Die Krieger des alten Japan. Roland Habersetzer
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Darstellung eines seppuku. Holzschnitt.
Samurai sein bedeutete auch, zu sterben zu wissen. Jeder Samurai lernte bereits in jungen Jahren, wie man »gut stirbt«, den Regeln entsprechend und in der richtigen Haltung. Nichts durfte dem Zufall überlassen werden, oder zumindest so wenig wie möglich. Der Idealfall bestand darin, selbst den Zeitpunkt des Todes zu bestimmen, ihn sich selbst zu geben, wenn keine andere Möglichkeit mehr bestand, die eigene Ehre oder die des Herren zu retten. Der Freitod erfolgte auf langsame Weise und wenn möglich in der Öffentlichkeit. Diese Todesart war ein Weg, den Lebenden seinen Mut ins Antlitz zu schleudern. Sie war auch ein Mittel des Protestes. Zudem gab sie alles, was sich weiterhin ans Leben klammerte, der Lächerlichkeit preis. Im Lauf der Jahrhunderte entwickelte sich auf diese Weise ein ganzer Kodex des freiwilligen Todes, des Todes als öffentliches Schauspiel, bei dem man sich den Bauch aufschnitt. Das Ritual war bis in die Einzelheiten festgelegt, und es verlieh den letzten Augenblicken des Samurai, der beschlossen hatte, auf diese Weise aus dem Leben zu scheiden, eine ethische Dimension, die seiner Kultur entsprach. Dieses Ritual wurde seppuku genannt. Bekannter ist es unter dem volkstümlichen Begriff des hara kiri, was wörtlich »den Bauch aufschneiden« bedeutet; der Bauch wurde als Sitz des Atems und der Lebensenergie betrachtet.
Seppuku wurde mit dem kleineren der beiden Schwerter des Samurai durchgeführt oder mit einem Dolch (tantô). Nachdem er – wie es üblich war – ein Abschiedspoem verfaßt hatte, kniete sich der Samurai nieder. Sein Oberkörper war frei. Er schnitt sich den Bauch von links nach rechts auf und vollendete die Bewegung, indem er die Klinge in der Wunde nach oben drehte und so die Schnittwunde vergrößerte. Wenn er danach noch die Kraft dazu hatte, zog er die Klinge wieder heraus, um sie sich ins Herz oder in die Kehle zu stoßen. Die Tradition verlangte, daß man es dem Mann überließ, seinen Schmerz zu beherrschen und daß niemand eingreifen durfte, bevor das Ritual nicht »glücklich« zu Ende gebracht worden war. Nur auf diese Weise konnte ein Mann in dieser Situation seinen Mut beweisen, und nur, wenn ihm dies gelungen war, konnte man ihm auch nach seinem Tode noch Respekt entgegenbringen. Die ganze Zeit über stand hinter dem Samurai der Assistent (kaishaku-nin) mit erhobenem Schwert. Aber erst ganz am Ende durfte er der Agonie des Sterbenden ein Ende setzten, indem er ihn mit einem einzigen schrägen Hieb enthauptete.13 Diese Rolle war heikel, da sowohl ein zu frühes als auch ein zu spätes Eingreifen falsch gewesen wäre. Der seppuku begehende Samurai mußte durch leichtes Neigen des Hauptes anzeigen, daß er seine Tat vollendet hatte, erst dann durfte der kaishaku-nin seine Aufgabe erfüllen. Als kaishaku-nin agieren zu dürfen, galt als außerordentliche Ehre, und in der Regel wurde sie nur einem Verwandten oder einem sehr engen Freund zuteil. Eine Variante des rituellen Selbstmordes war das junshi. Es bedeutete, daß ein Samurai das seppuku ausführte, um seinem Herren in den Tod zu folgen, denn es hieß, daß ein Samurai in seinem Leben nur einem einzigen Herren dienen sollte.
