Streben nach der Erkenntnis. Klaus Eulenberger
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„Na ja, meine gute Gretel, du hast schon Recht, aber denke einmal daran, welche Entbehrungen wir in der Kriegszeit hatten und außerdem – wenn ich manchmal an meine Kameraden denke, die dieses Inferno nicht lebend bzw. nicht in voller Gesundheit überstanden haben, werde ich ganz traurig und bedrückt. Wir können ja froh sein, dass ich überhaupt einigermaßen gesund aus diesem fürchterlichen Krieg zurückgekommen bin. Stell dir nur mal vor, ich wäre bei Stalingrad eingesetzt worden. Das Leid dort war unermesslich groß. Von 300.000 deutschen Soldaten wurden 90.000 gefangen genommen und von diesen kamen vor einem halben Jahr nur 9000 zurück.“
„Bei Gott, mein liebes Herbert’l, ich denke genauso wie du. Ich bin so glücklich, dass ich dich wiederhabe und denke einmal an unseren Klausmann – wie wichtig das ist, dass er seinen Vati zurück hat.“ Auf alle Fälle musste ich wieder einmal zum Simonbäcker und zum Fleischer Leistner, was Gott sei Dank ja gleich nebenan war. Inzwischen hatte ich eine große Errungenschaft und zwar ein 28er Fahrrad mit Vollgummibereifung. Mein Vater hatte dieses Rad irgendwoher besorgt – es fehlte aber die Bereifung. Nun kam aber ein Glücksumstand dazu. Vater war ja bekanntlich Einkäufer. Offensichtlich war aber selbst für ihn in der günstigen Situation, an der Quelle zu sitzen, dies in der damaligen Zeit recht schwierig. Eine Gummibereifung mit Schlauch war einfach nicht zu besorgen und Vater war glücklich, mir diese Vollgummilösung präsentieren zu können. Er kam mit dem strahlendsten Lächeln der Welt mit seiner ILO nach Hause und hatte vier Meter von diesem Hartgummi als Ring um Hals und Schultern zu hängen. Wir schnitten das dann auf die exakte Länge, wobei wir unheimliche Probleme mit dem Trennvorgang hatten. Ich erinnere mich noch gut an die vielen fruchtlosen Versuche, wo ich das Gummiding mit den Händen halten musste, dieses aber nicht recht zu Wege brachte, da bei dem versuchten Schnittvorgang immer viel zu viel seitliche Kräfte auftraten, die mir den Gummi aus den Händen rissen. „Klaus, verdammt nochmal, halte doch nun endlich mal den Gummiring fest! Man merkt eben doch, dass du noch ein ziemlich kleiner Junge bist. Dir fehlen halt noch die großen Muskelpakete!“ Angesäuert schaute ich auf Vati. „Verfügst du über die großen Muskeln, Vater?“ Er hielt inne, hob energisch den Kopf und ich sah schon, wie sich die Zornesader anfing zu formen. Nun sah er in mein zartes Kindergesicht, welches deutlich zeigte, dass ich mich sehr angestrengt und bemüht hatte. Ihm wurde sofort klar, dass er falsch lag und dass ich schon alle meine Kraft eingesetzt hatte. Ich bin überzeugt, dass seine enorme Liebe und Anhänglichkeit zu mir sofort das in die Zornesader fließende Blut zurückbeorderte. Er lachte freundlich und lieb zu mir. „Ist schon gut, Kumpel. Hast ja dein Möglichstes getan. Warte ab, wir schaffen das! Ich gehe mal zum Herrn Woitanowsky, der hat doch einen Schraubstock.