Regensburg am Schwarzen Meer. Daniel Weißbrodt
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Das war nun endlich das letzte Hindernis, denke ich, das letzte Mal, dass das Wasser sich gestaut hat, es ist geschafft und ich sehe mich um. Links steht ein Auto unter Bäumen, ein Mann packt seine Angeln aus und zwei Kinder spielen im Wasser, sie plantschen, schwimmen und spritzen sich mit Wasser voll.
Man kann also baden in der Donau?
Das Wasser ist zwar ein wenig trüb, scheint aber auch nicht viel schmutziger zu sein als ein beliebiger Badesee zu Hause. In meiner Kindheit konnte man in Flüssen nicht baden. Sie waren mit Abwässern verdreckt, auf ihnen trieben Flocken schmutzigbraunweißen Schaums und schillernde Flecken von Öl und Benzin. Mehr Kloaken als Flüsse waren es und so bin ich auch jetzt nicht auf die Idee gekommen, in der Donau zu schwimmen, schließlich ist sie kein See. Seltsam, denke ich, wie lange diese Vorstellung prägend geblieben ist, denn das kühle Wasser tut gut, es wäscht mir den Schweiß von der Haut und ich bin erfrischt und fühle mich geradezu sauber, als ich wieder aus dem Fluss steige.
AUF DER GANZEN BREITE des Flusses liegen Gesteinsbrocken und das Wasser umsprudelt sie rauschend und weiß schäumend. Baumstämme haben sich zwischen den Felsen verfangen und ich lege am linken Ufer an und sehe über das Wasser. Es hilft alles nichts, ich muss ein weiteres Mal umtragen, denn durch dieses Wildwasser kann ich nicht fahren.
Als das Gepäck in der kleinen Bucht unterhalb der Stromschnellen liegt, gehe ich zurück zum Boot, aber es ist niemand zu sehen, der mir helfen könnte. Ich muss es allein schaffen, drehe das Boot um und hebe den Bug an, krieche darunter und lege es mir auf den Buckel. So funktioniert es und ich marschiere mit gebeugtem Rücken den zweihundert Meter langen Waldweg hinunter.
Die Sonne steht im Zenit, es ist heiß und außer dem Gezwitscher der Vögel und dem Zirpen der Grillen ist nichts zu hören. Sommerhitze liegt über dem Land und die Luft flimmert, ich paddle nicht mehr und lasse mich treiben. Schilf und Wald säumen das Ufer, ein paar Meter von mir entfernt schwimmt ein Biber, dann schlägt er laut klatschend seine Kelle aufs Wasser, er taucht ab und zum ersten Mal sehe ich einen Seidenreiher. Er steht am Ufer im flachen Wasser, er ist vielleicht einen halben Meter groß und weiß. Als er auffliegt, sehe ich, dass seine Beine schwarz sind, seine Füße aber leuchtend gelb.
Seit dem letzten Regen ist fast eine Woche vergangen, der Wasserstand ist um mehr als einen halben Meter gefallen und die flach über dem Wasser hängenden Äste der Weiden und das Schilf sind von feinen Schlammschichten überzogen, die in grauen Streifen die Pegel der vergangenen Wochen anzeigen.
Auf einer breiten Wiese neben dem Medveďov-Arm stehen unter Bäumen zwei große Zelte und ein Kleinbus und am Ufer liegen zwei Kanadier und ein Schlauchboot. Es ist schon spät am Nachmittag, die Schatten werden länger und das Licht milder und als ich das Boot an Land ziehe, sehe ich, dass das Ruder lose ist. Eine der drei Schrauben ist locker und eine fehlt.
Medveďov ist ein kleines Dorf, umgeben von Feldern, Wiesen und ein paar Flecken Wald. Ein großer, moderner Traktor fährt an mir vorbei, eine alte Frau trägt eine geblümte Einkaufstasche nach Hause und zwei Halbwüchsige in kurzen Hosen und mit freiem Oberkörper schlendern langsam über die schmale Straße.
Obwohl das Dorf in der Slowakei liegt, sieht es schon sehr ungarisch aus, oder doch wenigstens so, wie ich mir ein ungarisches Dorf vorstelle. Umgeben von flachem, weitem Land, in dem nur ab und an eine kleinere Baumgruppe steht, liegen die Häuschen beieinander, die meisten wohl in den 1950ern gebaut. Sie tragen ein flaches, pyramidenförmiges Dach, mit Ziegeln oder mit Wellblech gedeckt, in den Gärten wachsen Tomaten und Paprika, stehen Kirsch- und Pfirsichbäume, unter denen gelegentlich eine Ziege weidet, die den Kopf hebt und mich kauend aus großen, gelben Augen anglotzt, und auf einem Mast brüten Störche. Der Betonmast scheint keinen anderen Zweck zu erfüllen als den, ein Storchennest zu tragen. Es hängen keine Stromleitungen an ihm und am oberen Ende ist ein rundes, von vier Streben abgestütztes Stahlgerüst angebracht, das den Zweck des ansonsten üblichen, alten Wagenrades erfüllt.
