Maschinenkinder. Frank Hebben
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Rhombus setzte die Pfeife ab.
»Na, so richtig schlimm ist es aber an der Front gewesen. Die alten Kriegswaffen aus Stahl haben wir ja noch geknackt, aber als dann Artillerien und auch die Tanks aus Teutonium waren … Um diese Monster zu kriegen, musste man schon dicht ran: denen auf den Pelz rücken und fettbeschmierte Haftgranaten anbringen, sonst half da nichts; die Tellerminen im Boden noch, auch wenn oft nur die Panzerketten zerbrachen. Ein feines Morden hat das gegeben, mein Junge; so viele Soldaten, die bei den letzten Großangriffen auf den Feldern totgeschossen wurden, nur um ein paar lumpige Maschinen zu sprengen. Da grub man sich lieber ein wie ein Maulwurf und blieb im Schützengraben hängen, bis sich dann überhaupt nichts mehr regte. Furchtbar ist das gewesen. Stille über dem Land. Sie haben zwar neues Spielzeug für uns Soldaten gemacht, ein Panzerhemd aus Teutonium oder gleich die Büchse, wie sie im Graben hieß, eine Art Ritterrüstung. Weißt du, was das ist?«
»Die kenne ich«, sagte Paul, der auf seinem Hintern hin und her rutschte. »Standen in Burgen herum.« Wo hatte er die gesehen? In einem Märchenbuch?
Rhombus schnaufte. »Der modernste Krieg, den die Welt gesehen hat, und wir, die Frontschweine, stapften im Harnisch durch die Bombentrichter. Ein Witz war das! Und nutzlos obendrein, weil einen das schwere Gerät in den Schlamm runterzog oder Schrapnelle zwischen die Platten pfiffen; und wenn erst Feuer oder Ätzgas wehte …«
Ehe er weitersprach, ließ Rhombus seinen Blick über die Plattform gleiten: Lisa hatte die Gemüsebeete verlassen, um Kleidung von einer Leine zu holen; neben dem Wäschekorb spielte Ludwig mit einer alten grauen Wollsocke.
»Nun ja, wie dem auch sei. Eine Weile blieben die Fronten wie eingefroren, bis der Feind uns endlich das Remis anbot, wie man beim Schach so sagt, wenn es keinen Sinn hat, die Partie überhaupt noch weiterzuspielen. Tja. Und ohne Sieger war der Krieg dann vorbei gewesen. Meine Güte, was haben wir Soldaten geflucht: tausende Kameraden verloren, für nichts und wieder nichts. Alle tot. Das war schon was …«
»Erzähl mir doch mehr«, bat Paul, weil Rhombus eine Weile nur schweigend dagesessen hatte, dicke Wolken paffend, bis das Kraut ganz verkohlt war. »Wann wurden die Kuppeln gebaut?« Kurz warf er einen Blick nach oben: Kaum Licht drang heute durch die Asche. An manchen Tagen fiel Kondenswasser, das sich an den Scheiben sammelte.
»Ach, das willst du auch noch wissen«, murrte Rhombus und klopfte Asche aus dem Pfeifenkopf, worauf er neuen Tabak aus der Dose zupfte. »Bloß weil du gestern den Orden gekriegt hast, glaub nicht, dass ich dir alles hinlege.«
»Aber ich will es jetzt hören«, drängte Paul und setzte sich aufrecht hin. Nie erklärte der Alte etwas: Warum die ganzen Leute tot waren, seine Eltern und alle, und weshalb sie das Lichtwerk bauten. Gemein war das!
»Bengel, ruhig. Das ist zu schwer für dich.«
»Denkst du, ich bin dumm?« Paul klang, als ob er Treppen hochgerannt wäre. »Der kleine blöde Junge, der immer deine Sachen herholt. Aber weißt du was? Das will ich gar nicht mehr machen!« Er schluckte, als ihm die Tränen kamen; schnell mit dem Ärmel abgewischt.
»Schon gut, Paul.« Unbemerkt hatte Lisa die Wäscheleine verlassen und stand nun dicht bei ihm, den Korb an ihren Bauch gedrückt. Zu Rhombus gewandt, sagte sie: »Du hast doch selbst gesagt, dass er groß genug ist.«
»Zu schwierig, Mädchen.«
»Ist es nicht. Und das weißt du auch.«
Rhombus ließ die Schultern hängen.
