Das Duell des Herrn Silberstein. Horst Bosetzky
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Читать онлайн книгу Das Duell des Herrn Silberstein - Horst Bosetzky страница 10
Aaron Silberstein wusste es. »Ja, unser lieber Dr. Stieber. Und gleich nachdem er in Berlin Polizeidirektor geworden ist, Hinckeldeys rechte Hand, hat er alle verhaften lassen, die Kalabreserhüte aufhatten, weil er geträumt hatte, daran würde man die Revolutionäre erkennen.«
»Die nächste Revolution wird etwas auf sich warten lassen«, sagte Blumenow. »Erst wird es ein paar Kriege geben. Preußen als Großmacht – wie soll das gut gehen?«
Aaron Silberstein winkte ab. »Du, es gibt schlimmere Länder.«
Blumenow lachte. »Wenn du Glück allein als die Summe des Unglücks verstehst, dem man entgangen ist, dann schon. Aber wenn man unser Dasein an den Utopien misst, an Bacon, Morus, Campanella … Ich kämpfe jedenfalls dafür!«
»Und ich bin der Advokat, der dich dann wieder aus dem Gefängnis holt.«
Damit verabschiedeten sich die Freunde, und Aaron Silberstein machte sich daran, die letzten Meter bis zum Eingang seiner kleinen Kanzlei zurückzulegen. Das Fenster war etwas geöffnet, und er sah Menuchim Halbleib, seinen Schreiber und Gehilfen, weit nach vorn gebeugt am Pult stehen und eifrig die Feder ins Tintenfass tunken, um lange Sätze zu Papier zu bringen. Er liebte den alten Kauz, der alleinstehend war und eine kleine Wohnung in der nahen Sperlingsgasse gemietet hatte. Sie begrüßten sich und besprachen einen Rechtsstreit, bei dem es um das Zugangsrecht zu einer Wiese am Stralauer Thor ging. Gerade wollte er sich in sein kleines Bureau zurückziehen, da stand Katharina Rosentreter in der Tür. Er eilte auf sie zu.
»Ist dein Vater wieder … hat er sich wieder …« Er stockte, weil er das rechte Wort so schnell nicht fand. »Angefunden« hätte merkwürdig geklungen.
»Nein.« Katharina Rosentreter setzte sich auf den Besucherstuhl.
»Dürfen wir Ihnen etwas reichen, mein Fräulein?«, fragte Halbleib mit einer so tiefen Verbeugung, dass es in seiner Wirbelsäule hörbar knackte.
»Danke, mir ist jeglicher Appetit vergangen.«
»Vielleicht ein Glas Wasser?«
»Nein, erst wenn ich in Ohnmacht falle.«
Aaron Silberstein setzte sich neben sie, dabei aber um so viel Abstand bemüht, dass kein Außenstehender auf die Idee kommen konnte, hier würden Brautleute miteinander plaudern. Nichts drängte ihn auch, ihr nahe zu sein und ihren Körper zu umfangen. Zu hager und knochig war sie ihm und roch irgendwie nach Mottenpulver statt nach Pariser Parfum. »Wenn ich dir irgendwie helfen kann …«
»Bei der Polizei haben sie mich sehr herablassend behandelt.«
»Ich muss nachher sowieso zur Polizeidirektion, da werde ich sehen, was ich für dich tun kann. Wann hast du ihn denn zum letzten Mal gesehen?«
Katharina Rosentreter überlegte einen Augenblick. »Am Dienstagnachmittag gegen drei. Da ist er aus dem Haus gegangen. In dringenden Geschäften. Mehr hat er mir nicht gesagt.«
»Und du kannst dir auch nicht denken, zu wem er wollte?«
»Nein, darüber hat er nie mit mir gesprochen. Und an wen er Geld verliehen hat, das steht in einer dicken Kladde, die er immer in seinem Rock stecken hat.«
Halbleib drehte sich zu ihnen herum. »Eine Reise hat er nicht antreten wollen?«
»Nein, nicht dass ich wüsste.«
Die Sache war mysteriös, und Aaron Silberstein konnte sich keinen Reim auf Rosentreters Verschwinden machen. Er wusste nur: Geldverleiher wie er leben stets gefährlich.