In dem kleinen Laden im Ort gibt es keine Schrauben, aber auf einem Hof beugen sich drei junge Männer über den geöffneten Motorraum eines alten Ladas und auf meine Frage halten sie mir eine Werkzeugkiste hin, in der Schrauben in allen Größen und Formen liegen. Ich nehme mir drei Stück heraus und als ich sie frage, was ich ihnen dafür geben könnte, lachen sie nur.
»Diese drei Schrauben haben keine fünf Heller gekostet«, sagt einer der drei. »Also lass dein Geld stecken!«
Am Fluss schiebe ich ein paar Streichhölzer in die Löcher am Heck und schraube das Ruder wieder fest. Es scheint zu halten, aber die Feuchtigkeit der letzten Tage hat einigen der hölzernen Bootsteile wohl doch ein wenig zugesetzt und sie sind dunkel und aufgequollen. Danach gehe ich in die Kneipe und setze mich an einen Tisch auf der Terrasse vor dem Haus. Ein paar alte Männer sitzen beim Bier, im Hintergrund läuft ein Fernseher und im Schatten liegt ein Hund und döst. Ein Mann mit einer Sense auf der Schulter geht die Straße entlang und grüßt über den Zaun einen Nachbarn.
Niemand scheint es eilig zu haben in Medveďov, es wirkt beinahe, als hätte das ganze Dorf Sommerferien und wochenlang frei, Zeit, am Fluss im Schatten zu sitzen, zu baden, am Abend gemütlich nach Hause zu schlendern und ein paar Kirschen zu pflücken. Ganz sicher ist es nicht so, aber es fehlt einfach die Hektik und das Gehetztsein, wie ich es aus der Großstadt kenne, und ich lasse mich von der dörflichen Ruhe anstecken, trinke ein Bier, mache mir ein paar Notizen und gehe erst zurück zum Fluss, als es schon dämmert.
AM MORGEN ZIEHE ICH das Boot ins Wasser. Das Ruder sitzt wieder fest und reagiert auf jede kleine Bewegung der Pedale. Das Land ist flach und links und rechts am Ufer stehen Erlen und Weiden mit silbriggrün schimmernden Blättern, Zweige hängen im Wasser, manchmal steht in einer Bucht mit Sand- oder Kiesstrand ein Zelt und jemand winkt mir zu, ein Kanu liegt im Gras und zwischen zwei Bäumen ist eine Hängematte gespannt, in der ein Mädchen liegt und liest, auf einer Leine hängen Handtücher und am Ufer ankert ein Motorboot. Obwohl die Abstände zwischen den Ortschaften größer werden, wirkt der Fluss belebter als in Deutschland oder in Österreich, wo die mit Steinblöcken bewehrten Ufer es über weite Strecken verhindern, zu zelten oder zu baden.
Am Nachmittag höre ich ein leises Quietschen und Rumpeln, das immer lauter wird. Geräusche, als schabte Metall auf Metall, ein kreischendes Scheppern, das weit über den Fluss hallt, und nach einer Weile sehe ich ein Schiff. Auf dem rostigen Kahn läuft eine Eimerkette, ein Förderband mit Schaufeln, und neben dem Baggerschiff liegt ein Schubleichter, auf dessen tief im Fluss hängenden Heck schon zwei Kieshaufen liegen. Der noch unbeladene Bug hebt sich aus dem Wasser und der Kahn baggert die Schiffsrinne aus.
Ein paar Flussbiegungen darauf ist es wieder still und auf einer Buhne steht neben einer Gruppe Kormorane ein Schwarzstorch. Er hat einen roten Schnabel, rote Beine und sein Gefieder schimmert, abgesehen vom weißen Bauch, grünschwarz. Ganz ruhig steht er da, ich halte das Paddel still, um ihn nicht aufzuschrecken, und gleite lautlos und ohne ihn zu stören an ihm vorüber.
Am frühen Abend erreiche ich Komárno, wo man auf dem Gelände des Rudervereins neben der großen Brücke zelten könnte, wie der Wasserwanderführer schreibt. Vielleicht, denke ich, kann man dort duschen und vielleicht gibt es sogar eine Waschmaschine, denn mittlerweile habe ich nur noch wenige saubere Sachen, aus dem Wäschesack riecht es muffig und auch der Schlafsack ist schon lange nicht mehr frisch.
Am Strand vor dem Ruderklub, der eher aussieht wie eine Kneipe oder ein kleines Hotel, lege ich an und