»Komm schon«, sagte Lisa lächelnd und stupste ihn mit dem Knie an. »Jetzt gib dir einen Ruck.«
»Nun denn.« Das Auge klackerte im Gehäuse, sobald er Paul, dann Lisa ansah: Beide nickten ihm aufmunternd zu. Also schob er seine Pfeife in den Mund, holte ein Zündholz aus der Tasche – und nachdem der Tabak brannte, fuhr er fort:
»Zähneknirschend wurden die Fronten geräumt, und wir sind nach Hause. Ein paar traurige Paraden haben sie abgehalten, ein paar Denkmäler gebaut, und dann kam der Wiederaufbau. Dem Feind hatte man nicht viel zu sagen, es gab ja keinen echten Verlierer, und so musste auch niemand auf gut Wetter machen und Kriegsschulden tilgen oder den Witwen und Waisen das Brot in den Rachen stopfen. Natürlich war der Zorn noch lange nicht weg, auch wenn der Kaiser und die Herren Generäle von Reue und Frieden daherschwafelten, aber im Volk brodelte es ganz gewaltig: Nach Rache und Vergeltung schrien sie in den Wirtsstuben und schlugen mit der Faust auf den Tisch. Die Ehre retten! Aber keiner wusste, wie das angehen sollte … Der Krieg hatte sich selbst aufgefressen.«
»Das war ganz leicht«, strahlte Paul und schnipste mit den Fingern, um den Hund herbeizurufen – und Ludwig trottete los, die zerfetzte Socke im Maul.
Rhombus schaute verärgert drein. »Sei still und stell die Lauscher auf.«
»Aber ich hab doch bloß –«
»Und dann!«, Rhombus Mundwinkel zuckten, »ging eines Tages das Gespenst von der Bombe um. Die ganzen Gerüchte, auf die man natürlich nichts gab, alles nur Waschweibgeschwätz und feindliche Propaganda, was auch immer; machte den Leuten trotzdem eine Heidenangst. Sie sollte anders sein als alle anderen Waffen, die wir kannten; könne die ganze Welt aus den Angeln heben, mit einer rätselhaften Kraft, vor der man selbst im tiefsten Bunker nicht mehr sicher ist. Alsbald tauchten Photographien auf, unscharfe Bilder, die unter der Hand herumgezeigt wurden, von Industrien und diesen neuen Raketenstützpunkten, wo sie angeblich hergestellt werden sollte. Dann stand es in der Zeitung und kam im Rundfunk, und plötzlich war es offiziell: Der Feind baute eine Überwaffe, um uns mit einem gezielten Schlag ein für allemal auszulöschen und –«
»… dann wurden die Kuppeln gebaut!«, platzte es aus Paul heraus; er schlug die Hände vor den Mund.
»Unterbrich mich nicht, verdammt noch eins«, donnerte Rhombus, dass Paul den Kopf einzog. »Weh dir, du spielst mit deinem Leben, Freundchen.«
»Du alter Griesgram.« Lisa kicherte leise, presste den Korb an die Hüfte.
»Ihr raubt mir den letzten Nerv, ihr zwei.«
»Ist dir nicht gut?«, wollte sie wissen.
»Mein Bein, es schmerzt so.« Rauch quoll aus seinem Mund, als Rhombus den Pfeifenstiel herauszog. Er räusperte sich. »Ob es jetzt vorausschauend oder weise war oder ob unser Kaiser einen Hau weg hatte, unsere Städte unter die Kuppeln zu zwingen, kann es nicht sagen. Schließlich hatten die meisten vom Krieg einen abgekriegt und waren nicht mehr ganz bei Trost, wenn ihr wisst, was ich meine – mehr Verrückte, als man hätte zählen können. Jedenfalls wurden die Reserven mobilisiert. Und eines Tages stand eine riesige Bauarmee vor unserer Tür, mit ihren Stahlgerüsten und Kränen. Und dann kamen Laster auf Laster, die Teutonium und Glasscheiben herbrachten. Als ob ein Ameisenstamm auf Wanderschaft wäre, könnt ihr euch das vorstellen? Die zogen von Stadt zu Stadt, krempelten Fabriken und Stahlwerke für ihre Zwecke um; nahmen alles Metall, das sie finden konnten, natürlich auf Geheiß des Kaisers! Frontschweine, von schwersten Gefechten gezeichnet, und dazwischen Ingenieure und Schweißer und ein ganzes Heer aus Schwerstarbeitern. Auch Kriegskrüppel waren dabei, zusammengeflickt mit diesen neuen Prothesen, die man an den Muskeln und Nerven festlöten konnte: Zinnsoldaten; stark wie Riesen, aber so kalt wie Maschinen.«
»Wahnsinn«,