Was uns frei macht. Matthias Beck

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Was uns frei macht - Matthias Beck

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       Impressum

       Vorwort

      Die Welt ist in Aufruhr. Es gibt Turbulenzen in der Politik, Wirtschaft, beim Klima. Sie ist orientierungslos und treibt dahin, von Notlösung zu Notlösung. In Krisenzeiten gab es immer wieder Versuche, sich seiner selbst zu vergewissern. In der griechischen Philosophie fragte sich Aristoteles, was Menschen angesichts zerbrechender Strukturen wirklich suchen. Seine Antwort: Sie suchen ihr Glück und ein gelingendes Leben. Später war es Augustinus, der fragte, was noch bleiben würde, wenn der Mensch von allen getäuscht werde. Seine Antwort: Es bleibt, dass ich weiß, dass ich es bin, der getäuscht wird. Wieder Jahrhunderte später formuliert René Descartes seinen berühmten Satz: Cogito ergo sum. Ich denke, also bin ich. Ich weiß in all dem Chaos, dass ich bin, da ich denke. So komisch es klingt: Im äußeren Durcheinander fällt der Mensch je neu auf sich selbst zurück.

      Eine aufgeklärte christliche Philosophie und Spiritualität kann den auf sich selbst zurückgeworfenen Menschen auffangen, stärken und wieder gemeinschaftsfähig machen. Die Botschaft: Es gibt in dir selbst einen Grund, der trägt. Du trägst alles in dir, was du zum Leben brauchst. Das klingt komisch. Lebt der Mensch nicht von der Gemeinschaft? Selbstverständlich brauchen Menschen einander. Der Mensch ist primär Mitmensch. Aber auch Gemeinschaften scheinen nicht mehr zu tragen, nur noch die Internet-Kommunität. Aber trägt sie wirklich?

      Daher stellt sich die Frage, ob nicht jeder Einzelne in sich (göttliche) Ressourcen trägt, die es zu entdecken gilt. Vielleicht kommt der äußerliche, verunsicherte Mensch erst jetzt zu seiner tiefsten Quelle zurück. Vom Ich zum Du. Das Buch zeigt einen Weg dazu auf.1

       Hinführung

      Manche Menschen assoziieren mit dem Begriff „Ethik“ etwas Positives, manche aber auch eine Fülle von Verboten. Du sollst nicht stehlen, du sollst nicht lügen, du sollst nicht morden, so steht es in den Zehn Geboten. Von einer christlichen Ethik meinen manche sogar, dass sie das Leben blockiere. Für viele Menschen hat das katholische Christentum nichts Befreiendes. Dieses Buch will ein anderes Bild zeichnen. Es widmet sich der Darstellung eines Weges zur Befreiung des Menschen hin zu seiner individuellen Selbstentfaltung. Diese ist keine reine Selbstverwirklichung oder Egoismus, sondern Verwirklichung des innersten Wesens des Einzelnen,2 die Verwirklichung des Göttlichen in ihm. Dieses übersteigt das Ich des Menschen „um ein Unendliches“.3 Jeder Einzelne kann in seinem tiefsten göttlichen Grund zu sich selbst und zum anderen finden.

      Die Begriffe Ethik und Moral werden oft synonym verwendet. Sie sind aber zu unterscheiden. Moral bezieht sich eher auf das gelebte Leben. Ethik hingegen ist die wissenschaftliche Reflexion auf die gelebte Moral. In der Ethik als wissenschaftliche Reflexion wird gefragt, warum wir so handeln. Ethik liefert Begründungen. Es geht dabei unter anderem um das tiefere Verständnis von inneren Haltungen (Tugenden) und menschlichen Handlungen (Normen). Ethik ist die Lehre vom guten Handeln und richtigen Leben. Eine „gute“ Ethik soll dem Leben des Menschen in seiner Verbundenheit mit anderen dienen. Sie hilft, dass Menschen ihr Glück finden und das Leben gelingt. So sollte auch eine christliche Ethik zur Freiheit, zum Glück und zu einem Leben in Fülle führen. Eine „gute“ Ethik ist außerdem universal, wie Immanuel Kant es formuliert hat. Sie gilt für alle Menschen.

      Die inneren Haltungen werden auch als Tugenden bezeichnet. Der Begriff „Tugend“ hat mit „Tauglichkeit“ zu tun. Richtige innere Haltungen sollen tauglich sein für das Leben. Aristoteles postuliert im Anschluss an Plato vier derartige Tugenden: Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit, Maß. Klugheit meint dabei, langfristig zu planen und das Ende von Handlungen zu bedenken.4 Gerechtigkeit heißt, dass man den anderen Menschen gerecht werden soll (personale Gerechtigkeit), jedem das Seine gibt, Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandelt, dass man faire Geschäfte macht (Tauschgerechtigkeit) und sich um eine gerechte Verteilung der endlichen Güter dieser Welt kümmert (Verteilungsgerechtigkeit).

