Regensburg am Schwarzen Meer. Daniel Weißbrodt
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In einer knappen Woche bin ich 175 Kilometer gefahren. Noch immer habe ich einen leichten Muskelkater in den Fingern und in den Ober- und Unterarmen, aber es tut nicht weh, es ist beinahe nur wie die Erinnerung daran, dass ich seit ein paar Tagen paddle, mich bewege, mich anstrenge.
Mittlerweile weiß ich, wo ich was im Boot verstaut habe, und auch das Be- und Entladen und das Auf- und Abbauen des Zeltes geht schon viel schneller als noch in den ersten Tagen. Ich bin geschleust worden und ich weiß nun auch, dass mich die Wellen der großen Schiffe nicht zum Kentern bringen werden. Mit dem Gaskocher kann ich mir Kaffee kochen und Büchsensuppen warm machen und in den Dörfern kaufe ich mir Milch und Brot, Obst, Gemüse und Wasser. Es macht immer mehr Spaß und ich freue mich, noch zwei Wochen unterwegs zu sein, öffne mir eine Flasche Wein, lehne mich zurück und schaue in den Abendhimmel, trinke und bin ganz und gar zufrieden mit der Welt.
AM MORGEN SCHEINT DIE SONNE, keine Wolke steht am blauen Himmel und noch ist die Luft frisch und kühl, aber auf dem Wasser gibt es keinen Schatten und es ist heiß.
Am späten Vormittag sehe ich kurz vor Obernzell ein in Ufernähe ankerndes Motorboot im Fluss liegen, in dem eine Frau und ein Mann sitzen, etliche Kajaks sind unterwegs und am Ufer stehen zwei Männer und ein paar Kinder unter einem Banner mit der Aufschrift »Start«. Die Kinder in den Booten sind etwa zehn Jahre alt und tragen Schwimmwesten, sie sitzen ganz alleine in ihren Hartschalenkajaks und paddeln mit voller Kraft.
Ein Junge startet auf gleicher Höhe mit mir, er legt sich ins Zeug und versucht mich einzuholen. Ich sehe zu ihm und paddle auch schneller. Seine Klassenkameraden am Ufer feuern ihn an und eine Zeitlang bleibe ich gleichauf, lasse mich dann aber zurückfallen und er gewinnt knapp. Als er die Ziellinie erreicht, legt der Sportlehrer die Hände zum Trichter an seinen Mund.
»Du kannst dir die Silbermedaille bei der Siegerehrung heute Nachmittag um vier auf dem Schulhof abholen!«, ruft er mir zu und klopft dem Jungen, der erschöpft am Steg anlegt und stolz zu mir herübersieht, auf die Schulter. Die Kinder lachen und winken und ich winke zurück und schwenke meinen Strohhut zum Gruß.
In Obernzell dann weiße Häuser mit Lüftlmalerei und hölzernen Balkonen unter roten Ziegeldächern hinter einer Hochwasserschutzmauer aus Naturstein. Eine barocke Kirche reckt ihre beiden Zwiebeltürme in den blauen Himmel und an einem Steg liegt ein schwarzes, altes Fischerboot festgekettet im Wasser, urtümlich wie ein Einbaum.
Die bewaldeten Berge werden immer steiler und höher, der Fluss mäandert durchs Gebirge und ein großes Passagierschiff mit drei Decks kommt mir entgegen. Menschen stehen an der Reling, winken und fotografieren mich.
Statt der bislang üblichen, großen, schwarzgrauen Steinblöcke am Ufer gibt es nun auch immer häufiger helle, fast weiße Strände aus Sand und Kieseln. Eine hölzerne, überdachte Fähre, die »Donaunixe Isa« heißt, pendelt von einem Ufer zum anderen, Motorboote ziehen Wasserskifahrer hinter sich her und neben dem Fluss verläuft der Donau-Radweg. Gruppen von Radfahrern mit Helmen und in bunten, enganliegenden Trikots fahren an mir vorüber. Einzelne Gehöfte, kleine Dörfer und weiße Kirchen liegen am Fuß der Berge zwischen frisch gemähten Wiesen, auf denen vereinzelt alte Obstbäume stehen, und auf den Terrassen der Wirtshäuser sitzen Motorradfahrer in ihren schwarzen, schweren Jacken und Hosen im Schatten großer Sonnenschirme, vor sich ein Weißbier.
