Spinner. Schelme. Scharlatane. Gerhard Dienes
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Thun lässt sich zunächst nicht beirren: In einem angemieteten Haus empfängt er während der Messe zahlreiche Patienten, seine „Heilmethode“ ist nach wie vor unspektakulär: Er legt seine Hand auf den schmerzenden Körperteil des Patienten und lässt diese so lange liegen, bis der Kranke ein Brennen oder einen Kitzel empfindet. Dann streicht er mit den Fingern über die Stelle, um den Schmerz in Richtung Hand oder Fuß des Patienten abzuleiten. Tatsächlich hat Thun damit auch Erfolg: Alle, die sich der „Wunderheilung“ unterziehen, behaupten unmittelbar danach, dass sie von ihrem Leiden geheilt seien, das ändert sich allerdings nach einigen Tagen: Nun klagen manche der Behandelten, dass sie ihr altes Gebrechen wieder verspüren würden.
Die Medizinische Fakultät der Universität Leipzig hat inzwischen beschlossen, dem Wunsch des Grafen Thun nachzukommen und die Wirkkraft seiner Hand wissenschaftlich zu untersuchen. Ein Privatarzt namens Langermann, der zuvor bereits Zeuge von Thuns Handauflegungen geworden ist, organisiert eine erste Sitzung, an der auch ein angesehener Universitätsprofessor teilnimmt. Während der Behandlung der Patienten ruft Thun dabei angeblich wiederholt „Und das ist Imagination!“, um so den Haupteinwand seiner Gegner von vornherein zu entkräften. Die Behandlungen an diesem Tag verlaufen erfolgreich, der Universitätsprofessor zeigt sich beeindruckt. Das ändert sich jedoch bei einer zweiten Sitzung: Thun ist an diesem Tag in schlechter Verfassung, die Handauflegungen zeitigen keinen Erfolg. Der Graf ist enttäuscht, die Stimmung wird jedoch vollends eisig, als er von einem Experiment Langermanns erfährt: Der Arzt führt Kranke mit verbundenen Augen in ein Zimmer, in dem ihnen angeblich Thun die Hand auflegt, tatsächlich ist dort jedoch eine andere Person – dennoch behaupten manche der Patienten, dass sie nun geheilt seien. Langermann, bis dahin ein Bewunderer Thuns, verliert damit seinen Glauben an die Wunderkraft in Thuns Hand, der Graf beschließt, das „undankbare Leipzig“ zu verlassen.
Eine Schar von Patienten wartet auf die Behandlung mit Franz Anton Mesmers heilkräftigem Magneten. Stich von Henri Thiriat.
Die „magischen Finger“: satirisches Blatt zu der von Mesmer angeblich entdeckten neuen „Naturkraft“, um 1778.
Öffentliche Polemik muss Thun in Leipzig auch von Seiten der Kirche hinnehmen. Ignaz Spalt, der Superior der Leipziger katholischen Gemeinde, wirft ihm vor, ein Scharlatan und Enthusiast zu sein, und mahnt ihn, die Heilungen aufzugeben. Spalt, der befürchtet, Thuns Wunderheilungen könnten die antikatholischen Vorurteile wieder bestärken, beruft sich in seinem Urteil auf eine Entscheidung der französischen königlichen Kommission des Jahres 1785, die das Prinzip der mesmerischen Heilungen damals verworfen hatte. In einem Brief an Spalt rechtfertigt sich Thun mit dem Hinweis, dass seine Fähigkeit ein physikalisches Phänomen sei und mit Religion nichts zu tun habe.
Die „Niederlage“ in Leipzig entmutigt den 60-jährigen Grafen nicht – jetzt wendet er sich an die Medizinische Fakultät der Universität Wien und bittet um eine wissenschaftliche Prüfung seiner Fähigkeit. Die Fakultät schickt ihm einen Fragebogen zu, den Thun auch ausfüllt. Seine heilende Kraft, so gibt er an, „sei eine Art elektrische Energie, die sich durch eine wandelnde Kombination der Naturkräfte äußere“. (Zitiert nach Cerman, Aufklärung oder Illuminismus.) Wie die Fakultät auf diese Ausführungen reagierte, ist nicht überliefert, das Schweigen der Quellen lässt vermuten, dass er seine Wunderheilungen auch in Wien allmählich eingestellt hat – der Spott in Leipzig hat ihn doch schwer getroffen. In der Folge widmet er sich ganz der Arbeit an seiner großen „Enzyklopädie“, einer „Sammlung alphabetisch niedergeschriebener Wahrheiten“ – das Manuskript dieses Kompendiums zum esoterischen Wissen der Zeit ist im Nachlass im Familienarchiv in Tetschen (Decin) erhalten und umfasst etwa 2.000 Seiten. Im Artikel Glaubens-Bekanntnuß der Enzyklopädie gibt der alternde Mystiker und Schwärmer zu, dass er Fehler begangen habe und sich von Freunden und Verwandten betrügen habe lassen. Er bedauere dies jedoch nicht, „da ihm all das Böse und das Gute die Geheimnisse des menschlichen Herzens offenbart hätten. Ohne all dies hätte er den Menschen nicht kennen gelernt.“ (Zitiert nach Cerman, Aufklärung oder Illuminismus.)
