häftlinge gezielt terrorisiert. Und diese gefürchteten Stollen, so hat man das Gefühl, sind spätestens ab dem Winter 1943/​44 überall – in der ganzen „Ostmark“ beginnt in fieberhafter, ja verzweifelter Eile und unter Einsatz aller Kräfte, vor allem mit KZ-Häftlingen, die Arbeit an unterirdischen Anlagen: in Klagenfurt und Villach, in einem Kalksteinbruch bei Aflenz und in Peggau ebenso wie in Kapfenberg und in Ternitz, in Krems und Steyr, in Hallein und Innsbruck und auch in Bregenz. Wo nur irgendwie möglich, werden Berge und Hügel durchlöchert, Höhlen ausgebaut, Bunker betoniert, man sucht Schutz, will sich verkriechen vor den Bomben, nur unter Tage fühlt man sich noch sicher. Der Tod vieler Menschen wird dafür kaltblütig in Kauf genommen.

      Wie kam es dazu? Schon 1943 ist die deutsche Luftwaffe nicht mehr in der Lage, die Angriffe

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