Franziskus. Esther-Marie Merz
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Franziskus setzt also gleich zu Beginn Akzente. Als die Kardinäle dem frisch gewählten Papst in der Sixtinischen Kapelle ihren Respekt erweisen, nimmt Franziskus nicht wie üblich auf dem Papstthron Platz. Er nimmt die Huldigungen stehend entgegen. „Sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen, das ist die größte Gefahr für die Kirche.“ Dieser Satz wird noch öfter von ihm zu hören sein.
Franziskus bleibt bodenständig. Legendär ist inzwischen sein Auszug aus dem Priesterwohnheim, in dem er bis zum Beginn des Konklaves in Rom gewohnt hatte. Er packt eigenhändig seine Sachen und bezahlt an der Hotelrezeption seine Rechnung. Damit wolle er ein gutes Beispiel für andere Priester und Bischöfe geben, erzählt Vatikansprecher Federico Lombardi. Ein Gast im Haus erinnert sich: „Man merkte nicht, dass er ein Kardinal war. Er fragte nie nach einem Auto, nahm immer ein öffentliches Verkehrsmittel oder ist gelaufen.“ Ein normaler Gast sei er gewesen.
So normal wie möglich will er auch hinter den Mauern des Vatikans weiterleben. Das Protokoll sieht den Einzug in das Gästehaus Domus Sanctae Marthae (auch Casa Marta genannt) vor. Die Verbleibdauer in der Suite 201 hängt von den Restaurierungsarbeiten der päpstlichen Gemächer ab. Diese sind schnell fertig, jedoch Franziskus macht keine Anstalten, Casa Marta zu verlassen. Dort ziehen nach dem Konklave die ursprünglichen Bewohner, rund fünfzig Prälaten, die dauerhaft an der Kurie arbeiten, wieder ein. „Der Papst will eine normale Weise des Zusammenlebens mit anderen ausprobieren“, heißt es offiziell Ende März im Vatikan. Anfang Juni nimmt Papst Franziskus bei einem Treffen mit 9.000 Schülerinnen und Schülern im Vatikan selbst Stellung. Auf die Frage eines Mädchens, „Warum hast Du die Reichtümer des Papstes, zum Beispiel das große Apartment, abgelehnt?“, antwortet Franziskus: „Ich glaube nicht, dass es nur um Reichtum geht. Bei mir ist das alles eine Frage der Persönlichkeit. Ich muss unter Leuten leben. Würde ich allein leben, oder sogar isoliert, würde mir das nicht gut tun. Mich hat auch ein Lehrer gefragt. Und ich habe gesagt: Herr Professor, ich mache das aus psychiatrischen Gründen. Ich kann nicht anders.“ Dann kommt Franziskus auf die Frage von Arm und Reich zurück: „Die Armut in der Welt ist ein Skandal. In einer Welt, in der es so viele Reichtümer gibt, so viele Ressourcen, um allen Essen zu geben, kann man nicht verstehen, warum so viele Kinder hungrig bleiben; dass es Kinder ohne Ausbildung gibt und so viele arme! Die Armut heute ist ein Aufschrei. Wir alle müssen darüber nachdenken, wie wir ein wenig ärmer werden können.“
Franziskus bleibt also in der Casa Marta. Er nimmt die Mahlzeiten wie alle im großen Speisesaal ein, setzt sich zu den Mitbewohnern an den Tisch, nimmt den Aufzug gemeinsam mit anderen, telefoniert wann und mit wem er will. Er gratuliert alten Bekannten zum Geburtstag, ruft seinen Zahnarzt in Buenos Aires an oder Ämter in Rom. Er entscheide selbst, wen er sehen oder sprechen muss, und nicht seine Sekretäre, vertraut er einem Freund an. Die Vorrechte der Papstsekretäre hätten die Päpste oft zu Gefangenen gemacht. Die Sicherheitsbeamten werden noch lange brauchen, um sich an diesen direkten und wenig kurialen Stil zu gewöhnen.
Franziskus sorgt von Anfang an fast stündlich für Schlagzeilen. Schon am Morgen nach der Wahl verlässt er den Vatikan und begibt sich in Richtung der Basilika Santa Maria Maggiore, der größten Marienkirche Roms. Dort betet er, der Bischof von Rom, vor der von den Römerinnen und Römern hochverehrten Marienikone Salus Populi Romani und bringt einen einfachen Blumenstrauß als Danksagung. Immer wieder kehrt er in die Basilika, die den Beinamen Maria vom Schnee trägt, zurück: Hier stimmt er sich im Vorfeld des Weltjugendtags auf seine erste Auslandsreise ein. Hierher kommt er nach seiner Rückkehr, um sich zu bedanken. Der „Papst der Armen“ ist wie Johannes Paul II. ein großer Marienverehrer, was sich auch in Brasilien besonders zeigen wird.