DIE FÜNFZIGERJAHRE des 19. Jahrhunderts waren geprägt vom Scheitern der deutschen Revolution von 1848. Die Blütenträume vom liberalen Verfassungsstaat waren ausgeträumt, die Reaktion hatte auf ganzer Front gesiegt. König Friedrich Wilhelm IV. indes war, bedingt durch seine Geisteskrankheit, immer weniger in der Lage, das Land zu regieren. Es verfiel in eine Art Winterschlaf.
In Berlin hatte sich die demokratische Linke, organisiert in der »Volkspartei« und den »Demokratischen Volksvereinen« und mit Benedikt Waldeck als Galionsfigur, nach Aufhebung des Belagerungszustandes zunächst noch halten können, doch dann sorgten insbesondere ein Knebelgesetz vom 11. März 1850 und die »Revidierte Städteordnung« vom 30. Mai 1853 für den Kahlschlag. Die Polizei erhielt ein erheblich erweitertes Kontrollrecht über die politischen Vereine und ihre Versammlungstätigkeit, und der Innenminister Ferdinand von Westphalen erklärte 1851, es sei die Pflicht der Behörden, allen bekannten Führern der Demokratie »eine besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden und nach Befinden der Umstände mit Haussuchungen, Beschlagnahme der Papiere und nötigenfalls Verhaftungen vorzugehen«. Besonders starken Repressionen waren die Oppositionellen in Berlin ausgesetzt, wo der Polizeipräsident Karl Ludwig v. Hinckeldey herrschte.
Die Berliner Polizei hatte 1848 anfangs die Revolutionäre unterstützt, war aber dann zur königlichen Armee übergelaufen, nachdem diese die Oberhand gewonnen hatte. In den Folgejahren hatte sich die Königliche Schutzmannschaft zwar redlich bemüht, die öffentliche Ordnung zu hüten, ihr dringlichstes Ziel aber war es gewesen, sich dem Heer anzugleichen. So trug man seit 1850 Pickelhauben, die den Helmen der Soldaten ähnlich waren. Auch die Polizei stand ja einem gefährlichen Feind gegenüber: der Verbrecherwelt.
Das Königliche Polizeipräsidium befand sich am Molkenmarkt 1, also im Gebäude der Stadtvogtei, und dorthin lenkte Aaron Silberstein seine Schritte. Wie immer betrat er das Gebäude mit unguten Gefühlen, so als würde er sich selber dem Henker ausliefern. Aber ab und an ließ sich ein Besuch in diesem Haus nicht vermeiden, wollte er herausbekommen, wie sich die Dinge für seine Klienten entwickelten. Weit kam er diesmal nicht, denn der Wachhabende drängte ihn in eine Nische. Es war Platz zu schaffen für den Polizeipräsidenten, der gerade mit großem Gefolge die Treppe herunterkam. Nicht mehr als drei Meter mochten Aaron Silberstein von Hinckeldey trennen. Hätte er jetzt eine Pistole bei sich gehabt … Er klammerte sich an eine Säule, um nicht unwillkürlich nach vorn zu stürzen und sich auf den so sehr Gehassten zu werfen. Der Anfall ging vorüber, und er besann sich des Grundes seines Besuchs. Aus seiner Studienzeit kannte er noch den einen oder anderen Beamten, und er ließ sich melden, um ein wenig mit ihnen zu plaudern. So bekam er schnell heraus, wen man mit den Nachforschungen im Fall Rosentreter betraut hatte: »den Schlötel«. Aaron Silberstein verzog das Gesicht, dankte für die Information und machte sich auf den Weg zum Kommissarius.
Ernst Theodor Schlötel stammte aus Fürstenberg an der Havel und war als königlicher Feldwebel zur Polizei gekommen. Er war groß gewachsen und dabei eher hager. Kantig wie sein Schädel war auch seine Art. Sein weizenblondes Haar trug er kurz geschoren, sodass manche es mit einem Stoppelfeld verglichen. Als wortkarg und vierschrötig galt er, und eine lockere Konversation hielt er für eine »welsche Sache«, eines preußischen Beamten unwürdig. In einem ordentlich geführten Staate hatte man mit allem sparsam umzugehen, auch mit seinen Worten. Nur bei der Ausschüttung seines Samens war er verschwenderisch vorgegangen: Er hatte nicht weniger als acht Kinder gezeugt. Die hatten bald begonnen, jeden Tag eine kleine Untat zu begehen, und bei deren Aufklärung hatte er seine ersten Erfahrungen als Kriminaler sammeln können. Wer etwa hatte die Haselrute des Lehrers heimlich