Unterirdisches Österreich. Johannes Sachslehner

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Unterirdisches Österreich - Johannes Sachslehner

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Insgesamt sieben Bomben werden von den Experten behutsam freigepinselt und aus den Stollen gezogen, alles läuft ohne Zwischenfall ab.

      Leopold Weber kommt in seinem Gutachten zu einer Einstufung in „Priorität 2“ und empfiehlt als „Sofortmaßnahme“, die „befahrbaren Bereiche auf Explosiva zu sondieren“; nach der Entfernung der Bomben seien die ersten ca. 5 m der Tagzugänge mit einer Betonplombe, die „in das anstehende Konglomerat kraftschlüssig einzubauen ist“, zu verschließen; der Zutritt müsse für „Unbefugte und Abenteurer dauerhaft wirksam“ unterbunden werden. „Knapp bergseits der Streckenkreuze A1, B1 und C1“ seien „statisch bemessene (Kies-)dämme zu errichten und der tagnahe Bereich der Hohlräume von obertage aus über Bohrungen zu verfüllen“. Erst nach Durchführung aller Sicherungsmaßnahmen könne eine „Rückreihung auf Priorität 4“ erfolgen. Inzwischen ist auch die lokale Presse auf die Tätigkeit der BIG am Petersberg aufmerksam geworden; Reporter Thomas Santrucek spricht vor Ort mit Karl Lehner; dann schockt er die Leser des Schwarzataler Bezirksboten vom 25. Juli 2002 mit der Schlagzeile: Nach Bombenalarm zittert eine Stadt! und zitiert prompt einen Zeitzeugen, der zu berichten weiß, dass zwei Bomben von den Russen in den „Bunker“ gebracht worden seien, er habe dies selbst beobachtet; Mitte der 1950er-Jahre habe er Baumaterial aus der Stollenanlage geschafft und sei dabei wiederum auf die Bomben gestoßen. Inzwischen ist auch ein Plan des Systems aus dem Jahre 1947 im Maßstab 1 : 200 bzw. 1 : 500 aufgetaucht und man weiß nun endlich, was es mit ihm tatsächlich auf sich hatte: „Allg. Teilebau f. Vormontage“ liest man in einer streng geheimen Aufstellung zur Untertage-Verlagerung der Wiener Neustädter Flugzeugwerke vom 15. November 1944; der Tarnname des Projekts im „Rohrbach Stollen“ sei „Cyanid“, der Deckname selbst lautet „Hans Bauer & Karl Schranz Schrauben & Nietenfabrik“, Betriebsführer – zumindest auf dem Papier – ein Ing. Bauer. Die Produktionsfläche im Stollen wird mit 3.100 m2 vermerkt, die Zahl der Belegschaft mit 1.653 angegeben, der Sollstand mit 1.400 Arbeitern. Davon arbeiten allerdings nur 53 direkt im Stollen; eingesetzt werden auch Zwangsarbeiterinnen, vor allem Russinnen, aus dem Frauenlager in Rohrbach, das sich in der Nähe des Rohrbacher Steinbruchs befindet und in seinen Anfängen bis auf den Sommer 1941 zurückgeht.

      Fliegerbomben warten beim Entminungsdienst auf ihre Entsorgung.

      Der „Schwarzataler Bezirksbote“ schockt seine Leser mit einer Aufsehen erregenden Schlagzeile.

      Der Standort, zu dem auch die Gebäude der Rohrbacher Spinnerei mit einer mechanischen Werkstätte für die Rumpfvormontage zählen, ist neben Betrieben in Waldegg, Launsdorf, Breitenau, Kottingbrunn, Obergrafendorf, Rabenstein, Zwölfaxing und Wien Teil des „Fertigungsringes Nieder-Donau“; die „Teile“, die hier gefertigt werden, gehören zur Messerschmitt Bf 109, dem meistgebauten Jagdflugzeug der Geschichte, mit dem während des Zweiten Weltkrieges auch die meisten „Luftsiege“ errungen werden. Pro Monat, so der Plan, sollen 500 Rümpfe produziert werden. Die Entscheidung für eine Untertag-Fertigung im „Rohrbach Stollen“ fällt vermutlich irgendwann im Herbst 1943 – wann genau mit den Bauarbeiten am System begonnen worden ist, bleibt noch zu erforschen.

      Am Ostersonntag 1945, man schreibt den 1. April, besetzen Soldaten der Roten Armee das Werksgelände der Rohrbacher Spinnerei und damit ist wohl auch die Arbeit im Stollen zu Ende; alle noch vorhandenen Flugzeugteile und Maschinen werden von den Russen beschlagnahmt. Die Demontage und die Räumung dauern bis zum April 1947, dann soll das Stollensystem mit Hilfe von Fliegerbomben gesprengt werden – ein Vorhaben, das wie oben geschildert nur zum Teil gelingt: Die drei Eingangsbereiche zu den Stollen werden zwar vollkommen zerstört, die tiefer liegenden Stollenabschnitte bleiben jedoch intakt.

