Unterirdisches Österreich. Johannes Sachslehner
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Die Arbeit beginnt also an allen Ecken und Enden. Zu bestimmten Objekte versuchen Karl Lehner und seine Gutachter, von Gemeinden und Bezirkshauptmannschaften „Bestandsunterlagen“ wie alte Baupläne und Akten zu bekommen, und lernen daraus vor allem eines: Gemeindeämter sind keine Archive. Ratloses Achselzucken ist eine häufige Antwort; Originalunterlagen aus den letzten Kriegsjahren fehlen in vielen Fällen überhaupt; findet man tatsächlich noch einen Plan, so handelt es sich meist um einen Projektierungsplan, der mit dem tatsächlichen Stand der Ausführung eines Stollens nur mehr wenig gemeinsam hat. Bleibt noch die Hoffnung, von noch lebenden „Zeitzeugen“ handfeste Informationen und Hinweise oder auch nur Anhaltspunkte zu erhalten – das ist manchmal tatsächlich der Fall, manchmal lässt die Präzision der Erinnerung zu wünschen übrig: Erinnertes und Realität vor Ort passen nach knapp sechs Jahrzehnten nicht mehr exakt zusammen.
Unterstützung kommt von Martin Hübner. „Wir gewannen sehr bald den Eindruck“, so erzählt er heute, „dass es in den Ministerien teilweise zu einer Art Überreaktion gekommen war, was sich darin manifestierte, dass so gut wie jedes unterirdische Gebilde, von dem man wusste – oder vielleicht nur annahm –, dass Menschen während des Zweiten Weltkriegs darin Zuflucht gesucht haben, in die Liste aufgenommen wurde. So gelangte einerseits auch eine Vielzahl von Stollen oder stollenähnlichen Gebilden in das Gesetz, die schon lange Zeit vor Beginn des Zweiten Weltkriegs, ja selbst vor dem, Anschluss‘, existierten. Das betraf z. B. vier ehemalige Bergwerksstollen im Großraum Waidhofen an der Ybbs, einen weiteren in Hallein. Andererseits wurden auch ehemalige Stollen einer Rüstungsproduktion, die auf dem Areal eines dem damaligem Eigentümer im Jahr 1943 entzogenen Zementwerkes in Ebensee gegraben worden waren, mit in das Gesetz aufgenommen, obwohl der entsprechende Betrieb schon im Jahr 1951 im Rahmen eines Rückstellungsvergleiches samt den errichteten Stollen an den früheren Eigentümer zurückgegeben wurde und dieses Zementwerk auch heute noch betrieben wird und im Eigentum derselben Unternehmerfamilie steht.“ Nach ebenso mühsamen wie umfangreichen Recherchen gelingt es der BIG tatsächlich zu beweisen, dass manche Stollen lange vor der Zeit des Dritten Reiches errichtet worden sind und deshalb keinesfalls „Deutsches Eigentum“ darstellen können. Das OGH-Urteil von 1997 könne daher eindeutig nicht darauf angewendet werden.
Besonders bemerkenswerte Fälle dieser Art sind etwa acht im Stadtgebiet von Linz gelegene Keller, deren Anlegung zumeist auf das späte 19. Jahrhundert zurückgeht und in den sogenannten „Linzer Sanden“ besonders einfach war. Diese Keller westlich der Linzer Altstadt, die sich kilometerlang im Untergrund erstrecken, stehen auch heute oftmals noch im Eigentum von Nachfahren der seinerzeitigen Errichter, wie etwa der traditionsreiche Cembrankeller in der Kellergasse im Eigentum der Weinhändlerfamilie Cembran – es gelingt sogar, ein Foto von der Eröffnung des Kellers im Jahre 191 aufzutreiben. Weiters kann die BIG zeigen, dass der Kapuzinerkeller im Eigentum des Kapuzinerstiftes steht und der Aktienkeller im Eigentum der Brau AG. Auch der „Lieblingsbunker“ der Linzer im Zweiten Weltkrieg, der Limonikeller, in dem an die 10.000 Menschen Platz finden konnten, ist älteren Ursprungs.
Luftschutzstollen in Linz: Diverse Funde vermitteln einen authentischen Eindruck von der Realität des Krieges.
Mit der ersten Novelle zum Bundesimmobiliengesetz 2003 werden daher 34 der ursprünglich übertragenen Stollen wieder aus dem Gesetz und damit aus dem Verantwortungsbereich der BIG herausgenommen, darunter auch solche Kaliber wie der Rosenmayrstollen in Hallein. Neben den Stollen, die schon von der Errichtungszeit her nichts mit dem Dritten Reich zu tun haben können, werden auch nachweislich „ersessene“ Stollen aus dem Gesetz entfernt, weiters auch Stollenanlagen, die während des Zweiten Weltkriegs „eigenverantwortlich“ durch Städte und Gemeinden angelegt worden sind und in deren Eigentum stehen.
