Regensburg am Schwarzen Meer. Daniel Weißbrodt
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Читать онлайн книгу Regensburg am Schwarzen Meer - Daniel Weißbrodt страница 9
Dunkle Wolken ziehen tief über die Donau, als ich am Abend an einem kleinen Yachthafen anlege, etwa zwei Kilometer flussabwärts rauscht ein Regen nieder und ich gehe in das Hafenrestaurant und trinke ein Bier, fühle mich aber unwohl in dem sauberen und noblen Restaurant zwischen all den frisch gewaschenen Menschen in teurer Kleidung, trinke das Bier schnell aus und gehe zurück zum Zelt, sitze noch eine Weile auf einer Bank am Ufer und sehe über den Fluss.
WIEN. AM UFER STEHEN HOCHHÄUSER und ein Fernsehturm und ich fahre unter Brücken hindurch, über die Autos und eine Straßenbahn donnern, unter stählernen, hundertfach verstrebten und tausendfach genieteten Eisenbahnbrücken, unter Straßenbrücken aus gewölbtem grauen Beton und unter Hängebrücken, an deren gewaltigen Pylonen unzählige Drahtseile sich auffächern. Am Ufer liegen Kutter und Frachtschiffe, Ausflugsdampfer und ein kleines, graues Militärboot. Ich fahre durch Wien ohne anzuhalten, und am Abend erreiche ich Orth. Auf dem frisch gemähten Rasen steht ein altes, dreistöckiges, weißgetünchtes Restaurant mit einem steilen Ziegeldach und davor ein weitläufig umzäunter Biergarten, links ein Spielplatz mit einem hölzernen Piratenschiff als Klettergerüst und daneben ein paar Biertische und Bänke. Die Wiese neben dem Rasthaus zieht sich entlang des schmalen Nebenarms mehr als hundert Meter am Ufer entlang und ich fahre in die Bucht und lege neben ein paar Fischerbooten an. Einige der Boote sind ganz neu und doch von der gleichen Bauart wie die alten, grauverrotteten, die tief im Fluss liegen, voll Wasser gelaufen und schon halb versunken. Algen und Wasserpflanzen wachsen in den geborstenen Rümpfen.
Mit Kocher, Topf und einer Büchse Bohnensuppe gehe ich zu einer der vielen Bierbänke und mache mir mein Abendbrot warm. Kaum dass ich alles aufgebaut habe, kommt ein Mann in schnellen Schritten über die Wiese gelaufen. Er trägt eine Jeans und ein kariertes Hemd mit aufgekrempelten Ärmeln, er hat ein rotes Gesicht und sieht mich finster an. An seinem Gürtel baumelt ein Geschirrtuch und noch bevor er neben mir steht, fängt er auch schon an zu schimpfen.
»Des kann doch ned wahr sein, des glaub i jetzt ned!«, brüllt er mich an. »Du setzt dich auf meiner Wiesen an meinen Tisch und bringst dir dein eigenes Essen mit! Des ist doch die Höhe, a Frechheit ist des! Bringst mich um meinen Umsatz!«
»Das ist ihre Wiese?«, sage ich. »Das wusste ich nicht.«
»Des alles gehört mir«, schreit er mich an und breitet die Arme aus. »Alles! Wahrscheinlich willst auch noch umsonst hier zelten?«, brüllt er und sieht mich herausfordernd an.
»Ja«, sage ich und deute auf den Waldrand. »Das Zelt steht schon. Dort hinten unter den Bäumen, wo es hoffentlich niemanden stört.« Der Mann macht den Mund auf und wieder zu, sagt aber nichts.
»Ist das da hinten auch ihre Wiese?«, frage ich ihn.
»Ja freilich ist des mei Wiesen«, sagt er, noch immer sehr grimmig. »Des ganze Grundstück gehört mir, des alles hier.«
»Es wird schon dunkel, ich bin mit dem Boot unterwegs und nirgendwo habe ich einen Rastplatz gefunden«, sage ich. »Darf ich hier zelten? Es ist nur für eine Nacht.«
Der Mann schweigt für einen Augenblick.
»Nimm deinen Krempel und verschwind«, sagt er dann und deutet auf den Waldrand. »Bis ganz nach hinten! I will dich hier vorn ned mehr sehn.«
Vor dem Zelt baue ich erneut den Kocher auf, aus dem Altarm steigt Nebel und langsam wird es dunkel.
