Franziskus. Esther-Marie Merz

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Franziskus - Esther-Marie Merz

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und diskutierten die Freunde über Fußball. Es war häufig der junge Bergoglio, der die Mannschaften zusammenstellte und den strategischen Verlauf der Spiele bestimmte. Auch wenn er kein guter Fußballer war, wie sein Freund Carabajo behauptet, stach er dennoch als Teamführer hervor. Nicht selten sei in der Nachbarschaft die eine oder andere Fensterscheibe zu Bruch gegangen, gesteht Carabajo lachend und dann erklärt er: „Jorge war ein Anführer, immer bescheiden aber bestimmt, wie ihn die gesamte Welt heute erlebt.“

      Nach der Papstwahl im März 2013 scheint es in Buenos Aires kaum eine Person zu geben, die nicht eine persönliche Begebenheit mit Bergoglio zu erzählen weiß – so auch Amalia. Vor Journalisten, die äußerst bemüht sind, auch noch das letzte Geheimnis aus dem Leben von Jorge Mario Bergoglio aufzudecken, und vor zahlreichen laufenden Kameras erklärt die 76-jährige Amalia vor ihrer Haustür, Papst Franziskus sei ihre erste Jugendliebe gewesen. Sie stammten aus derselben Nachbarschaft und waren beide zwölf Jahre alt. Der junge Jorge Mario Bergoglio habe ihr in einem Brief geschrieben: „Wenn ich Dich nicht heiraten kann, werde ich Priester.“ Angeblich hatte er neben der Zeichnung eines Hauses mit einem roten Dach die Worte geschrieben: „Dieses Haus werde ich Dir kaufen, wenn wir heiraten werden.“ Besagten Brief konnten die Übereifrigen der journalistischen Branche aber nie in Augenschein nehmen. Die Jugendliebe, erklärt Amalia, wurde damals von ihrem Vater untersagt.

      In einem Gespräch mit Abraham Skorka, das in dem Buch Sobre el cielo y la tierra (Über Himmel und Erde) nachzulesen ist, schildert Jorge Mario Bergoglio, dass er nie in seinem Leben an Heirat gedacht habe. Es soll jedoch eine junge Dame gegeben haben, die er als Novize bei der Hochzeit eines Onkels kennengelernt habe, die ihm nicht mehr aus dem Kopf gehen wollte. Und so offenbart Bergoglio seinem Freund: „Ihre Schönheit und ihr intellektuelles Licht haben mich überrascht, und sie ging mir eine ganze Weile nicht mehr aus dem Kopf. Wenn ich beten wollte, sah ich immer wieder ihr Antlitz. Ich musste meine Entscheidung, Priester zu werden, noch einmal überdenken. Und ein weiteres Mal entschied ich mich, dem religiösen Weg zu folgen. Es wäre nicht normal gewesen, wäre meine Entscheidung damals nicht auf diese Weise auf die Probe gestellt worden.“

      Es war am 21. September 1954, Frühling in Buenos Aires, ein Datum, das der Papst bis heute nicht vergessen hat. Er war Schüler auf der Industrie-Schule, auf der er später sein Fachabitur zum Chemietechniker absolvierte. An diesem Tag wollte er mit seinen Freunden zu einem Frühjahrsfest gehen, als sie an der Kirche San José im Stadtviertel Flores vorbeikamen. Plötzlich verspürte er einen starken Wunsch, hineinzugehen und zu beichten. In einem Radiointerview vor seiner Reise nach Rom erzählt Bergoglio Ende Februar 2013 über diesen Tag:

      „Ich bin nie beim Frühlingsfest angekommen. Gott war an diesem Tag schneller. Ich weiß nicht wieso, aber ich musste in dem Augenblick, als ich vor der Kirche stand, hineingehen. Als ich drinnen war, schaute ich mich um und sah, wie ein Priester auf mich zukam. Ich kannte ihn nicht, er war nicht von dieser Kirche. Er ging zum letzten Beichtstuhl und nahm dort Platz. Ich spürte, wie mich jemand innerlich packte und mich zum Beichtstuhl führte. Was wirklich in diesem Augenblick geschah, kann ich nicht mit Worten erklären. Ich legte die Beichte ab. Zum Schluss fragte ich den Priester, woher er kam. Er antwortete, dass er von der Provinz Corrientes wäre und ab und zu die Messe hier zelebrieren würde. Er hatte Krebs, Leukämie. Ein Jahr später starb er. Von diesem Augenblick in der Kirche an wusste ich, ich muss Priester werden, und hatte nicht den geringsten Zweifel daran.“

      Heute stehen vor der Kirche von Flores immer wieder große weiße Touristenbusse. Von hier aus bietet die Stadt Buenos Aires sogenannte „Papst-Touren“ für alle an, die sich auf die Spuren von Papst Franziskus begeben wollen. Unweit von der Kirche San José, in der Straße Membrillar, weist eine Messingtafel auf dem Haus mit der Nummer 531 darauf hin, dass hier einmal die Familie Bergoglio lebte. In dieses Haus zog sich der damals 17-jährige Jorge Mario Bergoglio zurück, nachdem er den Ruf Gottes an jenem 21. September 1954 verspürt hatte. Zunächst sprach er mit niemandem darüber, was ihm an jenem Frühlingstag widerfahren war. Später erzählt Bergoglio in einem Interview, dass er in den darauffolgenden Jahren in einer Art „passiver Einsamkeit“ lebte. Eine Einsamkeit, in der er für sich allein eine Entscheidung von großer Bedeutung treffen musste.

