Streben nach der Erkenntnis. Klaus Eulenberger

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Streben nach der Erkenntnis - Klaus Eulenberger страница 16

Streben nach der Erkenntnis - Klaus Eulenberger

Скачать книгу

die ich damals als Junge auf dem Bauerngut hatte, verfolgen mich heute noch als Erwachsener. Wenn ich dieses Bild sehe, werde ich immer ganz niedergeschlagen, denn das war das Ende, das eindeutige Ende von Opas einigermaßen geordnetem Leben. Viel später – da war ich schon fünfzehn Jahre alt – erfuhr ich von meinen Eltern, dass Opa in ein Heim für Behinderte, wie sie es nannten, eingeliefert worden sei. Sie wollten mir auch erklären, weshalb dies notwendig geworden war. Entrüstet und beleidigt winkte ich nur ab. „Die Zusammenhänge sind mir schoooon bekannt.“ In meinem Berufsleben war ich zuletzt fast zwanzig Jahre als Bauunternehmer tätig. Da hatte meine Firma einen Auftrag erhalten, zwei Häuser an der Außenfassade in der Oberlausitz, im Krankenhaus Großschweidnitz, zu sanieren. Vom Auftraggeber wurde ich informiert, dass diese Gebäude als Irrenanstalten gebaut worden waren und noch in Funktion sind. Sie waren generell denkmalgeschützt und es gab sehr, sehr viele in Gesamtdeutschland. Dort erfuhr ich auch, dass die Patienten mittels Schocktherapie (Elektroschocks) behandelt werden. Ich fragte nach, weshalb dies erfolgen würde, und bekam von einem lustigen Menschen die flapsige Antwort: „Na, damit sich die Synapsen im Kopf, welche offensichtlich alle etwas verrückt sind, wieder ordnen!“ Ich konnte diese lustige Bemerkung nicht so heiter einordnen, da ich an unseren Opa denken musste und außerdem erfahren hatte, dass manche durch die stupide Behandlung in diesen Heimen erst verrückt gemacht wurden, obwohl sie einigermaßen normal hineingekommen waren. Nachdenklich und bedrückt dachte ich so für mich: Die bringen hier in der Irrenanstalt die Synapsen der Patienten in Unordnung, diese Schweine! Mein Onkel Heinel, mit dem ich in den letzten fünf Jahren seines Lebens (er wurde neunzig Jahre alt) im Briefverkehr stand und öfter telefonierte, wurde bei meinen Schilderungen über die Einlieferung seines Vaters unruhig und machte sich große Vorwürfe. „Weißt du, Klaus, ich habe mich viel zu wenig um meinen Vater gekümmert! Gib mir doch mal die Adresse und die Telefonnummer von Hochweitzschen!“ Allerdings musste ich meinen Onkel auf Folgendes hinweisen: „Onkel Heinel, der Opa ist aber ja nun schon lange tot und du kannst ihm jetzt kaum noch was Gutes tun!“ Ich schilderte ihm auch, dass mein Vater Opa einmal in dieser Anstalt besuchte. Dabei kam es zu folgendem Vorfall. Nachdem sie sich ein wenig unterhalten hatten, ging Opa mit seinem Kopf ganz nahe an meines Vaters Ohr und flüsterte aufgeregt: „Herbert, ich weiß genau, wo hier der Ausgang ist. Da können wir beide abhauen! Herbert, komm schnell, damit es ja niemand merkt!“ Als ich diese Bemerkung von Opa aus meines Vaters Mund hörte, kam wieder kurzzeitig die alte Stimmung und Empörung, die aber längst einer tiefen Traurigkeit gewichen war, da alles ja ohnehin keinen Sinn mehr hatte und Vergangenheit war, wieder in mir hoch. Selbstverständlich teilte ich auch meinem Onkel die letzten Sätze seines Vaters mit.

