Die Krieger des alten Japan. Roland Habersetzer
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Es existieren verschiedenen Versionen über den Ablauf dieses letzten Gefechts zwischen den Taira und den Minamoto. Eine davon betont vor allem Yoshitsunes taktisches Gespür. Er soll beispielsweise die Gezeitenströmung ausgenutzt haben, die ab drei Uhr nachmittags aus Richtung Westen in die Inlandsee Japans gerichtet ist, und mit ihrer Hilfe die Taira in Strömungsrichtung bis zum Einbruch der Nacht verfolgt haben. Die Schiffe der letzteren waren durch Brandpfeile beschädigt. Zudem hatten die Minamoto die Steuermänner besonders intensiv beschossen, so daß die Schiffe in der schwellenden Flut kaum noch manövrierfähig waren und unaufhaltsam gegen die Riffe getrieben wurden. Sicher ist, daß Yoshitsune eine für den Ausgang der Schlacht erstrangige Rolle spielte. Er ließ Yoritomo unverzüglich Nachricht von dem triumphalen Sieg zukommen und sandte den heiligen Spiegel und das kaiserliche Siegel nach Kyôto. Das heilige Schwert hingegen war für immer verloren.
Yoshitsune folgte den Boten auf dem Fuße. Sein Ansehen und seine Beliebtheit überstiegen jedes Maß. So zog er seinem Bruder entgegen, nicht ahnend, daß die Eifersucht diesen bereits in seinen erbittertsten Feind verwandelt hatte. Der Sieg von Dan-no-Ura, der dem Klan der Taira den jähen Untergang gebracht hatte, sollte den Höhepunkt der strahlenden militärischen Laufbahn Yoshitsunes darstellen.
Die lange Treibjagd
Es dauerte nicht lange, und Yoshitsune begriff endlich, daß er sich den Haß seines Halbbruders eingehandelt hatte, denn Yoritomo machte keinen Hehl aus seiner Feindseligkeit ihm gegenüber. Von dieser Erkenntnis zutiefst niedergeschlagen, zog Yoshitsune sich zurück, und sein Kampfgeist und sein Lebenswille erlahmten. Dies wirft ein bezeichnendes Licht auf das empfindsame Wesen dieser starken Kriegerpersönlichkeit.
Der erste, der ihn im Stich ließ, war Go-Shirakawa, der Kaiser im Ruhestand, der ihm zunächst seinen Schutz und seine Anerkennung hatte zukommen lassen, doch nun ohne zu zögern Partei für den politisch geschickteren Yoritomo ergriff. Letzterer war mehr denn je dazu entschlossen, dem ihm lästig gewordenen Halbbruder allen Ruhm wieder zu entreißen. In seinem Palast in Kamakura lauschte er dem gehässigen Bericht des Kajiwara-no-Kagetoki, der glücklich darüber war, sich für die Kränkung, die er durch Yoshitsune am Vorabend der Schlacht von Yashima erlitten hatte, rächen zu können. Schon bald machten Verleumdungen die Runde, deren Ziel es war, die Hochachtung, die die Mehrheit der Minamoto-Krieger Yoshitsune entgegenbrachte, zu erschüttern und ihn letztendlich zugrunde zu richten. Man brachte sogar das Gerücht in Umlauf, daß Yoshitsune plane, sich mit seinem Onkel Yukiie zu verbünden, um Kamakura zu erobern.
Yoshitsune beschloß wenige Wochen nach seiner Rückkehr nach Kyôto, sich persönlich zu Yoritomo zu begeben, um ihm zu berichten, wie die Ereignisse sich tatsächlich zugetragen hatten. Auch wollte er ihm die gefangenen Taira, die noch nicht hingerichtet worden waren, ausliefern. Doch in Koshigoe, unweit von Kamakura, übermittelte ihm ein Bote einen Befehl Yoritomos, der besagte, daß die Truppen und auch die Gefangenen ihren Weg fortsetzen sollten, daß es aber Yoshitsune selbst bis auf Widerruf strengstens untersagt sei, die Stadt zu betreten. Er gehorchte. Als ihm nach und nach die Hintergründe für das Verhalten seines Bruders bewußt wurden, verfaßte er einen langen Brief, in dem er ihm die Aufrichtigkeit seiner Absichten und seine tiefe Ergebenheit ihm gegenüber darlegte. Er erinnerte ihn an die gemeinsamen Blutsbande und appellierte an sein Mitgefühl. Dieses »Schreiben aus Koshigoe« gestattet tiefe Einblicke in die Seele dieses Mannes, der über unerschöpfliche Kräfte zu verfügen schien und der auf dem Schlachtfeld ein rücksichtsloser Kämpfer war. Hinter dieser Fassade zeigte sich ein Mensch von großer Unschuld, der den Ränkespielen seiner Gegner mit großer Naivität begegnete. Sein Brief fand kein Gehör, und er mußte sich nach Kyôto zurückbegeben, ohne von seinem Bruder empfangen worden zu sein. Also zog er sich dorthin zurück und verbrachte seine Zeit auf angenehme Weise, doch zum Müßiggang gezwungen, mit der Frau seines Lebens, Shizuka. Eines Tages wurde ihm ein Befehl Yoritomos überbracht, der ihn zum Gouverneur über die weit entfernte Provinz Iyo auf Shikoku ernannte. Doch dann wurde an seiner Stelle ein Verwalter berufen, so daß Yoshitsune weiter in Kyôto blieb.
