Einfach. Gut.. Erwin Steinhauer
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Sauris: das ist nicht Friaul, nicht Altösterreich, auch nicht Bestandteil der slawischen Alpenregionen. Es ist eine eigene Welt. Irgendwann – Historiker vermuten im 13. Jahrhundert – hat sich eine kleine Gruppe von Menschen hier angesiedelt. Sie kamen – darauf läßt ihre Sprache schließen – aus dem süddeutschen Siedlungsraum, der damals eine deutliche slawische Präsenz aufwies. Man vergesse nicht, daß die Slawen damals in friedlicher Koexistenz mit den Resten der keltischen und romanischen Ureinwohner und den später zugezogenen Bajuwaren und anderen Volksgruppen die Lande südlich der Tauern bewohnten. Es wird für immer ein Rätsel bleiben, was ausgerechnet diese Menschen dazu bewog, die fruchtbaren und verkehrsgünstigen Täler zu verlassen. Religiöse Motive sind in diesem Fall auszuschließen. Waren es Kriegswirren oder Seuchen, die sie veranlaßten, den beschwerlichen Weg ins Gebirge anzutreten? Oder wollten sie sich einem ungnädigen Herrscher oder der Steuerfron entziehen? Niemand weiß das, es gibt keine Quellen.
Sicher ist, daß sie sich durch unzugängliches Gebiet kämpften, um fern von der restlichen Welt auf 1200 bis 1400 Meter Seehöhe Wälder zu roden, Almen anzulegen und Häuser zu bauen. In den Kirchen von Sauris di Sotto und Sauris di Sopra finden sich architektonische Hinweise, daß diese im Kern aus der Gotik stammen. Ab dieser Zeit bis Ende des 19. Jahrhunderts lebte man in „splendid isolation“, mit der Außenwelt nur über waghalsige Saumpfade verbunden. Kein Heer der Geschichte kam auf die Idee, auf seinen Kriegs- und Beutezügen einen derart beschwerlichen Umweg zu machen. Also blieb die Bevölkerung verschont von den jahrhundertelangen, mit Plünderung und Brandschatzung verbundenen österreichisch-italienischen Scharmützeln, vom Einfall der Türken, vor den napoleonischen Horden und pflegte ihre ureigene Kultur. In Zahre, wie Sauris von seinen Einwohnern genannt wird, wurde und wird in den „stavoli“, wie hier die Häuser heißen (was wohl aus dem Lateinischen „stabilio“, also Befestigung, hergeleitet ist), eine eigene Sprache gesprochen, die sich mit denen anderer Sprachinseln in Südtirol oder in den „Sieben Gemeinden“ nicht vergleichen läßt. Es ist eine Art Althochdeutsch mit lateinischen und slawischen Einsprengseln. Schließt der halbwegs geschichts- und sprachenkundige Zuhörer die Augen, so wähnt er sich in einer Episode des Nibelungenlieds oder zu Gast bei Oswald von Wolkenstein.
Die Straße, die heute von Ampezzo nach Sauris hinaufführt, würde kein trittsicheres Maultier mehr schrecken, wohl aber die Touristen, die sich auf die Suche nach dem berühmten geräucherten und luftgetrockneten „Prosciutto di Sauris“ machen. Zwar ist sie mittlerweile asphaltiert, hat aber nur die Breite eines besseren Güterwegs. In zahlreichen Kehren und Kurven windet sie sich hinauf ins Tal des Torrente Luminei, durchquert ein paar unbeleuchtete Tunnels und tritt wieder ins Freie, wo aus dem Tal längst eine abgrundtiefe Schlucht geworden ist. Leitplanken sucht man hier vergebens; nur ein paar Steinklötze und Holzbalken bilden eine Art Absicherung, die vielleicht einem Ochsenfuhrwerk, nicht aber einer Limousine standhält.
Mutig überquerten sie den „Rio Plottenpoch“ und den „Rio Neureichenpoch“. Es mußte so kommen, wie es kam: An der exponiertesten Stelle der Straße, wo diese einen Tunnel verläßt und der von der Sonne geblendete Fahrer eine schmale Brücke über die Schlucht zu überqueren hat, um auf der anderen Seite wieder vom Berg verschlungen zu werden, donnerte ihnen ein hupender schwerer Lastwagen entgegen, wohl beladen mit Zentnern von Prosciutto, Würsten und geräuchertem Käse. Weshalb, fragten sich die Reisenden, setzt man sich eigentlich solchen Gefahren aus, wenn es die Produkte doch auch in den Salumerie von Udine und Triest zu verkosten gibt? Aber es war weit und breit keine Umkehrmöglichkeit und schon gar nicht Zeit für Grundsatzdiskussionen. Der Lkw hupte sich den Ärger aus seiner massigen Karosserie. Also plagte man sich im Retourgang zurück in den eben durchquerten Tunnel, wo sich eine lächerlich schmale Ausweiche befand. Das blökende Ungetüm schrammte an ihnen vorüber und donnerte weiter, talwärts. Das Erlebnis hatte auch etwas Tröstliches: Wo fünfzehn Tonnen tote Tiere auf drei Achsen herkommen, da kommt man zu zweit auch auf vier Rädern hin. So fuhren sie tapfer bergwärts.