      Onkel Heinel war mit seiner Familie bereits umgezogen, Tante Friedel mit ihrer ebenfalls – nun stand das Gleiche für uns an. Meine Eltern informierten mich, dass wir ins Mitteldorf umziehen würden. Ich nahm es zur Kenntnis. Noch heute wundere ich mich, wie gleichmütig, willig, ich solche Veränderungen als gottgegeben zur Kenntnis nahm. Aus heutiger Sicht war ja damit ein äußerst wichtiger Lebensabschnitt zu Ende gegangen. Als Baby war ich Städter in Chemnitz und wurde urplötzlich ein Dorflude auf einem Bauernhof mit völlig anderen Abläufen als in der Stadt. Ich lernte kennen, wie Tiere versorgt werden, wie man Milch gewinnt und diese an eine Molkerei abliefert, genauso, dass Hühner Eier legen, wie gesät, geerntet und weiterverarbeitet wird. Mit dem Einsatz der Kriegsgefangenen hatte ich auch begriffen, wie Menschen mit anderen umgehen und sie ausnutzen. Es war schon eine geballte Ladung an neuen Dingen, Wissen und Erfahrungen, die ich kennenlernen durfte. Das Wesentlichste war sicherlich die Erkenntnis, wie hart Menschen arbeiten müssen, um für sich und andere der Natur Lebensmittel abzugewinnen. Es war aber auch interessant und schön, diesen Prozess zu erleben. Ohne diese philosophischen und theatralischen Betrachtungen anzustellen, verabschiedete ich mich von unserem Bauerngut. Dies tat ich relativ nonchalant, da ich als Kind die Bedeutung dieses Abschnittes noch nicht ermessen konnte. Ich ging zu meiner Lieblingskuh Elsa, drückte ihren Kopf an den meinen, hörte ihr freundliches Brummen und Schnaufen und wischte mit der Hand die paar Spritzer und den Schleim ab, den ich bei diesem freundlichen Akt von ihr abbekommen hatte. Das war meiner guten Elsa scheinbar zu wenig, denn plötzlich schleckte sie, wie in alten Tagen, mein Gesicht von unten nach oben zweimal ab. Mutti, gut, dass du es nicht sehen konntest. Das gehört nun aber eben mal zu einem so lieben Abgang dazu. Zum Abschied klopfte ich ihr noch einmal auf ihren mächtigen Hals. „Lebe wohl, meine gute Elsa!“ Bei meinem Verabschiedungsrundgang besuchte ich auch die Hühner, an der Spitze Huppenan, den es immer noch gab. Als er mich sah, ging er mit dem Kopf wieder stark nach unten, breitete die Flügel aus und demonstrierte mit diesem düsenflugzeugähnlichen Aussehen seinen ungebrochenen Angriffswillen. Ich ging schnell zur Seite. Er beruhigte sich. Natürlich war ich vor allem bei Schimmel und Lore, welche ich übermächtig liebte, vor denen ich aber immer noch Angst wegen ihrer übermächtigen Größe hatte. Ich brachte es gerade fertig, sicher mit sehr ängstlichem Gesicht, beide etwas am Kopf, links und rechts ihrer großen Nase, zu streicheln. Dies gelang mir aber nur, weil ich im Nachbarstall auf einen Schemel gestiegen war und von dort, durch eine Mauer getrennt, diesen meinen Liebkosungsakt ausführen konnte. Als ich zur Tür hinauslief, ging Schimmel mit den Vorderläufen in die Höhe und wieherte wild. Nun wurde mir doch etwas arg traurig ums Herz und ich überlegte, wie ich den beiden noch etwas Gutes tun könnte. Also ging ich zu Frau Kornblume in die Küche, holte mir eine große fette Möhre, zerteilte diese in der Mitte und ging noch einmal zu Schimmel und Lore. Das Spüren der weichen Lippen, ihres Atems sowie das leichte Schmatzen, als sie die halbe Möhre von meiner flachen Hand aufnahmen und verschnurbsten, tat mir richtig gut. In der Tür drehte ich mich noch einmal um und sah, dass mir die beiden äußerst interessiert mit nach vorn stehenden Ohren nachschauten. Jetzt ging es mir doch mächtig an meine Kinderseele. Allerdings überlegte ich mir, dass ich doch häufig hier sein würde, um Erik zu besuchen. Vor allem musste ich Tante Frida und Oma betreuen. Ich besuchte auch die Schweine, die mich, wie immer, schmatzend und grunzend lautstark begrüßten, aber auch die Tauben unterm Dach, um die ich mich eigentlich fast nie gekümmert hatte. Ihr Gurren war mir allerdings sehr vertraut und beruhigte mich immer sehr. Als ich über den Hof ging, stürzte sich ein Gänserich auf mich, vor dem mich aber Tell schützte, indem dieses kleine, tapfere Kerlchen einen Gegenangriff startete. Ich bedankte mich bei Tell für sein immer freundliches Wesen mir gegenüber, was er mit heftigem Schwanzwedeln, starkem Gebell und ständigem Hin- und Herspringen freudig quittierte. Zum Dank gab ich ihm einen Kuss auf die Stirn, was ich bei Opa schon einmal beobachtet hatte. Dann waren die Menschen dran. Ich drückte Erik die Hand. „Wir sehen uns ja dann in der Schule“, und verabschiedete mich von seiner Mutter. „Alles Gute für Sie, Frau Kornblume.“

      „Komm doch mal her, Klaus, jetzt drückst du mich noch einmal tüchtig und jetzt esst ihr beiden erst einmal jeder euer Butterbrötchen, was ich euch gemacht habe, und trinkt die heiße Milch. Eine Forelle konnte ich dir jetzt nicht braten, vielleicht fängst du nochmal eine und bringst sie mir. Uns würde es sehr gefallen, wenn du öfter einmal zu uns reinschaust. Du wirst sowieso häufig bei Tante Frida und bei deiner Oma sein und da freuen wir uns dann, wenn du uns besuchst. Wie gefällt es dir denn in eurem neuen Zuhause?“

      „Na ja, ganz gut, ich hab auf alle Fälle einen kürzeren Weg zur Schule.“ Als ich nun, mit den besten Wünschen von Frau Kornblume versehen, von der Küche durch den Flur, zur Haustür hinaus, über den Hof und dann durch unser (was heißt hier unser – Kornblums hatten das Gut gepachtet) Holzbogentor lief, wurde mir doch etwas blümerant, unwohl und schmerzvoll ums Herz. So würde ich zumindest heute als Erwachsener meine damaligen Gefühle als kleiner Knirps von acht Jahren beschreiben.

      Unsere neue Bleibe war direkt neben dem Mittelgasthof und der Fleischerei Leistner gelegen, nur einhundert Meter entfernt vom Dorfteich, auch Schenkteich genannt. Gleich dahinter war der Fußballplatz; ein Rasenplatz, zumindest dort, wo Rasen war. Meist waren aber nur ziemliche Erdlöcher zu sehen, mit einem Wort – es war ein Huckelplatz par excellence, wo man große Chancen hatte, sich die Fußgelenke zu brechen. Unser neues Haus befand sich auf einer ziemlichen Anhöhe, direkt vor dem erwähnten Fußballplatz, welche über einen ziemlich steilen Anstieg, der schräg von dem Vorplatz des Mittelgasthofes abging, zu erreichen war. Von unserem Haus hatten

Скачать книгу