      Die endgültige Entscheidung über die Stollen am Petersberg fällt schließlich am 26. Februar 2003. Bei einem „Gipfel“ mit dem Neunkirchner Bürgermeister Herbert Kauz und Leopold Lindebner von der Bundesforstinspektion Neunkirchen erklärt Karl Lehner, dass eine Nachnutzung der Stollenanlage auf Grund der Versprengungen ausgeschlossen sei, sein Vorschlag daher: Wie von Leopold Weber empfohlen, sollen die drei ehemaligen Haupteingänge nach Bergung aller Explosiva mit 5 Meter starken „Betonpfropfen“ für immer versiegelt und verbrochene Stollenbereiche verfüllt werden, zuvor würde man die Anlage noch genau vermessen und die Daten bei der BIG hinterlegen. Abschließend werde man das in Anspruch genommene Gelände rekultivieren. Das Sicherungskonzept wird angenommen und umgesetzt.

      Künstlich geschaffener Zugang für die Sicherungsmaßnahmen am Petersberg.

      Der Tiroler Stollenexperte steuert die Arbeiten mit gewohnter Perfektion: Umfangreichen Erkundungsbohrungen, wobei auch Kamerabefahrungen der aufgefundenen Hohlräume vorgenommen werden, folgen ab dem 8. Juli 2003 die Verfüllarbeiten; bis zum 6. August 2003 werden ca, 2.500 m3 Dämmermaterial eingebracht. Der „Bohrraster“ der Verfüllbohrungen wird dabei so engmaschig gewählt, dass, wie Martin Scheiber in seinem Abschlussbericht feststellt, die betroffenen Stollenbereiche „dauerstandsicher“ gestellt sind. Inzwischen sind auch die Spuren der Sanierungsarbeiten am Petersberg verwischt, der Wald ist zurückgekehrt; die letzten Geheimnisse des Geheimprojekts „Cyanid“ werden hier für immer verborgen und begraben bleiben.

      Man schreibt Freitag, den 3. Mai 2002. Die Villacher Psychotherapeutin Vera Fritz genießt im Garten des Familienanwesens am Jakominirain den strahlend schönen Frühlingstag. Mit von der Partie ist ihre Rottweilerhündin Yucca, die wie immer ausgelassen über den gepflegten Rasen tollt. Doch plötzlich zeigt das Tier ein eigenartiges Verhalten: Es versucht, sein „Herrl“ von einer bestimmten Stelle im Garten, nur wenige Meter vom Swimmingpool entfernt, „wegzubellen“; Frau Fritz ist genervt und geht ins Haus; als sie Sekunden später in den Garten blickt, traut sie ihren Augen nicht: Wo sie zuvor noch mit Yucca gespielt hat, hat sich nun ein Krater im Durchmesser von drei Metern und einer Tiefe von 2,5 Metern gebildet – wäre sie im Garten geblieben, wäre sie wohl mit in das „Loch“ gerutscht. Nicht auszudenken auch, wenn sich der Krater im Bereich des Swimmingpools gebildet hätte …

      Der Schock währt nur kurz: Sie alarmiert sofort den Villacher Magistrat, der Katastrophendienst der Stadt ist wenig später zur Stelle und nimmt den Krater in Augenschein, die Diagnose: ein Fall für die BIG. Der Einbruchsbereich wird abgezäunt, am Montag, dem 6. Mai, verständigt man den Geologen Immo Cerny, der mit der Befundung der Kärntner Luftschutzstollen beauftragt ist. Einen Tag später trifft Cerny zu einem Lokalaugenschein am Jakominirain ein und erkennt sofort: Hier gilt es zu handeln. Er informiert Leopold Weber über den Vorfall, für den 10. Mai wird eine Begehung anberaumt, an der auch Gerhard Bachitsch, der Besitzer des Nachbargrundstücks, teilnimmt. Leopold Weber ist sich über die Situation rasch im Klaren und erstellt noch am selben Tag ein vorläufiges Gutachten: Die „Pinge“ – so nennt man im Fachjargon der Bergmänner den Einbruchsbereich – im Garten von Frau Fritz erkläre sich durch das darunter liegende Stollensystem „St. Martin-Am Hügel“, das auf der BIG-Liste die Nummer K113 trage. Der größte Teil dieses Stollensystems sei zwar verbrochen und nicht mehr befahrbar, offenbar gebe es aber noch „Resthohlräume“, die nun für Gefahr sorgen würden. Da sich im „möglichen Beeinträchtigungsbereich“ Wohngebäude, öffentliche Straßen und Gärten befänden, liege somit „ein subjektives und objektives Gefährdungspotential“ vor, es gelte also Priorität 2, dringender Handlungsbedarf sei gegeben.

      Der „Pingenfall“ in Villach: Schlagzeile in der „Kleinen Zeitung“.

      Leopold Weber ordnet umfangreiche Sofortmaßnahmen an: Da Nachbrüche erwartet

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