      Tapferkeit ist ein Begriff aus dem Militär und meint die rechte Mitte (Maß) zwischen Feigheit und Tollkühnheit. Der feige Soldat bleibt im Schützengraben, der tollkühne rennt blind ins Feld. Die rechte Mitte ist die Tapferkeit: Der Tapfere überwindet etwa seine Feigheit und handelt klug und überlegt. Tapferkeit ist heute wohl eher mit Zivilcourage oder Mut zu übersetzen. Die Tugend des Maßes durchzieht alle anderen Tugenden. Sie ist nicht das Mittelmaß, sondern die rechte Mitte zwischen zwei Extremen.

      Für die Medizin heißt die rechte Mitte die richtige Dosis: nicht zu viel, nicht zu wenig. „Die Dosis macht das Gift“, heißt es bei Paracelsus. Tugenden lernt man nicht aus Büchern, sondern man muss sie täglich einüben und vollziehen. Ein gerechter Mensch wird man dadurch, dass man sich jeden Tag bemüht, gerecht zu entscheiden und zu handeln. Dieses ständige Üben formt langsam den Charakter. Goethe hat es so zusammengefasst: „Es bildet ein Talent sich in der Stille, sich ein Charakter in dem Strom der Welt.“5

      Ethik bezieht sich also auf innere Haltungen und äußere Handlungen des Menschen. Zum richtigen Handeln bedarf es einiger Regeln, Normen genannt. Diese Regeln kann sich der Mensch selbst ausdenken oder sie kommen aus einem religiösen Hintergrund. Erstere führen zu einer philosophischen Ethik, Letztere zu einer theologischen, wie zum Beispiel zu den Zehn Geboten. Als philosophische Ethik ist die erwähnte Tugendethik von Aristoteles zu nennen oder die philosophische Reflexion über den Begriff der Menschenwürde bei Immanuel Kant. Oft durchdringen sich philosophische und theologische Zugänge.

      Um genauer zu verstehen, was theologische Ethiken sind, muss kurz über die Frage nachgedacht werden, was Religionen sind. Vergleicht man die fünf großen Weltreligionen, Hinduismus, Buddhismus, Judentum, Christentum und Islam, zeigen sich Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede: Der Hinduismus hat – ebenso wie in anderer Weise die griechische Philosophie – einen Vielgötterhimmel im Hintergrund. Von diesem würde der Philosoph Ludwig Feuerbach vermutlich sagen, dass diese Götter Projektionen des Menschen seien. Diese Götter stehen oft als Chiffren für das Unerklärliche wie Naturkatastrophen, die das Leben zerstören, aber auch für erhaltende Kräfte, die das Leben fördern. In der hinduistischen Ethik geht es unter anderem darum, ob angesichts des Kastenwesens – wenngleich politisch abgeschafft – alle Menschen gleich sind oder ob die unterschiedliche Kastenzugehörigkeit auch zu einer unterschiedlichen Bewertung des jeweiligen Menschen führt.

      Der Buddhismus ist zum Teil eine Religion ohne personalen Gott. Er ist eher eine Lebensphilosophie. Hier geht es unter anderem um die Frage nach der Herkunft des Leidens und dass dieses Leiden vor allem durch die Anhaftung des Menschen an innerweltliche Dinge entsteht. Die Aufgabe des Menschen ist es, sich langsam aus diesen Anhaftungen zu lösen. Schrittweise kann er so aus dem Leidensprozess und dem Kreislauf der Wiedergeburten herauskommen. Hinduismus und Buddhismus haben eine Reinkarnationsvorstellung im Hintergrund, die ihrerseits zu bestimmten Ethiken führt.6

      Erst mit dem Judentum ändert sich etwas Grundlegendes in der Religionsgeschichte: Das Judentum geht davon aus, dass der Gott, den es Jahwe nennt, von sich selbst sagt, dass er „Da ist“. „Ich bin Da“ (Ex 3,14)7. Er sagt von sich, dass es ihn „gibt“. Man nennt das die Selbstoffenbarung Gottes. Das Judentum ist somit eine Offenbarungsreligion. Der Gott Jahwe zeigt sich in dieser Welt. Er spricht und handelt am Volk Israel. Das Volk spürt, dass die vielen Götter, die es auch in Israel gab, keine Kraft haben. Jahwe aber erfahren sie als einen machtvollen Gott, der das Volk Israel aus der Knechtschaft Ägyptens befreit. Diese Befreiung feiert es jedes Jahr beim Pessach-Mahl.

      Damit die Menschen die erlangte Freiheit nicht wieder verlieren, gibt Gott

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