AM MORGEN WEHT ein leichter Westwind. Das Wasser fließt, ich paddle und komme schnell voran. Am Himmel schweben ein paar kleine, weiße Wölkchen, am Ufer steht Wald und ich höre ein dumpfes Dröhnen, erst leise, dann aber schnell immer lauter werdend. Ich fahre mitten in der mit Bojen ausgetonnten Schiffsrinne, drehe mich um und sehe ein weißes Tragflächenboot, das rasch näher kommt, und paddle so schnell ich kann in Richtung Ufer.
Höre ich das gleichmäßige und beinahe gemütliche Stampfen eines Schiffsdiesels, das ruhig und geradezu beruhigend langsam näher kommt, habe ich immer genügend Zeit, an eines der Ufer zu fahren und den Schleppern, die mit kaum mehr als zehn Stundenkilometern auf dem Fluss unterwegs sind, auszuweichen. Aber nun hat mich das Boot in weniger als fünf Minuten eingeholt und als es an mir vorüberbraust, sehe ich, dass es sich fast ganz aus dem Wasser gehoben hat. Es scheint beinahe auf dem Fluss zu schweben und mit einer Geschwindigkeit von mehr als fünfzig Kilometern in der Stunde fliegt es nahezu über die Donau. Das ist schon etwas anderes als die trägen Dampfer, denke ich und nehme mir vor, in der nächsten Zeit die Schiffsrinne zu meiden und nicht mehr so bedenkenlos die Ufer zu wechseln, zumal der Fluss immer breiter wird und es mittlerweile schon eine gute Viertelstunde dauert, von der einen auf die andere Seite zu fahren.
Das Tragflächenboot verschwindet hinter der nächsten Flussbiegung und auf einem Frachter stehen zwei Männer am Bug, holen die rotweiß-rote österreichische Fahne ein und hissen die weiß-blau-rote Flagge mit dem Wappen der Slowakei.
Felsen stehen am Ufer und eine Libelle hat sich auf der Spritzdecke niedergelassen. Sie sitzt da, blassgrün, schwarz und dick, und fährt mit mir von Österreich in die Slowakei.
Wieder macht sich die Grenze am Ufer nicht bemerkbar, auch die Zollabfertigung, von der der Wasserwanderführer schreibt, scheint es nicht mehr zu geben und auf einer Anhöhe hinter den Hügeln sehe ich am Horizont schon die Silhouette der Burg von Bratislava.
Jetzt also beginnt der sogenannte Osten, wie in Deutschland der Einfachheit halber alles genannt wird, was jenseits von Oder und Bayerischem Wald liegt. Archaisch soll er sein, wild, korrupt und gefährlich, unberechenbar und kriminell, aber gastfreundlich und herzlich die Menschen, die dort leben.
Die wildesten Geschichten werden über ihn erzählt und alles scheint es dort zu geben, einfach alles – außer Alltag und Normalität. Ich bin zum ersten Mal in der Slowakei und obwohl die Landschaft sich nicht verändert hat, obwohl die gleichen grauen Felsen auf grünen Hügeln stehen und die gleichen bewaldeten Berge am Ufer liegen wie in Österreich, obwohl sich der gleiche blaue Himmel von Horizont zu Horizont spannt, scheint sich irgendetwas verändert zu haben. Ich weiß nicht, ob es der kleine, gelb gestrichene, zweistöckige Flachbau am Ufer ist oder der Angler, der in kurzen Hosen auf einer schräg im Wasser liegenden Betonplatte steht, ob es die Kräne am Horizont sind oder die Plattenbauten auf dem Hügel, aber ich fühle mich ganz und gar nicht fremd, sondern eher beinahe so, als käme ich nach langer Zeit wieder zurück nach Hause. Zu sehr erinnert mich all das an den Osten Deutschlands in den neunziger Jahren oder an Tschechien.
Vor etwas mehr als zehn Jahren habe ich in Südmähren als Deutschlehrer gearbeitet, in dieser Zeit habe ich die Sprache gelernt und auch wenn ich Vieles schon wieder vergessen habe, so werde ich mich doch wenigstens einigermaßen verständigen können, denn Tschechisch und Slowakisch sind eng miteinander verwandt.
Links unter der Burg liegt das Zentrum von Bratislava und am rechten Ufer sehe ich eine flach ins Wasser abfallende Betonrampe und lege an. Neben dem schmalen Uferweg steht das Tor in einem mannshohen Maschendrahtzaun offen und daneben hängt ein Schild, »veslársky klub«, Ruderklub, und ich gehe hinein.
Zwei etwa vierzigjährige Männer in kurzen Hosen und mit freiem Oberkörper sitzen im Schatten eines zweistöckigen Flachbaus auf Liegestühlen neben einem Klapptisch und ich erzähle ihnen woher ich komme und dass ich einen Zeltplatz und möglichst auch eine Dusche suche.
Einer