“ So wurde dann der Protagonist fest in diese eiserne Zwangsjacke eingespannt (ich musste nicht mehr halten) und mit einer Eisensäge exakt zertrennt. Dann mussten die Enden noch mit Eisendraht fest miteinander verbunden werden. Dazu mussten seitlich Schrauben in den Gummi hineingedreht werden, welche dann durch den Eisendraht miteinander fest verzurrt wurden, indem wir die Enden des Drahtes mit einer Zange fest verdrehten. Dieses musste aber rechts und links des Gummiringes passieren und zwar so, das Schrauben und Draht nicht mit der Straße in Berührung kommen konnten. Wir hatten also damit eine ganz schöne Aufgabe. Es dauerte über zwei Stunden – dann konnte ich losradeln. Es war natürlich bei weitem nicht so komfortabel wie bei einer Luftbereifung. Es polterte und rumpelte in einem fort und wenn die Stoßstelle die Straße berührte, gab es ein derbes Pipp, Popp – man muss sich aber im Klaren sein, dass dieses Pipp, Popp jeweils für Vorder- und Hinterrad galt. Also radelte ich mit ständigem Gerumpele und fortwährendem Pipp, Popp, Pipp, Popp zum Simonbäcker und wieder zurück. Natürlich war das auch viel anstrengender, da die Reibung zwischen Vollgummi und Straße offensichtlich stärker war als bei Luftbereifung. Spott gab es natürlich auch – von wem sonst, als dem Escher, Elmar. Wenn die Eule mit dem Vollgummi zum Simonbäcker springt und die Wurscht verschlingt … Er versuchte mich, wie üblich, aufzuhalten, was ihm aber nicht gelang, da ich voll auf ihn zu fuhr und drei Meter vor ihm einen ziemlichen Haken mit meinem Superfahrrad schlug. Schlagartig wurde mir wiederum klar, wie sehr mir Lothar und seine Unterstützung fehlte. Es war ja aber leider nicht mehr zu ändern – die wunderschöne Zeit der Großfamilie auf dem Bauerngut Straßburger war eben passé.
Der Sonnabendabend mit dem geplanten Essen rückte immer näher und die Hektik in der Küche und vor allem bei Mutti nahm immer mehr zu. Als ich in der Stube Schularbeiten machen wollte, ergab sich, dass dort eingedeckt werden musste und so war auch dieser Arbeitsplatz für mich im Moment nicht nutzbar. Also ging ich zum Klose, Günther und wir stromerten durch die Gegend. Schmutzig und verdreckt kam ich nach Hause und wurde sofort mit unwilligen Vorwürfen, sowohl von Mutti als auch Vati, überschüttet. „In einer Viertelstunde kommen unsere Gäste und du siehst aus, Klausmann, wie durch den Schlamm gezogen. Wasche dich sofort, zuvor musst du aber deine verdreckten Sachen ausziehen und die Schuhe im Wasserbad abbürsten!“ Es war wieder einmal Hektik und ich schmollte. „Muss das sein? Immer diese blöden Gäste! Nichts kann man mal in Ruhe tun, nicht mal die Schularbeiten erledigen!“ Etwas hektisch, aber trotzdem freundlich schaute mich mein Vater an. „Sohnemann – sonst bist du doch auch nicht so übereifrig im Erledigen deiner Hausaufgaben. Sollte dies jetzt ein neuer, schöner Beginn auf diesem Gebiet sein? Mich würde es sehr freuen!“ Ich schaute ihn an, dachte nach und mir war absolut klar, dass mich Vater ein klein wenig oder doch etwas mehr auf die Schippe nahm. Also knurrte ich nur etwas vielsagend vor mich hin und schwieg. Das erschien mir am Schlauesten. Vater hatte aber gar keine Zeit mehr und hetzte der Restaurantchefin und Oberkellnerin Mama hinterher, mit dem Ziel, all das in der verbleibenden Viertelstunde zu schaffen, was sie sich vorgenommen hatten, bis die Gäste eintreffen. Dazu kamen sie aber nicht mehr, denn plötzlich donnerte es (mir kam es vor wie mit zwei Fäusten) an unsere Wohnungstür. „Klaus, schau mal nach und öffne die Tür!“ Ich öffnete. „Tachchch, ich weiß, ich bin etwas zu früh, aber ich bin ja an den Bus gebunden!“
„Guten