Wenig später verlangte Yoritomo, daß Yoshitsune ihm seinen Onkel Yukiie ausliefere. Yoshitsune täuschte eine Krankheit vor, um dem Befehl nicht nachkommen zu müssen. Der Herr von Kamakura war außer sich vor Wut. Er beschloß, sich seines Halbbruders zu entledigen, der in seinen Augen noch immer ein Hindernis auf dem Weg zur absoluten Macht im Lande darstellte. Er entsandte den Kriegermönch Tosabo Shôshûn und mehrere Dutzend Krieger, damit diese Yoshitsune in seinem Haus in Kyôto ermordeten. Der Angriff fand in einer Nacht statt, doch Benkei und sein kleiner Trupp getreuer Anhänger waren schon seit längerem auf der Hut gewesen, und es gelang ihnen, den Angriff abzuwehren und die Häscher Yoritomos zu erschlagen. Nach diesem Mordversuch gab es für Yoshitsune keine Zweifel mehr an den Intentionen seines Halbbruders. Eine Versöhnung war undenkbar geworden, und in Kyôto war er nicht mehr sicher. Gemeinsam mit Yukiie und einigen Samurai beschloß er, in See zu stechen und zu versuchen, Verbündete zu finden. Das überraschte Yoritomo, der sich bereits Gedanken darüber gemacht hatte, was geschehen wäre, hätte Yoshitsune beschlossen, direkt auf Kamakura zu marschieren. Zweifelsohne hätten sich ihm unterwegs zahlreiche Verbündete angeschlossen. Doch obgleich Yoshitsune zutiefst gekränkt war durch das Verhalten seines Bruders, den er doch stets respektiert hatte, lag ihm der Gedanke fern, selbst zu versuchen, die Oberherrschaft über den Klan der Minamoto zu erstreiten.
Seiner Expedition war kein Glück beschieden. Ein Großteil seiner Flottille wurde durch einen Taifun vernichtet. Zwar überlebten er, seine Frau Shizuka und sein Getreuer Benkei, doch ohne Mitstreiter waren sie gezwungen, ein Leben im Verborgenen zu führen. An jenem Tag begann die größte Menschenjagd in der Geschichte Japans. Yoshitsune wurde für vogelfrei erklärt, und der Bann des Kaiserreiches lag auf ihm.
Zunächst verbargen sich die Flüchtigen in Yamato, später in den Bergen von Yoshino, und schließlich kehrten sie nach Kyôto zurück. Ein landesweiter Suchbefehl wurde ausgegeben, alle Grenzposten des Landes wurden darüber informiert. Man durchsuchte Wohnhäuser und Tempel, und man verpflichtete sogar Priester, Yoshitsune festzunehmen, wenn sie seiner habhaft werden könnten. Die Suche nach dem Untergetauchten wurde für Yoritomo zur Obsession. Doch ein ganzes Jahr lang gelang es den Gesuchten, sich erfolgreich zu verbergen. Aber die Maschen des Netzes wurden immer dichter, und Yoshitsune beschloß, in den Norden des Landes zu gehen, nach Mutsu (Ôshû), wo er Schutz bei Fujiwara Hidehira finden würde, wie bereits in seinen Jugendjahren. Fujiwara war ein naher Verwandter, und er war stark genug, der aufstrebenden Macht aus dem Süden des Landes die Stirn bieten zu können.
Begleitet von Benkei und einer Handvoll tapferer Getreuer, die ihm bis in die Hölle gefolgt wären, begab er sich nach Norden. Seine Frau mußte er jedoch in Kyôto zurücklassen, da sie schwanger war und somit den Strapazen der heimlichen Reise nicht gewachsen gewesen wäre. Kaum hatten sie die Stadt verlassen, begannen die Reiter Yoritomos, sie zu jagen. Immer wieder wurden sie in Kämpfe verwickelt, aus denen sie siegreich, doch mit Verlusten hervorgingen. Ihr kleiner Trupp schmolz dahin wie Schnee in der Sonne. Jeder dieser Siege war nur eine Verlängerung der Galgenfrist, und einer nach dem anderen bezahlten die Begleiter Yoshitsunes für ihre bedingungslose Treue mit ihrem Leben.
Bald war außer Yoshitsune und Benkei nur noch Sato Tadanobu am Leben, der Bruder von Tsuginobu, der sich bei Yashima für seinen Meister aufgeopfert hatte, indem er den für diesen bestimmten Pfeil mit seinem Körper abgefangen hatte. Und auch Tadanobus Ende verdient es, erzählt zu werden. Sato war ein begnadeter Schwertkämpfer, der zu Recht gefürchtet war und dessen Ruf in ganz Kyôto bekannt war. Yoshitsune hatte auf dessen Drängen die Rüstung mit ihm