      Zwei Jahre später hatte Bergoglio seine Fachhochschulreife in der Tasche und äußerte seinen Eltern gegenüber den Wunsch, Medizin zu studieren. Seine Mutter Regina war erfreut über seine Entscheidung und richtete ihm im Haus sogar ein eigenes Studierzimmer ein, erinnert sich seine Schwester María Elena. Sie erzählt: „Eines Tages ging Mutter in sein Zimmer, um aufzuräumen, und erlebte eine Überraschung. Statt auf seinem Schreibtisch Medizinbücher vorzufinden, entdeckte sie Theologie- und Philosophiebücher. Als sie Jorge fragte, weshalb er sie angelogen habe, indem er behauptete, Medizin studieren zu wollen, erwiderte er ihr:, Ich habe dich nicht angelogen, ich werde die Medizin der Seele studieren.‘ Mutter war an diesem Tag sehr traurig.“

      1957 teilte Bergoglio seine Entscheidung, Priester zu werden, schließlich auch seinen damaligen Klassenkameraden und Freunden aus der Nachbarschaft mit. Viele freuten sich für ihn, andere bedauerten, dass sie in Zukunft nicht mehr denselben Umgang miteinander haben würden, einige Mädchen weinten sogar, erinnert sich Alba Colonna. Sie gehörte damals zur Freundesgruppe von Bergoglio. Dieser sei ein sehr höflicher, zurückhaltender junger Mann gewesen, der stets im Anzug gekleidet die Mädchen zum Tangotanzen aufforderte. Er habe gerne und sehr gut Tango getanzt, versichert Alba Colonna.

      Doch bevor er am 11. März 1958 in das Noviziat der Jesuiten eintreten sollte, erkrankte der 21-jährige Bergoglio an einer schweren Lungenentzündung. Eine Erfahrung, die ihn im Nachhinein in seinem Glauben noch mehr bestärken sollte. Zu diesem Zeitpunkt besuchte er das Priesterseminar der Erzdiözese von Buenos Aires. Seine damaligen Seminarkollegen erinnern sich an diese Zeit: „Wir besuchten ihn in unserer Freizeit im Krankenhaus und verbrachten den Tag mit ihm, manchmal übernachteten wir sogar dort. Er hatte große Schmerzen“, erzählt der 82-jährige Bonet Alcón in einem Interview.

      Der Gesundheitszustand Bergoglios verschlimmerte sich zunehmend. Die Ärzte entdeckten drei Zysten. Sie entschieden sich zu einem aus heutiger medizinischer Sicht überflüssigen Schritt und entfernen einen Teil des entzündeten rechten Lungenflügels. Ein lebensgefährlicher Eingriff, der durch eine Antibiotikagabe hätte vermieden werden können.

      Seine starken Schmerzen beschreibt Bergoglio Jahre später wie einen Eisenstab, der seinen Brustkorb durchbohrte. Fiebernd fragte er seine Mutter, was mit ihm geschehe. Doch seine Mutter konnte ihm diese Frage nicht beantworten. Als ihn eines Tages an seinem Krankenbett Schwester Dolores besuchte, die ihn Jahre zuvor auf die erste Kommunion vorbereitet hatte, sagte sie ihm: „Mit deinem Schmerz imitierst Du das Leben von Jesus Christus.“ Dieser Satz, so erzählt Bergoglio später, habe ihm sehr viel Ruhe und Frieden gegeben und geholfen, die Bedeutung des Schmerzes zu verstehen. Später thematisiert er im Buch Sobre el cielo y la tierra den Schmerz:

       „Der Schmerz ist in sich keine Tugend, doch die Art und Weise, wie man mit dem Schmerz umgeht, kann eine Tugend sein. Die Berufung des Menschen ist, nach Glück und Vollkommenheit zu streben. Der Schmerz weist uns dabei immer wieder Grenzen auf. Aus diesem Grunde kann man den Schmerz als Vollkommenheit empfinden, wenn man diesen als Schmerz Gottes sieht, der sich im Körper Jesus Christus widerspiegelt.“

      Seit seiner Wahl zum Papst, erklärt María Elena Bergoglio, sei es, als würde ihr Bruder jeden Tag mehr Kraft, Energie und Lebensfreude gewinnen. Anfangs hatte sie Sorge, dass die Aufgaben und die Verantwortung, die auf ihren Bruder zukommen würden, seinen Gesundheitszustand schwächen könnten, doch genau das Gegenteil sei eingetroffen. Ein Beweis dafür, so María Elena Bergoglio, dass er in Rom am richtigen Ort sei – auch wenn er niemals daran gedacht habe, eines Tages der erste lateinamerikanische Papst zu werden.

       Pater Mario Rausch mit einem Brief von seinem

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