Franz Joseph Thun stirbt 1801 in Wien, ein Jahr nach seiner Frau Maria Wilhelmine.
1756–1819
DER NARREN-
DATTEL
JOHANN
LOCHNER
Jeder, der zum Narrendattel geht, Hat die Absicht, daß er Spaß versteht …
Aus dem Narrendattellied
Donnerstag, 4. März 1813. Europa steht im Zeichen des Kampfes gegen Napoleon. Russische Truppen ziehen in das von den Franzosen geräumte Berlin ein, Preußen steht knapp vor der Kriegserklärung an Frankreich. In der kaiserlichen Residenzstadt Wien hat man anderes im Blick: Die hochlöbliche Polizei-Oberdirektion sieht sich mit einer heiklen Beschwerde konfrontiert: Fürsterzbischof Sigismund Anton von Hohenwart zeigt erbost an, dass sich der Vorstadt-Gastwirt Johann Lochner „vulgo Narrendattel“ am Abend des Faschingdienstags erkühnt habe, in seinem Bierhaus in Lichtental ein „nach kirchlichem Gebrauch eingerichtetes Begräbniß des Faschings“ zu inszenieren, dabei habe er eine „lächerliche pöbelhafte Leichenpredigt“ gehalten. Die Polizei-Oberdirektion sieht den Tatbestand „Herabwürdigung der katholischen äußerlichen Religionsübungen“ erfüllt und lässt den „Narrendattel“ verhaften. Der Übeltäter ist kein Unbekannter, sondern stadtbekanntes Original: Johann Lochner, der Wirt vom Bierhaus „Zur heiligen Anna“ in der Badgasse in Lichtental (Nr. 130, heute Badgasse 29), berühmt für seine Grobheiten, die er den Gästen an den Kopf zu werfen pflegt.
Des Narrendattels „Leichenpredigt“ ist ihm ein Dorn im Auge: Sigismund Anton von Hohenwart.
Für die Predigtparodie wird eine Geldstrafe von 100 Gulden beantragt, die dem Armenfonds zufallen solle, eine Arreststrafe will man dem Hausinhaber und Wirt nicht antun; für die Zukunft werden ihm jedoch „alle unanständigen Scherze bei strenger Verantwortung, alle Beziehungen und Gespräche von Religion sowie die Produzierung kirchlicher Ceremonien“ streng untersagt, ansonsten drohe ihm der Verlust seines Gewerbes. Der Polizeibezirks-Direktion wird aufgetragen, dem zuvor bereits zweimal verwarnten Narrendattel „ununterbrochen“ ihre Aufmerksamkeit zu schenken, immerhin habe man die Gewinnsucht als „Triebfeder seiner pöbelhaften, oft anstößigen Scherze“ erkannt. Johann Lochner betreibt sein Wirtshaus „auf der Wiesen“, wie die Wiener das Lichtental auch nannten, zusammen mit seiner Frau Maria Anna seit dem Jahre 1800; die Bezeichnung „Zur heiligen Anna“ wird 1726 erstmals erwähnt, das Grundstück hat eine Gesamtfläche von 75 Wiener Quadratklaftern, also etwa 270 m2. Das Wirtshaus hat hier Tradition: Auf dem Besitz haftet seit 1699 eine Bierschank-Gerechtigkeit – im Lichtental nichts Außergewöhnliches: Etwa ein Fünftel aller Häuser sind Gaststätten. Das kleine Lokal umfasst ein Schank- und ein Extrazimmer, zehn Tische, drei Doppelbänke, 27 Sessel und ein Kanapee – für die feineren Gäste – bilden die ganze Einrichtung. Über einen kleinen Hof gelangt man zum Gastgarten, von Josef Richter in den Eipeldauerbriefen abschätzig als „Hühnersteign“ bezeichnet.
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