Auch die erwähnte riesige Stollenanlage A in Ebensee (siehe dazu das Kapitel „Das unterirdische Amphitheater“) wird nach mehrmonatiger Korrespondenz mit dem Firmenanwalt des Zementwerkes, der der BIG historische Unterlagen zum Rückstellungsvergleich sendet und so nachweist, dass die Stollen dem Zementwerk gehören, aus dem Gesetz gestrichen.
Eliminiert werden nicht zuletzt ehemalige Bergwerksstollen und – als Kuriosum – auch einige Stollen, die von Kraftwerksbetreibern errichtet worden sind.
Das Millionengrab
Gleichzeitig geht es bei anderen Stollenanlagen bereits mit den Befundungen los und prompt zeichnen sich erste Schwierigkeiten ab. So auch beim Objekt OÖ 020, dem gewaltigen unterirdischen Labyrinth in St. Georgen an der Gusen, von dem man weiß, dass hier dringend Handlungsbedarf besteht – noch ahnt niemand, dass es zum größten und schwierigsten Fall des BIG-Underground-Teams werden wird.
Der einzige Zugang zum Stollensystem befindet sich auf der Liegenschaft des St. Georgener Hausbesitzers und „Ortskaisers“ Rudolf P. im südwestlichen Teil des Ortes, etwa 150 Meter vom Anwesen des Herrn P. entfernt, der über die neugierigen Besucher, die da plötzlich vor seiner Tür stehen, wenig erfreut ist: Er verweigert Projektleiter Karl Lehner und seinen Begleitern den Zutritt, sein Argument: Der Stollen liege unter seinem Grund und sei daher „bis zum Erdmittelpunkt“ auch sein Eigentum – ein Irrtum, den der streitbare Mann mit anderen Grundstückseigentümern teilt. Für den gefinkelten Begriff „Superädifikat“ und die damit verbundene Rechtslage hat Herr P. wenig Verständnis. Mit dem Hinweis auf die Eigentümerhaftung der BIG gelingt es schließlich im September 2001, ihm die Zustimmung zu ersten Erkundungen des Stollensystems abzuringen; am 8. November 2001 ist es so weit: Es erfolgt die erstmalige Befahrung des Bauwerks, das von seinen Dimensionen her alle anderen Anlagen in den Schatten stellt.
Rudolf P., der von der „Nachnutzung“ des Nazi-Bauwerks – durch den Abbau von Quarzsand 1947 bis 1985 sowie durch Verpachtung dieser Quarzsandgewinnung bis 1997 an eine St. Georgener Firma – nicht wenig profitiert hat, will indes doch nicht so schnell klein beigeben: Über seinen Linzer Anwalt erhebt er Anspruch auf das „uneingeschränkte Eigentum“ an den Stollen, dieser Rechtstitel sei durch „Ersitzung“ gegeben. Die Argumentationslinie des Anwalts: „Dass die Republik Österreich das gegenständliche Stollensystem ab dem Jahre 1945 in keinster Weise genutzt oder gar nur in Anspruch genommen hätte, dass die Republik Österreich als Gewerbebehörde meinem Mandanten mehrfach gewerberechtliche Bewilligungen in Bezug auf die Nutzung des Stollensystems einräumte, lässt wohl unzweifelhaft darauf schließen, dass die Republik Österreich ihre (wie auch immer gearteten) Rechte an diesem Stollensystem nie in Anspruch genommen, sondern erkennbar aufgegeben und damit derelinquiert (sic!) hat.“ Für eine entsprechende rechtsverbindliche Erklärung, die „einzig sinnvolle Lösung des Problems“, räumt er der BIG eine Frist von einem Monat ein, anderenfalls sei er bereit, seinen Anspruch auch gerichtlich zu verfolgen; eventuell würde er sogar Anspruch auf die „gänzliche Entfernung“ des Superädifikates erheben.
Die BIG – inzwischen hat Karl Lehner in Begleitung von Konsulenten am 8. November 2001 das ca. 7,3 km lange System erstmals befahren – stimmt dieser Rückführung prompt zu und stellt die Erkundungsarbeiten ein. Jetzt wird Rudolf P. jedoch klar, was es hieße, Eigentümer des gesamten Stollensystems zu sein und dafür zu haften – er schränkt seine Eigentumsansprüche auf jene unter seiner Liegenschaft gelegenen Stollenabschnitte ein, also einen Bereich von etwa 250 Metern Länge. Da eine „Teilersitzung“ und damit geteiltes