An einem Steg lege ich neben Yachten und Motorbooten an, gehe ein paar Schritte das Ufer hinauf und lasse mich vor dem Rasthaus ins Gras fallen, breite die Arme aus, schließe die Augen und bin so erschöpft, dass ich beinahe einschlafe. Das kurze Gras duftet nach Wiese und Erde und kitzelt mich im Gesicht. Eine halbe Stunde bleibe ich so liegen, dann stehe ich auf und fahre weiter.
Die Donau windet sich in der Schlögener Schlinge durch eine felsige und bewaldete Berglandschaft und ein Ausflugsschiff fährt an mir vorüber. »Rousse« steht in lateinischen und kyrillischen Buchstaben am Bug des Schiffes. Ruse, Bulgarien, ist noch 1 700 Flusskilometer entfernt.
AM TAG DARAUF fahre ich am späten Nachmittag an die nächste Schleuse. Ein weißes Motorboot, gut fünf Meter lang, liegt an der Kaimauer und darin sitzen zwei junge Männer und zwei Frauen in orangefarbenen Schwimmwesten.
»In einer halben Stunde kommt ein Schiff«, sagen sie, als ich neben ihnen anlege, »dann bringen sie uns nach unten.«
»Wo fahrt ihr hin?«
»Zurück nach Linz«, sagen sie. »Wir haben nur einen kleinen Wochenendausflug gemacht, nach Passau. Gestern hin und heute zurück. Und du?«
»Aus Regensburg«, sage ich. »Und vielleicht kann ich es bis Budapest schaffen.«
»So weit?«
»Ihr fahrt doch sicher auch oft viel weiter als nur bis nach Passau?«, sage ich. »Mit so einem Motorboot geht das doch bestimmt ganz schnell.«
»Naja.« Sie sehen sich an. »Vor zwei Jahren waren wir mal in Wien und einmal auch in Pressburg. Das ist ja gleich hinter der Grenze. Aber eigentlich machen wir immer nur Wochenendtrips, samstags hin und am Sonntag zurück.«
Der Frachter kommt, das Tor öffnet sich und im Schleusenbecken legen wir je an einer Leiter an und warten.
Ein Mann in blauer Mechanikerkluft kommt auf der Kaimauer zu uns gelaufen.
»Das geht nicht!«, sagt er zu mir. »Ohne Schwimmweste können wir dich nicht schleusen.«
»Warum denn das? Ich brauchte doch bislang auch keine.«
»Das war in Deutschland«, sagt der Mann. »In Österreich haben wir jetzt Rettungswestenpflicht. Letztes Jahr ist hier drin einer ertrunken.«
»Ich kann schwimmen«, sage ich.
»Nein. Entweder du hast eine Schwimmweste oder du fährst wieder raus aus der Kammer. Dann musst du dir eben eine kaufen.« Auf dem Motorboot schwenkt einer der Männer ein orangefarbenes Bündel und winkt mich heran.
»Hier«, sagt er und reicht sie mir, »wir haben noch eine übrig.«
»Danke«, sage ich und hinter uns schließt sich das Tor. Draußen gebe ich ihm die Weste zurück, wir winken uns noch einmal zu und das Motorboot fährt davon. Bald darauf ist es hinter der nächsten Flussbiegung verschwunden.
In dreizehn Kilometern kommt die nächste Schleuse und es sind noch acht Staustufen bis zur slowakischen Grenze. Wo kriege ich jetzt nur eine Schwimmweste her? Außerdem sind die Dinger bestimmt nicht billig, aber es wird schon irgendwie werden, denke ich und fahre erst einmal weiter.
Tiefhängende, graublaue Wolken treiben am Himmel, darunter schnellziehende Fetzen von schwarzgrauen Wölkchen. Auf dem Fluss habe ich, anders als in der Stadt, den Himmel immer im Blick. Ich kann ihm nicht entgehen, ich bin ihm den ganzen Tag unmittelbar ausgesetzt und er spannt sich von Horizont zu Horizont in Blau und in Grau, in Weiß und Rosa, und das Wasser spiegelt ihn, die Sonne wandert von Ost nach Westen und schnell vergehen die Tage. Ich fahre und sehe in die Karte, ich muss mich orientieren und auf den Fluss achten, auf treibende Äste, auf überspülte Buhnen und große Steine, auf die Großschifffahrt und auf die schnellen Motorboote und ihre kleinen, tückischen Wellen, auf Strömungen und Strudel. Das Wasser drückt gegen das Boot, manchmal schlägt es wie mit Fäusten gegen die Gummihaut und drückt gegen das Ruder, das Boot erzittert in den Wellen und gleichmäßig bewege ich das Paddel, links, rechts, links, immer wieder, stundenlang.