Nach einer schier endlosen Reihe von Tunnels und Lawinengalerien entläßt der Berg die Reisenden auf etwa 1000 Meter Seehöhe in eine milde, grüne Landschaft, in welche der Lago di Sauris eingebettet liegt, ein Stausee, der als solcher nicht erkenntlich ist, sondern blau strahlt, als wäre er länger hier als die Menschen. Von hier aus windet sich die Straße weiter empor, durch üppige Almwiesen, vorbei an ehrwürdigen Wäldern. Man wähnt sich wie in den Tauern. Die ersten Gebäude werden sichtbar: mächtige, völlig unitalienische, robuste nordalpine Heuschober. Noch zwei, drei Kehren waren zu bewältigen, bis der Schauspieler und der Photograph endlich ihr Ziel erblickten.
Sauris di Sotto liegt am Sonnenhang. Es ist eine Ortschaft aus ineinandergeschachtelten und verkeilten Ställen, Scheunen und Wohnhäusern, über denen eine Kirche thront, die ihrem Äußeren nach durchaus auch im Allgäu stehen könnte, ohne aufzufallen. In der Mitte der Ansiedlung weitet sich die Fahrbahn etwas. Es wäre übertrieben, von einem Hauptplatz zu sprechen. Es muß aber ein solcher sein, denn hier befinden sich die Post, eine Bushaltestelle und vor allem ein mächtiger Gasthof, der 1804 errichtet worden ist und seit über hundert Jahren von derselben Familie geführt wird: die Locanda „Alla Pace“. Und tatsächlich strömt das Gebäude tiefen Frieden aus. Seine Mauern sind dick wie die einer Burg, und auch am Speiseplan dürfte sich seit seiner Errichtung wenig geändert haben.
Natürlich gibt es als Antipasto den legendären mild-würzigen „Prosciutto di Sauris“. Da aber die Schweine nicht nur aus zwei Hinterkeulen bestehen, sollte man auch die Produkte verkosten, die aus den restlichen Teilen hergestellt werden: frische Salame zum Beispiel, die in Essig gebraten und auf cremiger Polenta serviert wird; oder „Muset con brovada“, also Cotechino mit sauren Rüben. Das sind freilich keine Gerichte für heiße Sommertage. Aber die verbringt man sowieso mit einem leichten Fischgericht am Meer. Sauris hat im Herbst Saison, wenn die Bergwanderer sich hier stärken, oder im Winter für Schifahrer und Tourengeher. Und die brauchen allemal eine kräftige Kost: eine Suppe von Gerste und Bohnen zum Beispiel, Gnocchi mit einer Sauce aus Kürbis und Speck, mit Pilzen gefüllte „Cjalsòns“, oder im Frühjahr „Pasticcio alle erbe“. Selbstverständlich gibt es hier auch den für Karnien typischen „Frico“, ein Gericht, das in gewissen Teilen Südkärntens als „Frika“ verbreitet ist. Ihn gibt es in unzähligen Varianten, drei davon seien hier erwähnt:
FRICO 1
Reifer, geriebener Montasio wird gleichmäßig in eine geölte Pfanne gestreut, geschmolzen, gebraten, gewendet und anschließend auf Küchenpapier entfettet. Oder man stülpt die Fladen über eine umgedrehte Tasse bzw. kleine Schüssel und läßt sie erkalten, wobei sie knusprig werden. Das erfordert einige Kunstfertigkeit. Man sollte sich aber nicht entmutigen lassen. Denn mit einer gewissen Übung gelingen einem wunderschöne Käsekörbchen, in denen man Gnocchi servieren kann, am besten mit Kürbis- oder Käsesauce.
FRICO 2
Man brät kleingeschnittene oder geriebene Kartoffeln in reichlich Butter gar und fügt ungefähr die gleiche Menge geriebenen Montasio (die Hälfte frisch, die Hälfte gereift), brät das Ganze, bis die eine Seite knusprig ist, wendet den Kuchen und brät ihn fertig.
FRICO 3
Man verfährt wie beim zweiten Rezept, nur daß man statt der Kartoffeln feingeschnittene Zwiebeln nimmt. Es gibt auch die Variante, zur Hälfte Zwiebeln und zur Hälfte Kartoffeln zu verwenden. In jedem Fall würzt man besser nicht mit Salz, weil dieses im Käse reichlich enthalten ist. Ein, zwei Handumdrehungen mit der Pfeffermühle und eventuell ein paar feingehackte Kräuter