All die Tugenden, die den »Weg des Kriegers« (bushi-no-michi) ausmachten und dem »Wort des Kriegers« (bushi-no-ichi gon) Gewicht verliehen, wie auch die Kunst, »gut« zu leben und zu sterben, waren Bestandteil des Ehrenkodex der Samurai. Im 17. Jahrhundert kam hierfür der Begriff bushidô auf. Zuvor sprach man vom shidô, dem Weg des Edelmannes, vom mononofu-no-michi, dem Weg des Kämpfers, vom masurao-no-michi, dem Weg des Helden oder auch vom kyûba-no-michi, dem Weg des Bogens und des Pferdes. Der Begriff bushidô, Weg des Kriegers, vereinte all diese alten Begriffe und ersetzte sie schließlich. Aus dem 17. Jahrhundert stammen auch die ersten schriftlichen Aufzeichnungen zu dieser Thematik. Zuvor war das Wissen ausschließlich mündlich überliefert worden. Die erste systematische Darstellung der Konzepte des Weges der Krieger stammt aus der Feder von Yamaga Sokô (1622-1685). Sein Werk ist eine komplexe und detaillierte Darstellung der moralischen Prinzipien, nach denen ein Krieger sich streng zu richten hatte. Dies bezog sowohl die Ausübung des Waffenhandwerks als auch die anscheinend unbedeutendsten Einzelheiten des täglichen Lebens mit ein, für alles wurde klar definiert, was richtig und was falsch sei. Auch verlangte er, daß ein Krieger dem Tode gegenüber bewußt gleichgültig zu sein habe.
Aber erst in der Ära der Tokugawa kam es zur Blüte des bushidô-Konzepts. Anfang des 18. Jahrhunderts, im Jahre 1716, erschien ein Werk, das ein großer Klassiker werden sollte: das Hagakure. Hierbei handelt es sich um die gesammelten Schriften des Samurai Yamamoto Tsunetomo (1659-1719), herausgegeben durch Tashiro Tsuramoto. Das Hagakure14 (»Verborgen unter den Blättern«) bringt auf vollendete Weise den Samurai-Geist zum Ausdruck. Im Mittelpunkt des Werkes stehen die Tugenden, die dem Leben eines Kriegsmannes seinen Sinn verleihen: Dazu zählten giri (Pflicht), yû (Mut), enryo (Todesverachtung), reigi (Höflichkeit), makoto (Aufrichtigkeit, Wahrheitsliebe), hontô (Tatsächlichkeit), chûgi (Loyalität, absolute Treue), gishi (Rechtschaffenheit), shiki (Entscheidungskraft), ninyô (Menschlichkeit), bushi-no-nasake (Mitgefühl), doryô (Edelmut) und ansha (Freigebigkeit). All diese Werte beruhten auf folgendem Grundsatz: »Wenn der Samurai sich zu jeder Zeit selbstkritisch beobachtet und wenn er darüber hinaus bereit ist, sein Leben zu lassen, wann und wo dies erforderlich ist, wird er in allen Kampfkünsten vollendet sein, und er wird ein Leben führen, das rein ist wie ein Diamant.« Diese Ideen lebten im japanischen Geiste fort, selbst nach der kaiserlichen Restauration von 1868 (meiji jidai).
Dennoch änderte sich der Status der Samurai mit der Meiji-Restauration radikal. Sie verloren ihre Privilegien, ihren Daseinsgrund. Das neue Japan hatte sich für eine Armee modernen Typus entschieden, die auf der Zahlung von Sold beruhte und nicht mehr auf dem Schwur der Samurai, der sie zu lebenslanger Treue einem einzigen Herren gegenüber verpflichtete. Insbesondere wurde ihnen das Tragen der Schwerter verboten (haitôrei-Edikt von 1876). Dieser Angriff auf die geheiligte Tradition des yamato kokoro (Geist des alten Japan) stieß auf Unverständnis und führte zu Unruhen und offenem Aufruhr. Der bekannteste dieser Aufstände war die Satsuma-Rebellion (Satsuma-no-ran) unter Saigô Takamori. Aber die Neuausrichtung der japanischen Gesellschaft erwies sich als unumkehrbar. 1872 wurde der Status des Samurai abgeschafft, und die ehemaligen Krieger wurden nun entweder den Shizoku (Adlige) oder den Heimin (Bürgerliche) zugeordnet. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts, als die Bevölkerung Japans 20 Millionen zählte, gab es 500 000 Samurai. Zur Zeit der Meiji-Reform gab es bis zu 2,1 Millionen Shizoku, während die Einwohnerzahl des Landes auf 46,6 Millionen gestiegen war.
Samurai in der Schlacht, mit blank gezogenem katana und einem sashimono auf dem Rücken.
Allen Reformen zum Trotz ist die japanische Kultur noch heute von den Werten, denen die Samurai einst ihr Leben verschworen hatten, durchdrungen, wenn dies auch manchmal nicht ohne weiteres erkennbar ist. Sie waren bereits die Helden der melancholischen Balladen, die die im Mittelalter von Burg zu Burg ziehenden japanischen Troubadoure, die biwa hôshi, begleitet von Lautenmusik zum besten gaben. Und noch immer bringen die Schauspieler der kabuki- und nô-Theater15 mit den beispielhaften Lebensgeschichten der alten Samurai ihr Publikum zum Träumen, und auch aus den alten populären