Franziskus’ erste Amtshandlung gilt jedoch der jüdischen Gemeinde Roms. Ihr – der ältesten Diaspora-Gemeinde der Welt – schreibt er nach seiner Wahl einen Brief. „Ich hoffe sehr, zu jenem Fortschritt beitragen zu können, den die Beziehungen zwischen Juden und Katholiken ausgehend vom Zweiten Vatikanischen Konzil erfahren haben, in einem Geist der erneuerten Zusammenarbeit und im Dienst einer Welt, die nach dem Willen des Schöpfers immer harmonischer sein kann“, heißt es in dem Schreiben an Oberrabbiner Riccardo Di Segni, das auf der Internetseite der jüdischen Gemeinde veröffentlicht wird. Darin ist auch die Einladung zur Amtseinführung enthalten. In einem Interview mit der Tageszeitung Corriere della Sera zeigt sich Di Segni optimistisch. Hoffnungsvoll und neugierig sei er. Die zu lösenden Knoten in den katholisch-jüdischen Beziehungen seien schwierig, manche vielleicht auch unlösbar, aber was zähle, sei der gute Wille des Papstes. „Es gibt alle Voraussetzungen für einen gemeinsamen Weg des Dialogs.“ Die Einladung nimmt der Oberrabbiner an, nicht ohne hinzuzufügen, dass auch Benedikt XVI. eine solche ausgesprochen habe. Damals, 2005, „war jedoch Pessach“ – eines der wichtigsten jüdischen Feste – und er konnte diese nicht annehmen. Riccardo Di Segni ist so der erste römische Oberrabbiner, der an der Amtseinführung eines römisch-katholischen Papstes teilnimmt.
Unmittelbar nach der Wahl zum Papst lädt auch der israelische Präsident Schimon Peres Franziskus ein, „das Heilige Land bei erster Gelegenheit zu besuchen“. Das Verhältnis zwischen dem Vatikan und den Juden sei „in den vergangenen 2000 Jahren“ nicht allzu gut gewesen. Er hoffe aber, dass sich die Beziehung vertiefe, schreibt Peres, der Franziskus Ende April einen vielbeachteten Besuch abstatten wird.
Keiner genießt in diesen Tagen eine derartige weltweite Aufmerksamkeit wie Franziskus. Jubelmeldungen auf allen Kanälen. Bescheiden, humorvoll, volksnah – so wird er beschrieben. Sein Stil färbt sogar auf die neue italienische Regierung ab. Die Präsidentin der Abgeordnetenkammer, die Menschenrechtlerin Laura Boldrini, verzichtet auf ein Dienstauto und geht ohne Polizeischutz zu Fuß zur Angelobung. Ihr politisches Pendant, der zum Senatspräsidenten gewählte Mafiajäger Piero Grasso, zeigt sich in Jeans und sportlichen Schuhen. Von einer neuen Schlichtheit, einem neuen „franziskanischen Stil“ in den römischen Machtzentralen spricht die römische Tageszeitung La Repubblica. Ein Stil, der vom Heiligen Stuhl in die römischen Institutionen eingedrungen sei.
Mitten in der allgemeinen Begeisterung treffen jedoch Meldungen über Jorge Mario Bergoglios Verhalten in der Zeit der argentinischen Militärdiktatur (1976 – 1983) ein. Franziskus gerät ins Kreuzfeuer der Kritik. Ihm wird vorgeworfen, in den 1970ern nicht eindeutig gegen das brutale Regime von General Jorge Rafael Videla Stellung bezogen zu haben. Unter dem Diktator, der von 1976 bis 1981 an der Macht war, sind rund 30.000 Menschen verschwunden oder ermordet worden. Bergoglio, damals argentinischer Provinzial des Jesuitenordens, soll darüber hinaus mitverantwortlich für die Verschleppung von zwei Ordensbrüdern, Franz Jalics und Orlando Yorio, gewesen sein, die in Buenos Aires in den Elendsvierteln von Bajo Flores arbeiteten. Beide wurden 1976 von den Militärs entführt und erst fünf Monate später freigelassen. Unterstützung in der Causa erhält der frisch gewählte Papst von prominentester Seite. Friedensnobelpreisträger Adolfo Pérez Esquivel, der im März nach Rom kommt, nimmt den Papst in Schutz. „Es gab Bischöfe, die Komplizen der Diktatur waren. Bergoglio war nicht darunter“, bekräftigt der Bürgerrechtler, der 1977 selbst verhaftet wurde und schwere Folterungen erleiden musste. Ähnlich äußert sich auch der brasilianische Befreiungstheologe Leonardo Boff. Er sieht keine Grundlage für eine angebliche Nähe des neuen Papstes zur früheren argentinischen Diktatur. „Im Gegenteil: Er hat viele gerettet und versteckt, die von der Militärdiktatur verfolgt wurden“, sagt Boff gegenüber der Nachrichtenagentur DPA in Rio de Janeiro.
Schützenhilfe bekommt Franziskus auch von einem früheren Gegner der Diktatur in Uruguay. Gonzalo Mosca war nach eigenen Angaben „Mitglied einer linken Gruppe“, die offen gegen die Diktatur eintrat, und schwebte in Lebensgefahr. Sein Bruder, ein Jesuit, habe sich in seiner Not an Padre Bergoglio gewandt. Der habe dem damals 28-jährigen Mosca seine Hilfe zugesagt und ihm die Flucht nach Argentinien und von dort über Brasilien nach Europa ermöglicht.
Von den beiden 1976 in Argentinien entführten Jesuitenpatres ist bei der Wahl Bergoglios zum Papst